von Manuel Kellner
Wer den Autor dieses Büchleins aus ökosozialistischen Zusammenhängen der politischen Bildungsarbeit kennt, weiß, wie wenig dieser linke Theologe dazu neigt, mit seinen religiösen Überzeugungen hausieren zu gehen. Desto willkommener ist nun sein vorliegendes Angebot zum «solidarischen Streit» mit seinen nichtgläubigen Kampfgefährten für eine menschenwürdige Welt.
Bruno Kern ist weit davon entfernt, die Position von Karl Marx zu entstellen, um sie besser zerpflücken zu können. Im Gegenteil, er gibt sie umfassend und zutreffend wieder, wie er sich überhaupt zum Ziel gesetzt zu haben scheint, die Ideen von Karl Marx einem – nicht zuletzt linkschristlichen – Publikum nahezubringen, das sich bislang noch nicht darauf eingelassen hatte. Davon zeugen die von ihm eingeleitete Textsammlung Karl Marx: Texte, Schriften (siehe SoZ 10/2015) wie auch im letzten Jahr sein biografisches Buch Karl Marx. Ökonom – Redakteur – Philosoph (Weimar 1917).
Den Tod bezeichnet Bruno Kern nun hier als die «stärkste Antiutopie» und sieht zu Recht keinen Trost in der Berufung auf die (nebenbei gesagt: selbst höchst illusorische) unsterbliche Menschheit im Gegensatz zum sterblichen einzelnen Menschen, wenn Karl Marx schreibt: «Der Tod scheint als ein harter Sieg der Gattung über das Individuum und ihrer Einheit zu widersprechen; aber das bestimmte Individuum ist nur ein bestimmtes Gattungswesen, als solches sterblich.»
Doch der Wunsch nach persönlicher Unsterblichkeit ist nicht universal menschlich. Im Buddhismus etwa gilt vielmehr umgekehrt der Ausbruch aus der Kette der Wiedergeburten als Ideal. Schon in seiner Frühschrift über Tod und Unsterblichkeit (die Bruno Kern durchaus kennt und auch erwähnt) mokierte sich der Religionskritiker par excellence, Ludwig Feuerbach, über die Vorstellung einer «salzlosen», qualitätsfreien weil unbegrenzten Fortdauer.
Im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung gewinnen die Massen erst dann, wenn sie dafür bereit sind zu sterben. Auf die Frage seiner «gemäßigt» sozialistischen Gegner, ob denn die Bolschewiki einen «Pakt mit dem Sieg» geschlossen hätten, antwortete Trotzki im Ton eines «Erzengels» von Paco Ignacio Taibo II: «Nein, wir haben einen Pakt mit dem Tod geschlossen.»
Walter Benjamin brachte diese Art von Einstellung in seinen geschichtsphilosophischen Thesen auf den Punkt:
«Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Bei Marx tritt sie als die letzte geknechtete, als die rächende Klasse auf, die das Werk der Befreiung im Namen von Generationen Geschlagener zu Ende führt. Dieses Bewusstsein, das für kurze Zeit im ‹Spartacus› noch einmal zur Geltung gekommen ist, war der Sozialdemokratie von jeher anstößig. Im Lauf von drei Jahrzehnten gelang es ihr, den Namen eines Blanqui fast auszulöschen, dessen Erzklang das vorige Jahrhundert erschüttert hat. Sie gefiel sich darin, der Arbeiterklasse die Rolle einer Erlöserin künftiger Generationen zuzuspielen. Sie durchschnitt ihr damit die Sehne der besten Kraft. Die Klasse verlernte in dieser Schule gleich sehr den Hass wie den Opferwillen. Denn beide nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel.»
Nach dem Zeugnis seines alten Kampfgefährten (und zeitweise fraktionellen Gegners) Karl Marx kommentierte Karl Schapper auf dem Sterbebett die Tatsache, dass der ehemalige Junghegelianer Arnold Ruge seinen Atheismus aufgegeben habe und wieder an ein Leben nach dem Tod glaube, mit gutem Humor: Falls es dieses gebe, werde «die Seele Schapper die Seele Ruge im Jenseits holzen».
Mit Feuerbachs Diagnose der religiösen Inhalte als Projektion von Menschlichem war für den jungen Karl Marx die Kritik der Religion «erledigt», wie Bruno Kern richtig schreibt. Sie taucht wieder auf im Kapital bei der Kritik des Waren- und Geldfetischs, dieses Götzen, der heute die Welt beherrscht. Bedarf es eines «kosmischen» Sinnzusammenhangs als Grundlegung für die Befreiung, wie Bruno Kern uns sagt?
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