von Hermann Dierkes
Der Versuch des Berliner Kultursenators Klaus Lederer, eine im öffentlich geförderten Kino Babylon vorgesehene Preisverleihung an den schillernden Journalisten Ken Jebsen zu unterbinden, war am 7.12.17 gerichtlich gescheitert. Der Senator selbst, der Landesverband und der Parteivorstand (PV) der LINKEN sahen sich mit einem Proteststurm und dem Vorwurf der Zensur konfrontiert. Doch der PV stellte sich hinter Lederer.
Am 14.12. platzte allerdings die Verleihung des «Kölner Karlspreises» (benannt nach Karl Marx) der Neuen Rheinischen Zeitung für engagierte Literatur und Publizistik. Für das Rahmenprogramm war ausgerechnet der britisch-israelische Jazzer Gilad Atzmon vorgesehen gewesen, der zwar gute Musik macht, aber ein schrecklicher politischer Wirrkopf ist. Seit Jahren wittert er eine jüdische Weltverschwörung. Seine Hauptgegner sind zudem die «Judeo-Marxisten»! Es ist anzunehmen, dass die Lederers dies als Chance gesehen haben, doch noch zum Ziel zu kommen. Atzmon war vom Babylon mit Hausverbot belegt worden, und offenbar hat es dann bei den Veranstaltern und politischen Unterstützern eine Auseinandersetzung um seine Einladung gegeben. Jebsen sagte daraufhin seine Teilnahme an der Preisverleihung ab.
Lederers Aktivitäten werfen grundsätzliche Fragen auf. Er steht in einer inzwischen langen Reihe von ähnlichen Skandalen, für die DIE LINKE – oder Teile von ihr – verantwortlich zeichnet. Grundsätzlich auch deshalb, weil der PV sich nach heftiger Kontroverse am 3.12. hinter Lederer gestellt und die massive interne und externe Kritik verworfen hat.
Zum einen wurde der PV mit einem Entschließungstext von Caren Lay konfrontiert, der bekannte Parteimitglieder (Dieter Dehm, Wolfgang Gehrcke und Andreas Maurer) namentlich angriff, ohne ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Namen wurden erst nach Protest entfernt. Die drei hatten sich in einer öffentlichen Erklärung mit der Preisverleihung solidarisiert und großen Zuspruch erhalten.
Inhaltlich distanziert sich der gegen 7 Stimmen und bei etlichen Enthaltungen (von 30 Anwesenden) angenommene Text «von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‹Querfront›-Strategien salonfähig machen wollen». Eine Beteiligung an der geplanten Protestdemonstration und Preisverleihung komme für Parteimitglieder nicht in Frage.
Andrej Hunko, PV-Mitglied und MdB, kritisierte auf der Sitzung «die wabernde Unschärfe und assoziative Vermengung (von) Begriffen, (die) inzwischen mit einer erschreckenden Leichtigkeit und oftmals ohne jede ‹Beweisführung› verwendet werden, um politische Gegner zu diffamieren». Jebsen ist Hassobjekt für Mainstream und Parteirechte. Kritik an ihm ist aber auch vom linken Standpunkt aus berechtigt, da er bei allem Positiven immer wieder schnellschüssige Fehlurteile produziert (u.a. hat er anfangs Trump gelobt!) und anfällig ist für rechte ideologische Versatzstücke und Kontakte. Das ist alles dokumentiert (u.a. von der jungen Welt). Er wird aber v.a. deshalb ausgegrenzt, weil er die israelische Annexions- und Unterdrückungspolitik thematisiert und sich friedenspolitisch in einem breiten Lager engagiert.
Ersteres trägt inzwischen vielen das Diktum «Antisemit» ein – seit Jahren auch aus der LINKEN, die sich aus der Palästina-Solidarität weitgehend verabschiedet hat; das Zweite den Vorwurf des Verrats an den «westlichen Werten», des «Putin-Verstehers» und des «Querfrontlers».
Der denunziatorisch verwendete «Querfront»-Begriff, der die Zusammenarbeit mit politisch eher rechten Strömungen bezeichnet, erfüllt für die rechten LINKEN offenbar eine ähnliche Funktion wie der des «Antisemitismus»: sie verabschieden sich damit mehr und mehr aus der Friedensbewegung, in der durchaus Teilnehmer und Ansichten vertreten sind, die nicht links bzw. grenzwertig sind. Aber in welcher größeren Sozialbewegung ist das nicht der Fall?
