Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2017
 Verzweifelter Appell im Zentrum von Warschau

Am 19.10. hat sich ein 54jähriger Mann aus der Nähe von Krakau im Zentrum von Warschau selbst verbrannt. Er richtete dazu einen aufrüttelnden Appell an seine Landsleute. Dieser beginnt: «Ich einfacher normaler Mensch – so wie Ihr es auch seid – rufe euch alle auf, wartet nicht länger! Diese Regierung müssen wir schnellstens absetzen, bevor sie unser Land endgültig vernichtet, bevor sie uns endgültig unserer Freiheit beraubt. Ich liebe die Freiheit über alles! Deswegen habe ich beschlossen, mich selbst zu verbrennen, und habe die Hoffnung, dass mein Tod das Gewissen vieler weckt, dass die Gesellschaft erwacht und ihr nicht wartet, bis alles für euch die Politiker machen werden, denn sie werden es nicht tun!»

Zu diesem tragischen Tod schrieb der Chefredakteur der Wochenzeitung Przeglad, Jerzy Domanski, in seinem Kommentar am 6.11.:

 

«Sie hören nichts, sie sehen nichts

Nicht mehr der anonyme Piotr S. aus Niepolomice, sondern der 54jährige Piotr Szczesny mit einer demokratischen Gesinnung tat etwas, worüber Piotr Bukartyk singt: ‹Das will nicht in meinen Kopf, dass mitten in der Stadt ein Mensch in Flammen loderte.›

Dieser Tod hat uns überrumpelt. Uns alle. Und die aus dem Regierungslager waren besonders irritiert, sodass sie daraus gleich einen psychiatrischen Fall machten. Genau genommen ist es nichts außergewöhnliches. So reagieren im allgemeinen die Regierenden in den verschiedenen Ländern und Systemen auf Selbstverbrennungen. Wir alle sind ihnen gegenüber ratlos.

Aber die Regierung weiß, dass dieser Akt der Verzweiflung, der uns allen nicht in den Kopf will, gegen sie gerichtet ist. Sie hat dieses Blut an ihren Händen. Piotr Szczesny hat ganz eindeutig geschrieben: ‹Ich möchte, dass der Präses der PiS und die ganze Nomenklatur der PiS zur Kenntnis nimmt, dass mein Tod unmittelbar sie belastet und mein Blut an ihren Händen klebt.›

Er schrieb auch: ‹Ich schäme mich, einen Präsidenten zu haben, der nur der Präsident seiner Partei und ihrer Anhänger ist und der die Verfassung bricht›, und: ‹Ich schäme mich, dass ich eine Premierministerin habe, die die Aufträge der Partei erfüllt.› Diese Worte würden viele Polen unterschreiben.

Die beiden Briefe von Piotr Szczesny an die Öffentlichkeit sind sehr folgerichtig und logisch. Er wollte nicht still sein. Er hat Werte wie Freiheit und Demokratie sehr ernst genommen. Und wie viele andere Menschen mit ähnlichen Überzeugungen wurde er immer ratloser gegenüber einer politischen Walze, die diese Werte niederwalzt. Er erkannte, dass diese Situation so dramatisch ist, dass die Leute aufgeweckt werden müssen. Aufgerüttelt. Und dass er das schließlich machen muss. Ein einfacher kleiner Mann. So einer wie wir.

Er zündete sich am 19.Oktober an und starb am 29.Oktober. Diese zehn Tage eines qualvollen Leids können wir nicht stillschweigend übergehen. Das können wir nicht, weil hier ein Mensch umkam, der uns etwas sehr Wichtiges sagen wollte. Er war ein Mensch, der fest daran glaubte, dass unser Land ehrlicher und klüger regiert werden kann, denn wir Polen haben eine bessere Regierung verdient.

Keinen Zweifel habe ich, dass die Botschaft von Piotr Szczesny die Regierenden erreicht hat. Dass die genannten politischen Funktionäre sich eine Weile besinnen und auf die Welt mit den Augen von Piotr Szczesny schauen. Sicher bleibt alles beim alten. Und die Regierung wird nichts an ihren Plänen ändern. Doch ist das kein gutes Szenario für Polen.

Die Zeit wird zeigen, ob und wen das Opfer von Piotr Szczesny aufgerüttelt hat. Und was die einfachen kleinen Leute aus seiner Botschaft, die in seinen Briefen enthalten sind, machen werden.»

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