Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018
Über israelische Reaktionen auf Trump
Gespräch mit Michel Warschawski

Wie reagiert die israelische Bevölkerung auf Trumps Erklärung, die US-Botschaft werde nach Jerusalem, in die Hauptstadt Israels, umziehen? Darüber sprach Cinzia Nachira für die italienische Webseite Rproject (www.rproject.it) mit Michel Warschawski vom Alternative Information Center (AIC) in Jerusalem.

 

Welche Wirkung hatte die Ankündigung Donald Trumps, Jerusalem einseitig als Hauptstadt Israels anzuerkennen, auf die israelische Öffentlichkeit?

Fast alle politischen Parteien haben die Entscheidung begrüßt – und sich dabei über die Tatsache hinweggesetzt, dass sich fast alle Staaten der Vereinten Nationen dagegen ausgesprochen haben. Netanyahu hat noch einmal wiederholt, es sei eine Tatsache, dass Jerusalem die Hauptstadt Israels sei, gleichgültig ob das anerkannt werde oder nicht. Aber natürlich stellt eine solche Erklärung eine Ermutigung dar. Dennoch glaube ich nicht, dass die USA den Sitz ihrer Botschaft nach Jerusalem verlegen werden, das haben auch Clinton und Bush schon angekündigt. Es ist heiße Luft…

 

Warum?

Weil die regionalen Rahmenbedingungen das nicht zulassen und Trump sich über diese nicht hinwegsetzen kann. Selbst Trumps Berater sagen, dass der Umzug frühestens in zwei Jahren stattfinden wird.

 

Auf der Seite der Palästinenser hat es, wie vorauszusehen war, Massenproteste gegeben. Ist es denkbar, dass Trumps Entscheidung den beiden Organisationen, die heute beanspruchen, die Palästinenser zu vertreten, nämlich die Hamas in Gaza und die Palästinensische Autonomiebehörde in der Westbank, helfen kann, ihre verloren gegangene Zustimmung wieder zurückzuholen?

Ja. Es gibt da zwei Elemente: Das erste ist der fast einstimmige Wille der Bevölkerung, Gaza und das Westjordanland politisch wieder zu vereinen. Das zweite ist das Scheitern der Strategie von Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Er hat immer auf die Fähigkeit der USA gesetzt, den Konflikt zu moderieren und auf Israel Druck auszuüben, dass es der Aushandlung eines Friedensvertrags mit den Palästinensern zustimmt. Jetzt hat Abbas gesagt, dass die USA diese Moderatorenrolle nach ihrer einseitigen Erklärung nicht mehr ausüben können. Das bedeutet nicht, dass er den USA nicht weiter den Hof machen wird, aber im Moment sind die Illusionen zerstoben, und das befördert die Wiederannäherung zwischen Hamas und Fatah.

Die Frage ist aber: Einheit für welche Strategie? Diese Frage stellt sich jetzt, ich werde mich hüten, darauf zu antworten, denn das setzt eine breite strategische Debatte im palästinensischen Widerstand voraus.

 

Nach Trumps Erklärung haben viele gesagt, mit der Heuchelei um die Zweistaatenlösung sei es nun vorbei, nun sei der Weg offen für eine Einstaatenlösung. Was meinst du dazu?

Ich halte das nicht für ein sehr kluges Argument. Wenn es den Palästinensern nicht gelungen ist, eine Kompromisslösung, also die Zweistaatenregelung, durchzusetzen, woher sollen sie dann die Kraft nehmen für eine Lösung, die zu 100 Prozent gegen die Wünsche der israelischen Bevölkerung und ihrer politischen Klasse geht?

Die Frage ist nicht: Welche Lösung?, sondern: Welche Strategie ist nötig, um das Kräfteverhältnis zu ändern, vor allem um den Palästinensern Mittel in die Hand zu geben, die permanenten Rückschritte aufzuhalten. Es ist Zeitverschwendung, über ein oder zwei Staaten nachzudenken. Wenn das Kräftegleichgewicht ein anderes ist, wird die politische Realität zeigen, welche Lösung möglich ist. Das ist auch in allen vorhergehenden antikolonialen Kriegen so gewesen, auch in Südafrika.

 

Das Kräfteverhältnis kann sich ändern, wenn sich das Bündnis zwischen den Palästinensern und der Minderheit der Israelis festigt, denen bewusst ist, dass sie sich ihren Regierungen entgegenstellen müssen– während die öffentliche Meinung in Israel die Regierung weitgehend unterstützt und immer mehr nach rechts driftet.

Zweierlei gilt es da zu bedenken: Die politische Lage in der Region wie auch weltweit und das Kräfteverhältnis zu den Palästinensern erlauben einer Regierung der extremen Rechten, die seit fast zwölf Jahren im Sattel sitzt, ihre Politik durchzusetzen ohne Rücksicht auf eventuelle Verhandlungen oder Kompromisse nehmen zu müssen.

Die öffentliche Meinung hingegen ist gespalten: Der eine Teil unterstützt Netanyahu, der andere möchte etwas anderes, verspürt aber keinen Druck, dafür etwas zu tun: es gibt Sicherheit, wirtschaftlichen Wohlstand usw. Der gemäßigte Teil der israelischen Öffentlichkeit ist also keineswegs mobilisiert in dieser Frage. Es heißt, eines Tages wird dieser Konflikt ein Ende haben. Aber derzeit konzentriert man sich auf andere Aspekte der israelischen Politik, heute steht bspw. die Korruption im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die knietief im Korruptionssumpf steckt.

Ich glaube, Netanyahu wird seine Legislaturperiode nicht überstehen, weil gegen alle um ihn herum – seine engsten Berater und Minister – gerade Ermittlungen aufgenommen werden oder Prozesse laufen. Auf der politischen Agenda Israels stehen derzeit nicht die Palästinenser, sondern der rapide und dramatische Verfall der israelischen Gesellschaft infolge der Korruption.

 

Gibt es Hoffnung, dass sich die öffentliche Meinung in Israel mit dem Palästinakonflikt auseinandersetzt?

Nicht in absehbarer Zeit, denn die Lage ist derzeit gut, sie lässt sich stemmen und ertragen. Und wenn dann noch der US-Präsident die harte Linie der israelischen Regierung bedingungslos unterstützt, was will man mehr? Auf kurze und mittlere Sicht wird die öffentliche Meinung in Israel keinen Kurswechsel verlangen, sie kann mit der kolonialen Besatzung leben, ohne dass ihr Gewissen dadurch belastet würde. Das ist keine gute Nachricht, aber es ist die Realität.

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