Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2018
Perspektiven für Palästina
von Manuel Kellner

Warum bestimmte politische Gruppierungen getrennt bleiben, obwohl sie mehr oder weniger dieselben Grundüberzeugungen haben, das wissen nur Götter, Gräber und Gelehrte. Ich selbst würde mich – vorläufig – gerne der dritten Kategorie zurechnen, wenn nicht mein Tagwerk mich meist daran hinderte, diese Rolle zu spielen. Marx 21 hat einen aktuellen Beitrag zum hierzulande höchst umstrittenen israelisch-palästinensischen Konflikt veröffentlicht, dem ich voll und ganz zustimme. Das finde ich immerhin bemerkenswert.

Ich schäme mich nicht zuzugeben, wie sehr mich die Tatsache bedrückt, dass dieses Thema gerade in Deutschland wie mit Tellerminen bepflastert erscheint, während die wirklichen massenhaften Opfer der Tellerminen und anderen von uns Deutschen exportierten Mordmaschinen in arabischen und anderen Ländern des globalen Südens sterben. Jede «Israelkritik» wird hierzulande als verschleierter Antisemitismus angeprangert, auch wenn sie rein internationalistisch motiviert ist.

«Das Volk, das ein anderes Volk unterjocht, schmiedet seine eigenen Ketten»,  schrieb Karl Marx 1870 mit Bezug auf die Teilhabe der englischen Arbeiterklasse an der Unterdrückung der irischen Bevölkerung. Ohne deren Selbstbefreiung sah er keinerlei Chance für die sozialistische Revolution in England, dem einzigen Land damals, in dem aus seiner Sicht die materiellen Bedingungen für eine solche Revolution gegeben waren.

Diese Einsicht ist heute auf die ganze Welt anwendbar. Die abhängig Beschäftigten der reichsten Industrieländer können sich nicht selbst befreien, ohne sich gegen die Plünderung und Unterdrückung der Bevölkerungen der armen und ärmsten Länder aufzulehnen. In Palästina sehen wir dasselbe Problem auf engem Raum zusammengedrängt. Auch in der jüdischen Bevölkerung gibt es Unzufriedenheit mit den Regierenden und Empörung gegen soziale Ungerechtigkeit. Doch in der gemeinsamen Frontstellung gegen die diskriminierte arabische Minderheit in Israel und besonders gegen die in Elend und Hoffnungslosigkeit lebende palästinensische Bevölkerung in den nach 1967 besetzten Gebiete bleibt die israelische Arbeiterklasse im zionistischen Konsens und als Teil des «globalen Westens» an ihre kapitalistischen Ausbeuter geschmiedet.

Die Absichtserklärung von Donald Trump, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und damit – entgegen der bisher praktizierten Position der USA und gegen alle einschlägigen UNO-Resolutionen – Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, ist der jüngste Schlag gegen die Hoffnung auf eine «Zweistaatenlösung» mit einem eigenständigen palästinensischen Staat neben Israel. Die Glaubwürdigkeit der von der Fatah geführten palästinensischen Autonomiebehörde in bezug auf eine Verhandlungslösung in diesem Sinne sinkt somit gegen Null, zumal die zwei neben der Jerusalemfrage entscheidenden Probleme – das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und ein territorial verbundener und lebensfähiger palästinensischer Staat – ebenfalls als völlig unlösbar erscheinen.

Darum ist es höchste Zeit, in Palästina und international eine andere Lösung wieder zur Diskussion zu stellen: die eines gemeinsamen arabisch-jüdischen demokratischen Staats Palästina, der allen Bevölkerungsteilen und Religionsgemeinschaften die gleichen Rechte garantiert. Nur in einem solchen Rahmen können die sozialen Probleme gelöst, die Wunden geheilt und auch Frieden und die Sicherheit des jüdischen Bevölkerungsteils gewährleistet werden. Das wäre freilich nur möglich im Bruch mit dem westlichen Imperialismus im Rahmen einer erfolgreichen arabischen Revolution für Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und zugleich das Läuten der Totenglocke für den reaktiven islamistischen Fundamentalismus.

Der naheliegende Einwand lautet: Das scheint ja noch viel unrealistischer zu sein als die viel beschworene Zweistaatenlösung. Tatsächlich muss jedes noch so bescheidene Teilziel auf dem Weg zur Selbstbestimmung des palästinensischen Volks, zur Erringung demokratischer und sozialer Mindeststandards und lebenswerter Perspektiven für alle in den besetzten Gebieten und in Israel, zur Beendigung der israelischen Landnahme, zum Ausbruch aus dem Teufelskreis von Hass und Gewalt solidarisch unterstützt werden.

In Palästina jedoch, wie in der ganzen Welt, scheinen im Rahmen der tiefgehenden Strukturkrise der kapitalistischen Klassenherrschaft bedeutende Teilerfolge nur noch möglich, wenn das scheinbar Unmögliche gewagt wird: die «Revolution in Permanenz» bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind (Karl Marx 1851).

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