von Pierre Rousset
Der 19.Parteitag der KPCh hat den Aufstieg von Xi Jinping besiegelt und einem Regimewechsel sein O.K. gegeben. Hinter der Fassade institutioneller Kontinuität erfährt das Einparteisystem eine radikale Transformation seiner gesellschaftlichen Grundlagen – mit ähnlicher Tragweite wie der Übergang von der maoistischen Periode zu Deng Xiaoping.
Drei Machtzentren haben in China lange Zeit nebeneinander existiert: die Partei, die Regierung und die Armee (die auch eine bedeutende Wirtschaftskraft darstellt); dazu kommen noch die diversen Geheimdienste. Diese Konstellation hat dem Regime eine gewissen Flexibilität verschafft und es in die Lage versetzt, die verschiedenen Sektoren der Bürokratie zu bedienen. Die Partei hat zwar das Monopol auf die politische Macht, aber in diesem riesigen Land kann die Umsetzung von Entscheidungen sehr unterschiedlich ausfallen, je nach den innerparteilichen Kräfteverhältnissen vor Ort und regional. Dank solcher Risse im Monolithismus und dank der Differenzen innerhalb der Führungsorgane bis hinauf zur höchsten Ebene kann demokratischer und sozialer Protest Spielräume finden.
Xi Jinping und seine Unterstützer wollen diese Räume schließen und die Partei zur alleinigen Kontrollinstanz machen, deren Arm bis in das entlegenste Dorf reicht. Zu diesem Zweck soll die Partei von einer Fraktion und einer Generation geführt werden, die Macht soll auch innerparteilich nicht aufgeteilt werden. Das Machtzentrum der Partei bildet der siebenköpfige Ständige Ausschuss des Zentralkomitees (das Politbüro zählt 25 Mitglieder, das ZK 297 ständige Mitglieder). Diese sieben Mitglieder sind alles Männer, die in den 50er Jahren geboren sind. Sie sind heute zwischen 60 und 67 und gehören der fünften Kadergeneration an. Im Gegensatz zur bisherigen Gepflogenheit wurde kein Vertreter der nachfolgenden Generation in das Gremium aufgenommen, die Frage der Nachfolge wurde nicht angeschnitten. Das ist umso erstaunlicher, als nur drei der sieben Mitglieder beim nächsten Parteitag 2022 wiedergewählt werden können, wenn die geltenden Regeln beachtet werden. Die Frage, was nach 2022 kommt, ist deshalb völlig offen, was Xi Jinping und seinen Unterstützern sehr gelegen kommt.
Die «roten Prinzen»
Xi Jinpings Fraktion war an der Spitze der Partei zunächst in der Minderheit, sie konnte sich nur durchsetzen, weil sie Konflikte zwischen anderen Cliquen ausgenutzt hat, in deren Gefolge mächtige Rivalen wie etwa Bo Xilai, der ehemalige Chef der Region Chongqing, ausgeschaltet wurden (er stürzte im Jahr 2012).
Um seinen Durchgriff zu rechtfertigen, hat Xi eine neue Lesart aufgebaut. Er hat den «feudalen» Begriff der «Abstammung von rotem Blut» eingeführt. Demnach steht die Macht legitimerweise allein den Nachkommen der hohen historischen Führer zu, den «roten Prinzen», denen die Kader aus einfacheren Verhältnissen Platz machen müssen. Seit dreißig Jahren haben die Angehörigen dieser «Generation» eine immense politische und ökonomische Macht akkumuliert. Um ihre Position zu konsolidieren und zu verewigen, berufen sie sich gemeinsam, jenseits ihrer politischen Differenzen, auf ihre Abstammung.
Xi bedient sich ganz ungeniert aus diesem Reservoir. Die Presse schreibt über seine «roten Gene» und begann schon drei Monate vor dem Parteikongress, ihm die ganz neue Formel vom «Kern des Parteizentrums» anzuheften. Der Parteikongress hat ihn auf dieselbe Stufe wie Mao Zedong und Deng Xiaoping gehoben und das «Xi-Jinping-Denken» ins Parteistatut aufgenommen. Diese Ehre war selbst Deng Xiaoping erst nach seinem Tod zuteil geworden. Damit erhält er eine ideologische Vormachtstellung, die es seit den 80er Jahren nicht mehr gab.
Der Parteitag hat die neue Führung mit einer beispiellosen Macht über die Gesellschaft ausgestattet. In den vergangenen fünf Jahren erreichten die Cliquenkämpfe in der Partei eine Intensität und einen Grad an Gewalttätigkeit, wie seit den 80er Jahren nicht mehr. Mit Hilfe von Säuberungen hat sich die Führung um Xi Jinping vor allem die fraktionelle Kontrolle über die Armee und die Sicherheitsapparate gesichert. Sicher hat Xi noch mächtige Fraktionen in der Partei gegen sich, aber er konsolidiert sein Legitimität, indem er die Karte des Großmachtnationalismus voll ausspielt.
Flucht nach vorn
Wie will man aber das Monopol auf die politische Macht einem Führungsteam garantieren, das völlig auf sich selbst bezogen ist, in einer Partei, die 89 Millionen Mitglieder zählt, und in einem so riesigen, regional so unterschiedlichen Land? Es wird immer wieder Unruhen geben, man muss sie im Keim ersticken, jede dauerhafte unabhängige Organisierung muss von Anfang an verhindert werden, und das in einer Gesellschaft, die sich voll im Aufbruch befindet. Das kommt einer repressiven Flucht nach vorn gleich.
Die chinesische Führung manövriert sich damit in ein Dilemma: Sie kann nur unflexibel werden. Sie hat ihre Vorherrschaft erreicht, indem sie systematisch alle potenziellen Keime einer politischen oder sozialen Autonomie beseitigt oder unschädlich gemacht hat. Wenn sie nun die Zügel lockert, öffnet sie die Büchse der Pandora mit all denen darin, die auf Revanche sinnen. Sie wird aber mit Krisenerscheinungen konfrontiert sein (Schulden, Überproduktion…), die eine ökonomisch und gesellschaftlich flexible Regierung erfordern. Die schwere Hand der Partei, die auf der Bevölkerung lastet, ist für die Bevölkerung nur erträglich, wenn sie sich mit Stabilität und steigendem Lebensstandard verbindet.
Dasselbe gilt auf internationaler Ebene. Die rigide Amtsführung von Xi Jinping kann einmal selber zu einem Krisenfaktor werden.
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