von Violetta Bock
Am 11.Dezember traten rund tausend Schülerinnen und Schüler in einen Streik, um auf die dringend notwendigen Sanierungen an Kasseler Schulen hinzuweisen.
Der Zustand der Kasseler Schulen ist seit längerem bekannt. Doch wurde darüber in der Öffentlichkeit bislang eher abstrakt diskutiert. Lehrkräfte einer Kasseler Gesamtschule hatten vor längerer Zeit einen Offenen Brief geschrieben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, er war von 49 der 60 Lehrkräfte unterzeichnet worden:
«Die Elektromagnete der Rauchschutztüren zu den Treppenhäusern sind seit Jahren defekt, so dass die Türen nicht von alleine offen stehen können. Dies führt dazu, dass Kollegen, die in innenliegenden Räumen arbeiten, diese nicht ausreichend lüften können und in den Sommermonaten wegen der hohen Temperaturen daher nicht nutzen können. Auch die Lichtkuppeln und die vorhandene Lüftungsanlage schaffen da keine Abhilfe. Weiter gibt es Räume im Schulgebäude, die in der Heizphase sehr warm werden, andere hingegen bleiben so kalt, dass sowohl Schüler als auch Lehrer ihre Winterjacken tragen müssen, um nicht zu frieren. Die Benutzung der Schülertoiletten ist unzumutbar, weil trotz intensiver Reinigung der Ammoniakgestank so stark ist, dass den Nutzern übel wird. Dieser Gestank kann nur durch eine Sanierung der WC-Anlagen beseitigt werden. Diese Zustände sind der Stadt Kassel seit mehreren Jahren bekannt», zitierte Lutz Getzschmann, Fraktionsvorsitzender der Kasseler LINKEN im Rahmen der diesjährigen Haushaltsdebatte am 11.12. aus dem Offenen Brief.
Doch auf den Brief war nicht viel gefolgt. Der Schulstreik könnte nun mehr ins Rollen bringen. In Kassel geht man von einem Sanierungsstau von 144 Millionen Euro aus. Im Haushalt 2018 eingestellt sind aus städtischen Mitteln jedoch lediglich 2,7 Millionen Euro. Hinzukommen 31 Millionen aus einem Landesprogramm, doch wie diese genau eingesetzt werden sollen, ist noch nicht bekannt.
Klar ist hingegen, dass sich an der Situation etwas ändern muss. Dynamik erhalten hat das Thema in Kassel, als die Schülervertretung der Offenen Schule Waldau begann, die Situation in ihren naturwissenschaftlichen Räumen zu thematisieren. Mit Unterstützung sozialistischer (Jugend-)Organisationen wie der SDAJ, der SAV, linksjugend solid, der GEW und der Kasseler LINKEN ging sie gezielt auf weitere Schulen zu und gründete das Bündnis «Unsere Zukunft erkämpfen». Aktionen in der Innenstadt, Gespräche mit Politikern, Unterschriftenlisten an den Schulen zielten darauf ab, auf die Situation aufmerksam zu machen und möglichst viele für einen Schulstreik am Tag der Haushaltsverabschiedung zu gewinnen. Als sich abzeichnete, dass es nicht bei einer kleinen Aktion bleiben würde, und weitere Schulen öffentlich von den Zuständen berichteten, wurde die Stadt nervös.
In der Woche vor dem Streik versuchten Lokalzeitung und Magistrat den Streik zu verhindern. Der Oberbürgermeister kritisierte den Aufruf zum Streik. Das Schulamt betonte, die Teilnahme am Schulstreik werde als unentschuldigtes Fehlen gewertet, die Stadt wies auf das Landesprogramm hin und meinte, die Situation sei doch gar nicht so schlimm. Und natürlich bemühten sich alle, das Bild so zu zeichnen, als seien alle Aktionen von der Linken gelenkt, die die Schüler instrumentalisiere. Doch die versuchte Abschreckung funktionierte nicht. Zu gut waren die Schüler aufgestellt, schließlich erleben sie die Bedingungen an den Schulen tagtäglich. Lehrer und Eltern waren den Aktionen ebenso gewogen und teilten die Notwendigkeit, mit ganzer Dringlichkeit auf das Problem hinzuweisen.
Als der Schulstreik dann kam, standen tausend Schüler vorm Rathaus, gemeinsam mit dem Schulelternbeirat, der GEW und Unterstützern. Im Rathaus wurde natürlich dennoch keine Erhöhung der Mittel beschlossen. Doch zeigten die Reaktionen und Berichte im Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und in überregionalen Zeitungen, dass das Thema Bildung in der Öffentlichkeit Unterstützung erhält. Kassel ist nicht die einzige Stadt mit Sanierungsstau. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beziffert die Gesamtkosten für die Instandsetzung maroder Schulen auf 34 Milliarden Euro. Im Februar hatte der Bundestag einen Nachtragshaushalt beschlossen, mit dem 3,5 Milliarden Euro für die Sanierung von Klassenräumen, Turnhallen und Schultoiletten zur Verfügung gestellt werden. Durch eine Grundgesetzänderung im Juni kann sich seit diesem Jahr auch der Bund an den Sanierungskosten beteiligen. Das ist jedoch nach wie vor viel zu wenig. Der deutsche Lehrerverband fordert Sanierungsausgaben in Höhe von 10 Milliarden Euro über vier Jahre. Um dies durchzusetzen, wäre es schön, wenn der Streik und weitere Aktionen auch in anderen Städten Schule macht.
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