von Judith Gleitze*
Unter den Augen der EU und mit deren finanzieller Unterstützung macht die libysche Küstenwache auf offener See Jagd auf Flüchtlinge. Aus einer Pressemitteilung von borderline europe.
Am 6.November ereignete sich eine Tragödie in internationalen Gewässern, etwa 30 Seemeilen nördlich von Tripolis, Libyen. Das Maritime Rescue Coordination Center in Rom sandte das zivile Seenotrettungsschiff Sea Watch 3 sowie einen italienischen Marinehubschrauber und ein französisches Kriegsschiff zu einem in Seenot geratenen Schlauchboot. Als die Sea Watch 3 am Ort des Geschehens eintraf und die Koordinierung der Seenotrettung offiziell übernahm, befanden sich bereits mehrere Menschen im Wasser. Zeitgleich mit der Sea Watch 3 erreichte ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache den Ort des Geschehens. Die Beamten der libyschen Küstenwache reagierten jedoch nicht auf die Aufforderungen der Sea Watch 3 und der italienischen Marine, koordiniert zu arbeiten, sie setzte auch keine Rettungsboote ein. Stattdessen bewegten sie sich mit großer Geschwindigkeit inmitten der sich im Wasser befindenden Menschen, warfen Seile aus, halfen den Geflüchteten aber nicht an Bord. Videos und Fotos zeigen die Misshandlungen der sich dann an Bord befindlichen Geflüchteten.
Die Folge: fünf Tote, die geborgen werden konnten, mindestens 45 weitere Tote und viele Familien, die getrennt wurden. 59 Menschen konnten von der Sea Watch 3 nach einem längerem Tauziehen zwischen dem Flaggenstaat Niederlande und der italienischen Regierung nach Pozzallo (Sizilien) gebracht werden. 47 Menschen wurden jedoch von der libyschen Küstenwache nach Libyen zurückgebracht.
Durch ihr unkoordiniertes Eingreifen in internationalen Gewässern hat die libysche Küstenwache zum wiederholten Mal gegen internationales Recht verstoßen. Gemäß Art.89 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) kann kein Staat auf hoher See Souveränitätsansprüche erheben. Außerdem hat die libysche Küstenwache die Rettungsbemühungen der Sea Watch 3, zu denen sie nach Art.98 SRÜ verpflichtet ist, torpediert. Dieses Verhalten stellt einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht dar.
Die sog. libysche Küstenwache, die zum Großteil aus bewaffneten Milizen besteht, die einen Bürgerkrieg in den Küstenregionen Libyens führen, wird von Italien und der EU ausgebildet und finanziert. Dafür soll die libysche Küstenwache Boote daran hindern, das Mittelmeer Richtung Europa zu überqueren. Dass dabei Menschenrechte über Bord geworfen werden, wird zum Wohl der Grenzsicherung bewusst in Kauf genommen. Gleichzeitig werden zivile Seenotretter kriminalisiert, ihre Boote konfisziert und Rettungsaktionen behindert. Anstatt die wichtige Arbeit der Organisationen zu unterstützen, werden sie wiederholt bedroht und angegriffen. Ihnen im nachhinein die Verantwortung für Katastrophen wie diese in die Schuhe zu schieben, ist ein weiterer Baustein in der Grenzsicherungs- und Kriminalisierungstaktik. Die Folge dieser Politik: Allein in diesem Jahr sind mindestens 3000 Ertrunkene zu beklagen.
Borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V. beobachtet und dokumentiert seit mittlerweile zehn Jahren die menschenunwürdige Grenzpolitik der EU und ihre Folgen. Wieder einmal zeigen die Entwicklungen der letzten Monate deutlich, dass das Interesse, Menschenrechte zu wahren, weitaus weniger wiegt, als die Sicherung der eigenen Außengrenzen. Schuld an den Tragödien, die sich Woche für Woche im Mittelmeer und anderswo abspielen, sind nicht die zivilen Seenotretter und auch nicht die Schlepper, sondern die Europäische Union, die mit ihrer Abschottungspolitik ganz klar in Kauf nimmt, dass Menschen auf dem Weg nach Europa ums Leben kommen. Anstatt die Arbeit der zivilen Seenotrettungsakteure zu kriminalisieren und Milizengruppen in Libyen zu unterstützen, müssen legale Möglichkeiten der Einreise entwickelt werden, um das Sterben im Mittelmeer endlich zu beenden.
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