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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2018

Betr.: Katalonien in der SoZ, November 2017

von Matthias Schindler

Die Repression der Regierung Rajoy gegen Katalonien ist zurückzuweisen. Das Recht der Katalanen auf Selbstbestimmung muss verteidigt werden. Die undemokratische Konstruktion des spanischen Staates, die Verfassung von 1978, die Dreieinigkeit König–Militär–Katholische Kirche und der spanische Nationalismus müssen kritisch hinterfragt werden. Daraus folgt aber nicht automatisch, die Abtrennung Kataloniens von Spanien anzustreben.

  1. Das demokratische Recht der Katalanen auf Selbstbestimmung ist eine Sache, und es ist eine ganz andere, einen neuen katalanischen Staat zu gründen. Für das Erste gibt es in Katalonien eine große Mehrheit, für das Zweite jedoch nicht.
  2. Bisher haben die Katalanen weder mehrheitlich für die staatliche Unabhängigkeit noch für die separatistischen Parteien gestimmt. 2015 erhielten diese Parteien zusammen 47,7 Prozent und errangen damit 72 der 135 Parlamentssitze. Mit dieser Mehrheit erklärten sie am 10.Oktober 2017 einseitig die Unabhängigkeit Kataloniens. Am Referendum vom 1.Oktober beteiligten sich 42,5 Prozent, von denen 90,1 Prozent für die Unabhängigkeit stimmten.
  3. Den Katalanen bleibt keineswegs «nur noch die Mobilisierung für einen Weg in die Unabhängigkeit», weil ihnen «sonst jeder Weg versperrt ist» (A.Klein). Sie könnten durchaus auch weiterhin auf politische Maßnahmen orientieren: z.B. auf die Verbreiterung ihrer Unterstützungsbasis innerhalb Kataloniens oder darauf, neue Bündnispartner im restlichen Spanien für sich zu gewinnen.
  4. Dass die katalanische Bewegung «von linken Kräften angeführt» wird, ist absurd. Der abgesetzte katalanische Präsident Puigdemont ist der Vorsitzende der traditionellen bürgerlichen katalanischen Mehrheitspartei PDeCAT (Katalanische Europäische Demokratische Partei), die die Geschicke Kataloniens seit 40 Jahren maßgeblich bestimmt hat. Diese Partei hat – zusammen mit der PP Rajoys – den neoliberalen Umbau Spaniens (einschließlich Kataloniens) betrieben und damit eine massive soziale Krise ausgelöst: 18 Prozent Arbeitslosigkeit; 30 Prozent von Armut bedroht; 40 Prozent der Katalanen haben einen niedrigeren Lebensstandard als ihre Eltern.
  5. Die nichtseparatistische Linke hat keine Position der «Äquidistanz» zum spanischen und zum katalanischen Nationalismus. Sie differenziert durchaus zwischen der im Franquismus verwurzelten PP und der aus dem Widerstand gegen Franco hervorgegangenen PDeCAT. Sie weist die gewaltsamen Interventionen der spanischen Regierung gegen Katalonien zurück, und sie unterstützt das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens. Aber es gibt eine Kritik am neoliberalen Gesellschaftsmodell der PP in Madrid und der PDeCAT in Katalonien, an den gewaltigen Korruptionsskandalen beider Parteien und auch an der Vernachlässigung des Kampfes um soziale Verbesserungen gegenüber der nationalen Frage. Diese berechtigten Kritiken als «traditionalistisch» (J.M.Antentas) abzutun, ist aus linker Perspektive ziemlich fragwürdig.
  6. Der katalanische Nationalismus mobilisiert seine Anhänger mit der Parole «Spanien raubt uns aus». Dabei haben Abertausende Migranten aus ärmeren Gegenden Spaniens durch ihre Arbeit in Katalonien mit zum wirtschaftlichen Aufstieg dieser Region beigetragen. Sie haben ein Recht darauf, dass ein Teil des von ihnen mitgeschaffenen Reichtums auch zurück an ihre Heimatgegenden fließt.
  7. Katalonien ist kein einheitlicher Block für die staatliche Unabhängigkeit. Gerade in der Arbeiterschaft, die zu einem bedeutenden Teil aus dem ärmeren Süden Spaniens stammt, ist die katalanische Sprache und Kultur schwächer verankert, als in besser gestellten Schichten der Gesellschaft. 27 Prozent der Katalanen sprechen kein Katalanisch, und 44 Prozent können es nicht schreiben.
  8. Ein eigener neuer katalanischer Staat ist nicht realistisch! Die EU beruht fundamental darauf, dass ihre Mitgliedstaaten die Legitimität ihrer Regierungen gegenseitig anerkennen. Es gibt daher nicht die allergeringste Aussicht, dass die EU Katalonien als neuen souveränen Staat anerkennen wird.
  9. Catherine Samary schreibt in derselben SoZ, dass der globalisierte Kapitalismus «die Vorstellung von einem ‹Sozialismus in einem Land› undenkbarer macht denn je». Die Kapitalisten ziehen ihr Kapital zu Tausenden aus Katalonien ab. Ein neuer katalanischer Kleinstaat kann keine Perspektive für die Linke sein.
  10. Zusammengefasst halte ich die folgenden Punkte für essenziell:

– Volles Selbstbestimmungsrecht Kataloniens (einschließlich des Rechts auf Abspaltung).

– Solidarität mit Katalonien gegen die undemokratische und gewalttätige Politik Rajoys.

– Anerkennung der Multinationalität Spaniens.

– Demokratische Abstimmung aller Katalanen über ihre Unabhängigkeit.

– Ablehnung der Bildung eines unabhängigen katalanischen Staates.

– Vertiefung der Autonomierechte Kataloniens und der anderen Nationen Spaniens.

– Schutz und Förderung der nichtkatalanischen Sprachen und Kulturen in Katalonien.

– Gemeinsamer Kampf der Linken in Spanien (einschließlich Kataloniens) gegen den neoliberalen Kahlschlag, gegen die Korruption, für eine Republik und für die gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse unabhängig von ihren nationalen und kulturellen Zugehörigkeiten.

 

 

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