von ua
Auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wird der noch amtierende Minister, Heiko Maas, zitiert: «Der §219a ist ein Relikt aus der Nazizeit. Die Zeiten, in denen der Staat das Kontrollrecht über die Körper seiner Bürger beansprucht, gehören zum Glück der Vergangenheit an.»
Für Bürger mag das stimmen, Bürgerinnen jedoch, bzw. alle Frauen, die in Deutschland eine Schwangerschaft beenden wollen, wird mit dem §219a ein Informationsrecht genommen und ein Schwangerschaftsabbruch unnötig erschwert. Der §219a des Strafgesetzbuchs verbietet das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus einem finanziellen Vorteil heraus oder wenn dies in «grob anstößiger Weise» geschieht. Danach droht eine Strafe von bis zu 2 Jahren Haft.
Der §219a StGB stammt aus dem Jahr 1933 und gehörte zu den ersten Gesetzgebungen der NSDAP. Er war neben der Verschärfung des §218 (gegenüber der Weimarer Zeit) und dem Zwangssterilisierungsgesetz Teil der nazistischen Familien- und Bevölkerungspolitik, die in der Nazizeit weder ihren Anfang noch ihr Ende nahm. So unterstützte z.B. das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in der Zeit von 1975 bis 1985 ein Forschungsprojekt, das Maßnahmen zur Erhöhung der Kinderzahl der «richtigen» Nationalität entwickeln und die Neuentstehung der «asozialen Großfamilie», die «praktisch vom Kindergeld lebt», verhindern sollte. Die unheilvollen Ideen von Auslese und Ausmerzung waren also weiterhin da. Nur die Konzepte waren andere. So wurde z.B. eine differenzierte Familienförderung vorgeschlagen. Bundespolitisch blieben die Ideen auf dem Papier, sie fanden jedoch Eingang in die internationale Politik. Nahrung für Hungernde nur gegen Sterilisation ist ein Beispiel dafür.
Bis zum 24.November dieses Jahres führte der §219a StGB ein völliges Schattendasein. Da zeigte ein selbsternannter «Lebensschützer» die Ärztin Kristina Hänel an. Sie hatte auf ihrer Praxishomepage über verschiedene Formen des Schwangerschaftsabbruchs informiert und angegeben, dass sie selbst auch Abbrüche durchführt. Ist das strafbar? Ja, entschied das Landgericht in Gießen und verurteilte Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6000 Euro. Über einen legalen Abbruch nach §218 StGB – nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen – sowie über Arztpraxen darf nur dann informiert werden, wenn daraus kein Vermögensvorteil erzielt wird. Stadtverwaltungen dürfen also umfassend informieren, das macht z.B. die Hansestadt Hamburg, Ärztinnen dürfen das jedoch nicht.
Der Prozesstag in Gießen wurde von Frauenprotesten begleitet. Nach dem Urteil haben sich Tausende solidarisiert, Petitionen und Appelle unterschrieben mit dem Ziel, die Abschaffung des §219a zu erreichen. Die Linksfraktion im Bundestag war die erste Fraktion, die eine Beschlussvorlage dazu vorlegte. SPD, Grüne und FDP äußerten sich ebenfalls im Sinne einer solchen Initiative. Eine Mehrheit für die Abschaffung dieses Kriminalisierungsparagrafen wäre also da.
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