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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2018
Ein Fahrer klagt gegen DHL
von Karsten Weber

Aus der jüngsten Revision der EU-Entsenderichtlinie bleibt der Transportsektor ausgenommen (wir berichteten in SoZ 12/2017) – ausgerechnet der Sektor, der am meisten unter dem ungeregelten Arbeitsmarkt in der EU zu leiden hat.

Ingo Schulze, Vorsitzender des Kraftfahrerclubs Deutschland (KCD), begründete dies in einem Interview mit Beschwerden von Spediteuren aus Osteuropa, insbesondere aus Polen. Und das sei nur möglich, weil es keinen organisierten Widerstand gab und gibt. Der ohnehin begrenzte gewerkschaftliche Einfluss in diesem Bereich ist nach einem verlorenen Streik in den 80er Jahren eingebrochen, der Organisierungsgrad auf ein verschwindend geringes Niveau gesunken. Die Schmuddelbranche mit den kaum organisierbaren Einzelkämpfern hinter dem Lenkrad wurde von den Gewerkschaften weitgehend aufgegeben.

In den letzten Jahren gab es verschiedene unabhängige Versuche, dass die Fahrer sich selbst organisieren, doch die so entstandenen Organisationen blieben klein und untereinander zerstritten.

Die Kritik an den Zuständen in der Branche und an der Ausbreitung extremer Ausbeutung  kommt heute aus einer anderen Richtung: von kritischen Journalisten verschiedener Medien und von Camion Pro, einem Verband für Kleinspediteure. Der Unternehmerverband verbreitet  Faltblätter in verschiedenen Sprachen, um osteuropäische Fahrer zu ermuntern, die Zahlung des deutschen Mindestlohns einzuklagen. Das Mindestlohngesetz hat jenseits der Entsenderichtlinie Wirkung. Ausgenommenen sind Transitfahrten, nicht aber die häufigen Kabotagetransporte innerhalb Deutschlands.

Nun gibt es das erste Verfahren dieser Art, in dem ein tschechischer Fahrer, beschäftigt bei einer polnischen Spedition, die Deutsche Post DHL auf Zahlung des Mindestlohns verklagt. Die polnische Spedition ist Subunternehmer von DHL. Der Fahrer beruft sich bei der Klage auf die sogenannte Auftraggeberhaftung, die im Mindestlohngesetz (MiLoG) verankert ist. Über §13 MiLoG in Verbindung mit §14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) haften Unternehmer nämlich auch für beauftragte Subunternehmer – und sogar deren Subunternehmen (Nachunternehmerkette). Das Verfahren ist vor dem Arbeitsgericht Bonn anhängig.

DHL kommt zu einer anderen rechtlichen Einschätzung. Wörtlich heißt es: «In Abstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat sowie der Gewerkschaft Ver.di setzt die Deutsche Post DHL Group neben eigenem Personal auch Servicepartner für die Erbringung von Dienstleistungen ein, so zum Beispiel bei der Briefkastenleerung oder bei Beförderungsfahrten zwischen unseren Brief- und Paketzentren. Wir nutzen den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt und setzen im Rahmen der bestehenden rechtlichen Regelungen auch Unternehmen aus benachbarten Ländern ein, zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Transporten.»

Der Schwarze Peter wird an die Subunternehmen weitergereicht: «Wenn wir Servicepartner beauftragen, stellen wir auch im Sinne unseres Qualitätsversprechens hohe Anforderungen an diese und verpflichten diese bereits bei der Ausschreibung zur Einhaltung aller gesetzlichen Regelungen, wie der geltenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen sowie explizit auch der Beachtung des Mindestlohngesetzes. Dies lassen wir uns bei Vertragsabschluss durch den jeweiligen Auftragnehmer schriftlich bestätigen. Werden uns Verstöße gegen geltende Gesetze bekannt, haben wir das Recht, das Vertragsverhältnis zu beenden und machen davon auch Gebrauch.»

Das Urteil des Arbeitsgerichts dürfte für den Transport- und Logistiksektor große Auswirkung haben, wenn der tschechische Fahrer Recht bekommen sollte.

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2 Kommentare
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