von Michael Sankari
Wie werden wir in Zukunft arbeiten – angesichts ungebremster Flexibilisierungsansprüche auf den Märkten und in den Unternehmen, zunehmender struktureller Schwächung der altbewährten gewerkschaftlichen Taktiken und Strukturen, wachsender Angriffe auf die Mitbestimmung in den Betrieben?
Im Jahr 2014 legte Andrea Nahles in Co-Produktion mit Yasmin Fahimi, erst geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG BCE, dann bis 2015 Generalsekretärin der SPD, in einem Beitrag für das «Denkwerk Demokratie» ihre Vorstellungen über eine «Politik für ein neues Normalarbeitsverhältnis» nieder. Der Beitrag ist nicht lesenswert, es ist der übliche Eiertanz zwischen neoliberalen Heilsversprechen und der Hoffnung, auf der Seite der Krisengewinnler zu stehen, wenn wir nur alle flexibel und offen sind für Neues und mitgestalten statt kritisieren.
Der Beitrag, den Bernd Riexinger und Lia Becker im Supplement 9/2017 zur Zeitschrift Sozialismus vorgelegt haben, verspricht demgegenüber nicht weniger als «for the many, not the few» zu stehen und «gute Arbeit für alle» anzustreben. Doch so wenig wie eine noch so linke Labour-Politik die Abschaffung des Lohnsystems propagiert, so wenig finden wir dies in dieser Veröffentlichung wieder.
Die Stärke des Riexinger-Flügels in der Partei DIE LINKE kommt hier deutlich zu tragen: Der Beitrag fasst alle fortschrittlicheren Positionen der DGB-Gewerkschaften, die im Zuge der Diskussion um die Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt heute eingenommen werden, zusammen und versucht, daraus eine linke Taktik zu machen, was die Positionen durchaus radikalisiert. Die Orientierung bricht mit der Sozialpartnerschaft und orientiert auf konfliktwillige und konfliktfähige Gewerkschaftsstrukturen, versucht Bewährtes zu bewahren und nötige Klarheit zu entwickeln.
Becker und Riexinger sehen dabei fünf entscheidende Säulen für ein zukünftiges neues «Normalarbeitsverhältnis», sie lesen sich wie ein «Wünsch-dir-was» jedes lohnabhängigen Menschen:
– Lohn muss für ein gutes Leben reichen und vor Armut im Alter schützen;
– Arbeit muss erlauben, das eigene Leben zu planen;
– Stress stoppen; für eine Harmonisierung der Arbeit;
– die Arbeit muss um das Leben kreisen, statt das Leben um die Arbeit: kurze Vollzeit;
– «demokratische Unternehmen» statt Managementwillkür und Renditedruck: Mitbestimmung ausweiten, Gewerkschaften stärken.
Dies alles wird im Papier zu einer Hoffnung auf die «Transformation der Arbeitswelt» zusammengefasst, wie sie wünschenswerter nicht sein könnte. Allerdings wirkt an dieser Stelle, wie ähnliche Papiere aus der Partei DIE LINKE und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Papier verloren in der Hoffnung auf grundsätzliche Veränderungen, richtige Ausrichtung auf Ausweitung der gewerkschaftspolitischen Arbeit auf diejenigen, die heute noch nicht von ihr erreicht werden und einer Absage an pragmatische Tarifrunden.
Eine grundlegende Transformation der Arbeitswelt ohne die dazu notwendigen Formierungen der Arbeiterbewegung wird es nicht geben. Das ist einerseits die Grundlage des Beitrags, und doch kann er genau hier nicht überzeugend praktische Anknüpfungspunkte konstruieren. Stattdessen setzt er bei der Einschätzung an, dass trotz aller existierenden Bewegung in betrieblichen und Tarifkämpfen, ohne die politische Manifestation von Veränderungen nichts zu holen sei und in den nächsten Jahren eine mehrjährige politische Kampagne für ein neues Normalarbeitsverhältnis notwendig ist. Dazu fordert der Text eindringlich auf, in der Hoffnung, daraus ein Zukunftsprojekt für breite gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, die Veränderungen durchsetzen können.
Was steckt drin für revolutionäre Politik?
Unhinterfragt bleibt das Bild des angestrebten «neuen Normalarbeitsverhältnisses» – als wäre das «alte» mehr als ein kurzweiliger, gerade mal zwei oder drei Jahrzehnte währender Traum gewesen mit hässlichen Fransen am Rande der Monopolbetriebe. Aber sei’s drum: an Träumen, auch an illusorischen, mag es möglich sein anzuknüpfen. Um es positiv zu sehen: Solange die Achse Riexinger/Becker in der Partei eine Stimme hat, steht sie einer breiteren Formierung und Reorganisierung der Arbeiterbewegung nicht im Wege.
Nicht erkannt scheint noch immer, was für eine derartige neue Offensive notwendig wäre: landesweit verankerte kämpferische Kerne in den Betrieben und Gewerkschaften, die ein solches Vorhaben aufgreifen und über das Ziel hinaustreiben könnten. Diese Kerne sind aber, bis auf wenige Ausnahmen, in den letzten Jahren verrentet worden, und es gelingt nur mühselig, eine neue Generation aufzupäppeln, die eine solche Strategie umsetzen und durchsetzen könnte. Hier wäre tief stapeln angesagt – die Partei DIE LINKE könnte eine positive Rolle in diesem Prozess spielen, wenn sie ihre Mitglieder in Betrieb und Gewerkschaft befähigen würde, sich den Ansprüchen der Zeit zu stellen.
Dann bliebe immer noch die Frage, warum wir nicht angesichts der anhaltenden Krisen und der sich im Alltagsbewusstsein erschließenden Möglichkeiten für eine Welt jenseits von Kapitalismus, Ausbeutung und Unterdrückung offen die Abschaffung des Lohnsystems propagieren – aber dies steht auf dem Papier, das sich nicht damit abfindet, sich den neoliberalen Unterwerfungsphantasien unterzuordnen. Das wird wohl kaum in der Linkspartei geschrieben. Beim besten Willen nicht.
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