von Hanspeter Gase
Der Protest gegen den Kohleabbau erobert die Städte. Während in Köln das braunkohlenbefeuerte Heizkraftwerk Merkenich per Stadtratsbeschluss stillgelegt werden soll, man weiß nur noch nicht wann und wie, hat die Münchner Bevölkerung die Abschaltung von Block 2 des Heizkraftwerks (HKW) Nord bis zum 31.12.2022 per Bürgerbegehren gegen den Stadtrat erzwungen.
Eigentlich wollten die Stadtwerke dieses HKW noch bis zum Jahr 2035 betreiben. Zwei bis drei Züge am Tag bringen 800000 Tonnen Steinkohle im Jahr ins Kraftwerk. Damit können mittels Wärme-Kraft-Kopplung bis zu 550 MW Fernwärme und gleichzeitig 237 MW Strom erzeugt werden.
Dabei emittiert das HKW 17 Prozent der CO2-Emissionen Münchens und damit mehr als alle Autos und LKW in der Stadt zusammen. Eine Abschaltung ist daher die einfachste und schnellste Lösung zur Erreichung der Münchner Klimaziele. Sie wäre auch ein Betrag zur Luftreinhaltung, denn das Kraftwerk emittiert auch Stickoxide und Schwefeloxide in erheblichem Umfang, sowie 25 Kilogramm hochgiftiges Quecksilber.
Der Strom würde nach der Abschaltung durch regenerativen Strom ersetzt werden können. Er kann auf dem Energiemarkt eingekauft werden, auf dem die BRD einen deutlichen Überschuss erzielt. Daneben gibt es aber auch noch ein großes Potenzial für Photovoltaikanlagen in der Stadt. Kaum ein Dach ist damit bestückt.
Die Wärme für das Fernwärmenetz Münchens, einem der größten in Europa, kann aus Erdwärme gewonnen werden. In 2000–3000 Metern Tiefe befindet sich in Kalksteinschichten heißes Thermalwasser mit einer Temperatur von 80–100 °C. Dieses kann hochgepumpt und über Wärmetauscher seine Wärme an das Fernwärmenetz abgeben. Dann wird es wieder in die Erde zurückgepumpt. Bereits zehn Umlandgemeinden nutzen dieses geothermische Potenzial und auch die Münchner Stadtwerke wollen bis 2040 umstellen. Dies muss nun schneller geschehen.
CSU hinterm Mond
Die Stadtwerke vermarkten sich in der Öffentlichkeit mit einem grünen Image, daher war der Münchener Bevölkerung die Dreckschleuder HKW nicht im Bewusstsein. Die ÖDP brachte den Skandal 2014 ans Licht und initiierte ein Bürgerbegehren, dem sich über siebzig Organisationen anschlossen. Einige Organisationen, wie das Nord-Süd-Forum, Attac, Green City, fossil-frei, FINA und Oxfam traten früh in die Kampagne ein, hingegen taten sich die meisten Parteien schwer. Von der LINKEN steht z.B. nur die Stadtratsfraktion auf der Unterstützerliste, die Kreismitgliederversammlung lehnte den Antrag mit knapper Mehrheit ab. Es heißt, Vertreter von Ver.di hätten gegen das Bürgerbegehren argumentiert. Auch die Grünen konnten sich erst im Juli 2017 zur Unterstützung durchringen, als die notwendigen Unterschriften für das Bürgerbegehren bereits gesammelt waren.
Ein im Herbst 2016 überarbeitetes, neues Gutachten von Stadtwerken und dem Ökoinstitut Freiburg brachte die Befürworter einer langen Laufzeit ins Wanken. Es stellte nämlich fest, dass die Abschaltung technisch schon ab 2020 möglich sei. Doch die Stadtwerke und die Stadtratsmehrheit aus CSU und SPD wollten das nicht akzeptieren. Sie argumentierten:
– Die Versorgungssicherheit sei nicht gewährleistet. Es wurde der Fall eines kompletten Blackouts im süddeutschen Raum konstruiert, da die Stadtwerke von so viel eigenen Reserven sprechen, dass sie nur bei den allerwidrigsten Umständen auf Strom von außen zurückgreifen müssen.
– Im dreistelligen Millionenbereich würden ihnen Gewinne entgehen. Dem stehen jedoch höhere Folgekosten für die Allgemeinheit gegenüber, die sich auf etwa 300 Millionen Euro pro Jahr belaufen. Außerdem gibt es diese Gewinne nur, wenn der Kohlepreis weiterhin so niedrig bleibt und keine zusätzlichen Emissionsabgaben anfallen.
Die Stadtratsmehrheit argumentierte auch, es fehle dann Geld für Kinderkrippen, Schulen und Nahverkehr. Diese Argumente sind jedoch fadenscheinig, da sie selber die weitere Untertunnelung des Mittleren Ringes und den Bau eines zweiten Tunnels für die S-Bahn vorantreibt, was ja auch Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden Euro kostet.
– Es gebe keine CO2-Einsparung, weil der fehlende Strom durch noch schlechtere Kraftwerke ersetzt werde. Das sagen ausgerechnet diejenigen, deren Parteien in NRW die Abschaltung gerade dieser Braunkohlekraftwerke verhindern und damit den Ausbau der erneuerbaren Energien beeeinträchtigen, wie die CSU mit ihrem 2-km-Abstandsgebot für Windräder (ein solches gibt es für AKWs oder für Autobahnen nicht!) und der Deckelung des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
Gar nicht gingen die Gegner einer frühen Abschaltung darauf ein, dass der Abbau der Steinkohle Mensch und Natur zerstört. In den Abbaugebieten in der Tschechischen Republik, Russland oder Amerika werden Menschen vertrieben. In Sibirien werden viele indigene Völker massiv durch die industrielle Erschließung von Bodenschätzen wie Öl, Gas, Kohle, Diamanten und Gold bedroht.
Beim Bürgerentscheid stimmten 60,4 Prozent für den frühen Ausstieg, das waren 118731 Ja-Stimmen, damit wurde das Quorum von mindestens 110862 Stimmen (= 10 Prozent) für ein Ja erreicht. Das war knapp, aber der Tag der Abstimmung lag am Ende der Herbstferien.
Nun können sich die Münchner Umweltinitiativen und UmweltaktivistInnen neuen Themen zuwenden, wie der Begrenzung des Feinstaubs und dem Ende der Autogesellschaft.
In anderen Städten, wie in Frankfurt und Köln, gibt es ebenfalls Kohlekraftwerke, da könnte der Münchner Ausstieg ein Vorbild sein.
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