In einer öffentlichen Erklärung argumentiert PV-Mitglied André Hunko weiter: «Es ist ein Unterschied, ob ich eine Preisverleihung an einen Journalisten gut finde oder nicht. Es ist etwas anderes, ob ich mich dagegen öffentlich äußere oder sogar friedlich demonstriere. Es ist wiederum etwas anderes, ob ich als Inhaber eines öffentlichen Amtes Druck auf eine von öffentlicher Förderung abhängige Einrichtung ausübe, um die Veranstaltung zu verhindern. Letzteres als ‹kritische Äußerung› zu bagatellisieren und genau diese Unterschiede zu verwischen, wie es der PV-Beschluss macht, ist für mich nicht tragbar … Außerhalb der engen Grenzen einer neonazistischen Bedrohung und den Grenzen des bürgerlichen Rechts gilt für mich die Meinungsfreiheit.» Dem kann man nur zustimmen.
Wo die Querfront sitzt
Lederer, der in Berlin in einer «Kreuz-und-Quer-Front» mit SPD- und Grünen-Senatoren sitzt, die den Kapitalismus, die NATO, Kriegsinterventionen und die angebliche «westliche Wertegemeinschaft» verteidigen und das völkerrechtswidrige Vorgehen Israels bedingungslos unterstützen, dieser Lederer und dieser PV bezichtigen Jebsen und einen Teil der eigenen Partei des «Querfrontlertums» und des «Antisemitismus»!
Dieser ausgesprochene Querfrontler Lederer hat sich mit dem Gaza-Massaker der israelischen Staatsmacht solidarisiert; er war ein Gegner der Kampagne zur Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe und ihrer Forderung nach Transparenz; er stellte sich gegen Künstler – sogar solche jüdischer Herkunft wie Kate Tempest –, die sich mit der BDS-Kampagne solidarisieren, damit sich Israel endlich an Völker- und Menschenrecht hält und mit der Unterdrückung der Palästinenser aufhört. Für ihn ist diese palästinensische Kampagne, die inzwischen weltweite Unterstützung genießt, «widerlich».
Lederer steht in der LINKEN nicht allein, vor allem, was den Kampf gegen den angeblichen Antisemitismus betrifft. Nur einige Beispiele: Ende Februar 2009 wurde der Autor dieser Zeilen massiv von der Parteispitze und von namhaften Funktionsträgern (Kipping, Lederer, Liebich, Pau, Ramelow und rd. 30 weiteren) angegriffen, weil er sich nach dem Gaza-Massaker für BDS ausgesprochen hatte. In Medien und Politik fand bundesweit eine Hexenjagd gegen einen angeblichen schlimmen «Antisemiten» statt, die mehrere Jahre anhielt. Noch unter Gysi, damals Vorsitzender der Bundestagsfraktion, war daraufhin im Mai 2009 beschlossen worden, sich jeder effektiven Solidarität mit dem Kampf des palästinensischen Volkes zu enthalten (keine Teilnahme an Gaza-Hilfsflottillen, keine Unterstützung von BDS usw.).
2014 setzte sich Gysi nachdrücklich dafür ein, dokumentierte Vorträge der (jüdischen) Journalisten David Sheen und Max Blumenthal (USA/Kanada) über die Diskriminierung von nichtjüdischen Asylsuchenden in Israel zu verhindern, weil die beiden «Judenhasser» seien. Nachdem sie versucht hatten, ihn wegen dieser Verleumdung zu konfrontieren, erhielten sie im Bundestag unbefristetes Hausverbot. Tatsachenverdrehung, Entsolidarisierung, programmatische Aufweichung und Kapitulation und Zensur – das sind Kennzeichen vieler dieser Aktivitäten. Die Aufzählung ließe sich mühelos erweitern, insbesondere, was Koalitionsregierungen mit Beteiligung der LINKEN angeht.
Das sind nicht einzelne politische Fehler, all das ist Ausdruck der wachsenden Anpassung der Partei an den Mainstream. «Man» will ja «politikfähig» sein – so wie SPD und Grüne. Die Kräfte in der LINKEN, die das begreifen und dem gegensteuern wollen, müssen endlich aus der Deckung kommen und gemeinsam aktiv werden, ehe es zu spät ist.
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