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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2017
Zum 50.Todestag von Roman Rosdolsky
von Yurii Colombo

Als Roman Rosdolsky am 20.Oktober 1967 in Detroit starb, hatte er gerade die Fahnen seines Buches Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen «Kapital» fertig korrigiert. An diesem Werk, das im folgenden Jahr postum erschien, hatte er fast zwanzig Jahre gearbeitet. Es war die erste und bedeutendste Monografie zu Marx’ Grundrissen. In zahlreiche Sprachen übersetzt, förderte sie deren Verbreitung und hatte bedeutenden Einfluss auf deren spätere Interpretation.

Anselm Jappe hat festgestellt [Streifzüge, Nr.1, 2002], dass Rosdolsky vor der Explosion von 1968 «[a]nders als die Traditionsmarxisten … in den erscheinenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirklichkeit keine bloßen Mystifizierungen [sieht], sondern den Ausdruck wirklicher Widersprüche … dass der Warenfetischismus kein reines Bewusstseinsphänomen ist, sondern ein reales».

Trotz der außerordentlichen Wirkung, die die Entstehungsgeschichte für die Verbreitung der Grundrisse hatte, ist die Lebensgeschichte des ukrainischen Marxisten bis heute wenig bekannt und erst in diesem Jahr ist eine ausführliche Biografie erschienen (Rosdolsky-Kreis: Mit permanenten Grüssen. Leben und Werk von Emmy und Roman Rosdolsky. Wien: Mandelbaum, 2017; siehe SoZ 7-8/2017).

Rosdolsky wurde 1898 in Lwiw (Lemberg) im westlichen, zu Österreich-Ungarn gehörenden Teil der Ukraine geboren. Seine Familie gehörte zur städtischen Intelligenz und sein Vater war ein bekannter Ethnograf. Roman war bereits als Gymnasiast in sozialistischen Zirkeln aktiv und trat nach der Oktoberrevolution der kommunistischen Bewegung bei, zu deren Gründern in der Westukraine er gehörte. Doch sein Zugang zum Marxismus blieb unorthodox und war stark vom ukrainischen Nationalismus geprägt.

Mitte der 20er Jahre brach er mit der «offiziellen» kommunistischen Bewegung und wurde Mitglied der trotzkistischen Opposition, deren Analyse der «permanenten Revolution» er teilte: «Als Angehöriger eines ‹geschichtslosen› Volkes, mit einer nur rudimentären sozialen Oberschicht, konnten wir unsere Hoffnungen nicht auf die Errichtung eines bürgerlichen ukrainischen Staates setzen. Andererseits schufen die ungelöste Bauernfrage und die nationale Unterdrückung unseres Volkes für die rasche Verbreitung der Ideen des revolutionären Sozialismus einen günstigen Boden.» Sein Interesse für die ukrainische Frage sollte niemals nachlassen. 1936 verfasst er dazu die bedeutende Studie Die Dorfgemeinschaft in Ostgalizien und ihre Auflösung.

Ab Ende der 20er Jahre lebte Rosdolsky überwiegend in Wien, wo er seine Dissertation Friedrich Engels und das Problem der «geschichtslosen» Völker1 vollendete, worin er die These des «General» kritisierte, wonach die slawischen Völker zutiefst reaktionär und unfähig seien, die Unabhängigkeit zu erlangen.

Rosdolskys Jahre in Wien waren besonders intensiv. Ab 1926 ist er Mitarbeiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts. Seine Mitarbeit endet, als David Rjasanow als Leiter des Instituts abgelöst wird. Begeistert erlebt er das «Rote Wien» und lernt Emily Meder kennen, die seine Lebensgefährtin wird. Nach dem «Anschluss» 1938 geht Rosdolsky nach Lemberg. Doch nach der Aufteilung Polens im Gefolge des Ribbentrop-Molotow-Pakts gerät Galizien unter sowjetische Kontrolle und Rosdolsky fürchtet, als Trotzkist verhaftet zu werden, und flüchtet nach Krakau.

Dort lernt er die andere Seite der «Mitternacht des Jahrhunderts» kennen: Die Kinder des jüdischen Waisenhauses, in dessen Nachbarschaft er lebt, werden von deutschen Truppen ins Ghetto deportiert. Von diesem Tag an, so erinnert er sich später, vermisst er stark «die Gewohnheiten dieser jüdischen Waisenkinder, die ich begonnen hatte neugierig zu beobachten, und den wenig vertrauten Klang der jiddischen Sprache».

1942 wird Rosdolsky in Wien verhaftet und verbringt den Rest der Kriegsjahre in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Oranienburg, wo er als Tischler arbeitet. 1947 beschließt er, Österreich zu verlassen und in die USA zu gehen – aus Furcht, von der GPU verfolgt und, wie andere Genossen, in einen sowjetischen Gulag gebracht zu werden.

Rosdolsky hat sich nie in die US-amerikanische Gesellschaft integriert. Während der McCarthy-Ära konnte er keinen Universitätsposten erhalten und war deshalb für den Rest seines Lebens als Privatgelehrter tätig. Über die Arbeit an der Entstehungsgeschichte hinaus vertiefte er das Studium der leninistischen Politik, insbesondere des «revolutionären Defätismus».

Getrennt von aktiver politischer Tätigkeit – er teilte nicht die Charakterisierung der UdSSR durch die IV.Internationale –, führten wirtschaftliche Schwierigkeiten zu seiner Isolation und zu längeren Pausen in seiner Forschungstätigkeit. «Deine Depression ist mir nicht fremd», gesteht er Paul Mattick in einem Brief. In dieser Zeit steht Rosdolsky mit weiteren Häretikern der kommunistischen Bewegung wie Karl Korsch, Paul Frölich, Isaac Deutscher und Ernest Mandel in brieflichem Austausch. Letzterer widmet ihm sein Werk über den Spätkapitalismus.

Mandel erinnert in seinem Nachruf auf Rosdolsky daran, dass dieser «vor seinem Tod noch mit großer Freude zwei Entwicklungen erlebt hat, die ihn in seiner Überzeugung vom schließlichen Triumph der Ideen von Lenin und Trotzki bestärkten … das Wiederentstehen einer linken kommunistischen Opposition in Polen durch den ‹Offenen Brief› von Kuron und Modzelewski sowie der Massencharakter der Studentenrevolte in den USA gegen den Krieg in Vietnam» [Quatrième Internationale, April 1968].

Nach seinem Tod kehrt seine Frau Emily nach Europa zurück, wo sie sich an den sozialen Bewegungen der 70er Jahre, vor allem der Frauenbewegung, beteiligt.2

 

Aus: Il Manifesto vom 19.10.2017.

 

1[Unter diesem Titel wurde die Arbeit 1964 im Archiv für Sozialgeschichte (Hannover), Bd.4, S.87–282, wiederveröffentlicht. Sie war ursprünglich erschienen als Das Problem der geschichtslosen Völker bei K.Marx und Fr.Engels, Wien 1929.]

2[Emily Rosdolsky starb 2001; siehe den Nachruf von Fritz Keller in SoZ 22/2001.]

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