von Hanno von Raußendorf
Seit 1923 gibt es in Leverkusen im Stadtteil Wiesdorf entlang des Rheins eine Deponie. Sie wurde zunächst von der Farbenfabrik, dann der I.G. Farben und später vom Bayer-Konzern genutzt. Neben viel Bauschutt und Siedlungsabfällen wurden dort zu etwa 15 Prozent auch Chemieproduktionsabfälle abgekippt, insgesamt 6,5 Millionen Tonnen.
Die Bezeichnungen der abgelagerten Giftstoffe lesen sich wie ein kleiner Rundgang durch das Periodensystem. 57 verschiedene Stoffe bzw. Stoffgruppen konnten nachträglich identifiziert werden, davon gelten mehr als 20 als krebserregend oder sie stehen in diesem Verdacht – unter anderem Chrom, Arsen, Benz-a-pyren und PCBs (polychlorierte Biphenyle). Das Problem dabei: Zur Zeit ihrer Entstehung wurden Giftmülldeponien noch nicht kartiert. Niemand weiß daher so genau, wo der Bauschutt liegt und wo die Chemieabfälle. Es ist heute unabsehbar, an welcher Stelle sich Konzentrationsnester bestimmter hoch toxischer Substanzen verbergen könnten.
Seit den 60er Jahren ist die Deponie nicht mehr in Betrieb. Sie wurde abgedeckt und teilweise mit Wohnungen überbaut. Seitdem hat sie schon einmal für bundesweites Aufsehen gesorgt. In den 80er Jahren ergaben Messungen ungewöhnlich hohe Schadstoffkonzentrationen, den Anwohnern wurde umgehend die Nutzung der eigenen Gärten untersagt. Am Ende mussten sie umgesiedelt werden, die Häuser hat man abgebrochen. Immer wieder war damals auch von einer ungewöhnlichen Häufung von Krebserkrankungen zu lesen. Bis zum Jahr 2000 wurde die Mülldeponie für rund 110 Mio. Euro aufwendig saniert und abgedichtet.
Jetzt steht sie wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die marode, vierzig Jahre alte Rheinquerung der A1 soll erneuert und dabei auf vier Fahrstreifen je Fahrtrichtung quer über das Deponiegelände ausgebaut werden. Für den Fahrbahnbereich ist ein Bodenaustausch von etwa zwei Metern vorgesehen, das Brückenbauwerk soll auf Pfählen ruhen, die etwa 26 Meter tief durch möglichen Giftmüll gebohrt werden.
Keine gute Idee, finden die Leverkusener Bürgerinnen und Bürger, angesichts der damit verbundenen Risiken. Sie führen Gutachten an, nach denen ein Bodenaustausch bis in eine Tiefe von 15 Metern notwendig wäre, und bevorzugen den Bau eines Tunnels unter dem Rhein. Dafür müsste die Deponie nicht angeschnitten werden. Es ergäben sich Vorteile beim Lärmschutz und der Feinstaubbelastung. Die Lebenserwartung eines Tunnels wäre mit geschätzten 100 Jahren zumindest deutlich höher als die der noch bestehenden Brücke. Und auch eventuelle Mehrkosten relativieren sich angesichts der Kostenrisiken, die mit einer Öffnung der Deponie verbunden sind. Zugleich wird vor einer Abwälzung der Deponiehaftung von der Bayer AG auf die Öffentlichkeit gewarnt. Steuerzahler würden bei künftigen Komplikationen in vollem Umfang haften.
Leider hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom Oktober dieses Jahres weniger Bedenken gezeigt und im wesentlichen grünes Licht für den Neubau der Brücke gegeben. Der Widerstand der Leverkusener ist derweil ungebrochen. Vergangenen Monat hat ein Fanclub des örtlichen Fußballvereins die mit mehreren tausend Teilnehmenden größte Demonstration für die Tunnellösung organisiert. Trotzdem war am 14.12. Spatenstich, die Bauarbeiten haben offiziell begonnen.
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