von Helmut Born
Seit der Gründung von Ver.di im Jahr 2002 gibt es Diskussionen über die Organisationsstruktur und eventuelle Änderungen daran.
Ein kompliziertes Geflecht aus Strukturen, Zuständigkeiten, Entscheidungsfindungen und Kompetenzen waren die Voraussetzungen für die Gründung von Ver.di im März 2001. Fanden sich doch hier so unterschiedliche Gewerkschaften wie HBV und DAG, IG Medien, Deutsche Postgewerkschaft (DPG) und ÖTV zusammen, um die damals mit über 3 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft der westlichen Welt zu bilden. Heraus kam eine sog. Matrix-Struktur mit 13 Fachbereichen, die weitgehend autonom die Politik in ihren Bereichen bestimmen, und eine dreigliedrige Ebenenstruktur (Bund, Länder, Bezirke), die in verschiedenen Bereichen um eine vierte Ebene, die Ortsverbänden, erweitert wurde.
Mit der Gründung von Ver.di wurde die Anzahl der Bezirke der Gründungsorganisationen weitgehend übernommen, was zu ersten Diskussionen über eine Verringerung von deren Zahl führte. Die ÖTV hatte das größte Netz an Bezirken, während die DPG hauptsächlich eine betriebliche Struktur kannte. Aber auch HBV, IG Medien und vor allem die DAG hatten schon vor der Gründung von Ver.di an ihren Strukturen gearbeitet und die Zahl ihrer Bezirke verringert. In Ver.di wurden diese Diskussionen fortgeführt und es kam in vielen Bereichen zu einer Verringerung der Anzahl der Bezirke und auch zu Zusammenlegungen von ganzen Landesbezirken wie z.B. von Thüringen, Sachsen – Anhalt und Sachsen oder aber Rheinland-Pfalz und Saarland.
Heute zählt Ver.di noch rund 2 Millionen Mitglieder, und die Gewerkschaft geht davon aus, dass es schwierig sein wird, diese Zahl zu halten. Insbesondere das hohe Durchschnittsalter der Mitglieder und die schlechte Entwicklung der Mitgliederzahlen unter jungen Beschäftigten wird als Indiz für eine schrumpfende Mitgliederzahl angesehen. Dementsprechend gibt es weitere Diskussionen über eine Anpassung an diese Entwicklung.
Dabei wird zu oft vergessen, über die Gründe für die negative Mitgliederentwicklung zu diskutieren. Diese Entwicklung betrifft ja nicht nur Ver.di, sondern die meisten Gewerkschaften. Mit Ausnahme der GEW, der Gewerkschaft der Polizei und der IG Metall haben alle DGB-Gewerkschaften mit einer negativen Mitgliederentwicklung zu tun. Es gelingt ihnen nicht, vor allem in den prekären Bereichen, Mitglieder zu rekrutieren. Nur dort, wo die Gewerkschaften bereit und in der Lage sind, wirkliche Kämpfe um Verbesserungen zu führen, gibt es eine positive Mitgliederentwicklung, wie das Beispiel Amazon deutlich macht. Aber auch die Streiks in den Sozial- und Erziehungsdiensten oder auch jetzt der Kampf um Entlastung in den Krankenhäusern haben zu einem massiven Mitgliederzuwachs geführt.
Die DGB-Gewerkschaften verstehen sich eben zu oft als Ordnungsfaktor und werden als zu staatstragend empfunden, als dass sie sich als kämpferische Vertreter der Interessen ihrer Mitglieder outen könnten. Dies trifft natürlich am meisten auf die IG BCE und auch auf die IG Metall zu, aber auch Frank Bsirske spricht häufig mehr über die volkswirtschaftlichen Erfordernisse als über die Interessen der Mitglieder. Dies wird noch alles übertroffen von der häufigen Zusammenarbeit von DGB und dem Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA), oder vom Kuschelkurs gegenüber der Kanzlerin und der Großen Koalition.
Ver.di wächst?
Auf dem letzten Ver.di-Bundeskongress im September 2016 hat das Projekt «Perspektive 2015» seinen Abschluss gefunden. Die Entscheidung des Gewerkschaftsrats, die individuelle und die kollektive Arbeit zu trennen, hatte zu einer wahren Antragsflut geführt, bei der es darum ging, die personellen Ressourcen möglichst so einzusetzen, dass es keine Minderung der Präsenz von Ver.di in den Betrieben gibt. Bis dahin war es so, dass Gewerkschaftssekretäre in ihrem jeweiligen Fachbereich sowohl für die Mitgliederberatung wie auch für die Arbeit in den Betrieben zuständig waren, die Hauptamtlichen in den Bezirken für die weitgehende Erledigung der Arbeit in den jeweiligen Bereichen und Gliederungen.
Mit der neuen Arbeitsteilung soll es Ver.di-Zentren geben, in denen die sog. individuelle Mitgliederberatung (IMB) stattfindet, die Arbeit in den Betrieben und Gremien soll separat durch die Hauptamtlichen der Fachbereiche und die Kollektive Betriebs-und Tarifarbeit (KBTA) organisiert werden. Diese Arbeitsteilung wird seit 2016 in zwei Pilotlandesbezirken, Niedersachsen und Bayern, erprobt. Inzwischen gilt die Pilotphase als abgeschlossen und ab 2018 soll diese Arbeitsteilung in weiteren Landesbezirken eingeführt werden. Das Projekt hat inzwischen den Titel «Ver.di wächst» bekommen, was zum Ausdruck bringen soll, dass die neue Arbeitsteilung eine positive Mitgliederentwicklung zum Ziel hat. Dementsprechend wird der Druck auf die Hauptamtlichen zunehmen, für eine solche zu sorgen.
Im Sommer dieses Jahres speiste der Bundesvorstand ein Papier in Ver.di ein, das eine Zusammenlegung der 13 Fachbereiche auf nur noch 4 zum Ziel hat. Da gab es zunächst viel Zustimmung, zumal das Papier angeblich einstimmig im Bundesvorstand verabschiedet wurde. Aber je bekannter das Papier in den ehrenamtlichen Gremien wurde, desto mehr Kritik kam auf. Vor allem wurde kritisiert, dass eine inhaltliche Begründung für die Zusammenlegung von bestimmten Fachbereichen fehle und sich das Gefühl breit mache, das Konstrukt diene wohl hauptsächlich der Effizienzsteigerung. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Papier ausgerechnet in einer Phase lanciert wurde, in der die Gewerkschaft in der Vorbereitung der Trennung von individueller und kollektiver Arbeit steckt und die Zusammenlegung der Fachbereiche in dieser Zeit die Organisation überfordern würde.
Es soll hier nicht bestritten werden, dass es im Einzelfall nicht sinnvoll sein kann, Fachbereiche zusammenzulegen, das gilt vornehmlich für den öffentlichen Dienst. Aber das müsste mit einer Debatte verbunden werden, im ÖD wieder zu gemeinsamen Tarifrunden zu kommen.
Inzwischen hat die Diskussion so richtig Fahrt aufgenommen und es wurde viel Kritik geäußert. Da die Fachbereiche einer Fusion ihre Zustimmung geben müssen, bleibt abzuwarten, wie sie sich letzten Endes entscheiden. Die Kritik scheint aber beim Bundesvorstand angekommen zu sein. Plötzlich soll es sich nur noch um eine Diskussionsgrundlage handeln, und Fachbereiche über 100000 Mitglieder können auch weiterhin eigenständig bleiben.
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