von Pierre Rousset*
Seitdem China in den 80er Jahren zum Übergang in den Kapitalismus aufgebrochen ist, hat sich auch sein internationaler Status drastisch verändert. Heute ist China:
– die zweitgrößte Ökonomie der Welt (je nach Rechenart sogar die stärkste Ökonomie);
– der größte Warenumschlagplatz;
– das bedeutendste Zentrum der Industrieproduktion;
– der zweitgrößte Empfänger von Auslandsdirektinvestitionen – seine eigenen Auslandsdirektinvestitionen liegen an fünfter Stelle;
– das Land mit den größten Devisenreserven;
– das Land, das die meisten US-Staatsanleihen hält;
– der größte Energiekonsument und in absoluten Zahlen der größte Umweltverschmutzer;
– das Land mit den meisten Millionären und Milliardären.
Im Jahr 2015 übertraf der Kapitalexport erstmals den Kapitalimport. Die multinationalen Konzerne sind mit ihrer chinesischen Produktion in diesen Zahlen inbegriffen, aber ein großer Teil der Exporte geht auf das Konto der Staatskonzerne, und der Staat behält die Kontrolle über Wirtschaftszweige, die als strategisch gelten.
Chinas wirtschaftlicher Einfluss hat den der EU überflügelt. Da das Land einen enormen Bedarf an Importen von Lebensmitteln und mineralischen Rohstoffen hat, arbeitet es an einem riesigen Netz von Kommunikationswegen und der Kontrolle von Ressourcen.
China hat einen bedeutenden Militärsektor aufgebaut und ist mittlerweile in allen Wirtschaftszweigen mit eigener Produktion präsent, die traditionell zu einer Großmacht gehören – von der Luftfahrt bis zur Atomtechnologie. Das heißt nicht, dass China zur Supermacht aufgestiegen wäre, das sind und bleiben die USA. Die militärischen Kapazitäten Chinas sind mit denen der USA nicht zu vergleichen. China bleibt auch abhängig von der Hightechproduktion in den USA, auch wenn Peking sich vorgenommen hat, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien.
Allerdings ist Washington heute unfähig, seine Rolle als Supermacht wirksam auszufüllen, was zweitrangigen oder regionalen Mächte den Spielraum verschafft, ihre eigenen Interessen stärker zu verfolgen. Die Ambitionen der derzeitigen chinesischen Führung kennen keine Grenzen, und Washington hat nicht die Absicht, seinen Status als Supermacht mit jemandem zu teilen. Die sich daraus ergebenden Konflikte treten auf allen Gebieten hervor und prägen bis auf weiteres die Weltlage. China plant seine strategischen Ziele allerdings mit längerem Atem als der, der auf die kurzfristige «Rentierlichkeit» von Investitionen schaut.
Auf dem Weg zu einer klassischen Weltmacht
Ist China schon ein sich konsolidierender Imperialismus oder noch im Stadium, sich als solchen herauszubilden? Darüber lässt sich streiten. Fakt aber ist, dass China handelt wie eine imperialistische Macht und entsprechende Ziele verfolgt: Kontrolle der Kommunikationswege durch den Kauf von Häfen und Schifffahrtsgesellschaften sowie Flughäfen; Kontrolle der agrarischen und mineralischen Ressourcen durch massive Käufe von Land und Bergwerken; Kontrolle der Technologien durch Kauf von Spitzenunternehmen, vor allem in Europa; Kontrolle multilateraler Finanzinstitute auf dem einfachsten Weg: indem es eigene gründet wie die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank und es schafft, europäische Staaten daran zu beteiligen, zum großen Leidwesen Washingtons, das mit seiner Asiatischen Entwicklungsbank in Konkurrenz dazu geraten ist.
China baut sich zu einer klassischen Weltmacht auf, integriert sich dabei aber in den bestehenden Weltmarkt und beachtet dessen Regeln: Es ist der WTO und dem IWF beigetreten, der den Yuan in seinen Währungskorb aufgenommen hat. Das bedeutet, dass die chinesische Führung nicht eine Alternative zur herrschenden Ordnung anpeilt, sondern eine Alternative innerhalb dieser Ordnung. Andersherum macht sich der Einfluss dieser Ordnung sogar im Herzen des Regimes selbst bemerkbar und könnte morgen zu einer richtigen Krise der Regierbarkeit führen.
Chinas Hauptvorteil ist, dass Deng Xiaoping nach dem Tod Mao Zedongs in der Lage war, eine kollektive Führung aufzubauen, die den Übergang zum Kapitalismus steuern konnte. Das Herz dieser Führung bildet die bürokratische Bourgeoisie. Diese ist über Familienbande mit der großen Privatbourgeoisie verbunden, was dem ganzen Stabilität verleiht.
Einen Beleg für diese enge Verquickung bot eine Enthüllung der New York Times am 26.10.2012 (zur Zeit des 18.Parteitags), die das enorme Vermögen der Familie des damaligen Premierministers Wen Jiabao publik machte – damals wusste man nicht, ob er das Vermögen selbst zusammengekratzt oder ob seine Verwandten seine Position dazu ausgenutzt hatten.
Im Jahr 2012 veröffentlichte das Nachrichtenportal Bloomberg das Vermögen von Xi Jinping und dessen Familie: er soll 300 Mio. Euro in Mobiltelefone, Erzgewinnung und Immobiliengeschäfte investiert haben, die angeblich von seiner älteren Schwester, seinem Schwager und seiner Tochter geführt werden.
Die Folge ist, dass die Korruption heute allgegenwärtig ist, sie ist zu einem organischen Bestandteil des Systems geworden. Die Kinder hoher Würdenträger schaffen ihr Vermögen heimlich in Steueroasen, bekannte Persönlichkeit veranlassen, dass ihre Familien sich mit ihren Vermögen im Ausland niederlassen (in den USA oder Kanada…) und dort teilweise eine fremde Staatsbürgerschaft annehmen. Die Investitionen, die chinesische Konglomerate im Westen tätigen, werden dazu genutzt, in großem Stil Kapitalflucht zu organisieren – so sehr, dass Peking die Politik der Unternehmenskäufe im Ausland jetzt drosseln will.
Die wirtschaftliche Expansion Chinas ist allerdings auch ein Mittel, um der wachsenden Schuldenlast und den überschüssigen Produktionskapazitäten im Land selbst gegenzusteuern. Den chinesischen Fabriken, insbesondere der Bauindustrie und den Stahlwerken, werden damit neue Aufträge und Zehntausenden Chinesen neue Arbeit verschafft, denn traditionell beschäftigt Peking auf Baustellen im Ausland die eigenen Landsleute. Es scheinen jedoch Zweifel angebracht, ob China dauerhaft den Ausbruch der Wirtschaftskrise verhindern kann, mit der der Kapitalismus schwanger geht, und ob es dann noch mit denselben Mitteln darauf antworten kann wie in der Vergangenheit.
* Der Autor betreibt die Webseite Europe Solidaires sans Frontières (ESSF) mit Artikeln in französischer und englischer Sprache (www.europe-solidaire.org).
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