von Werner Rügemer*
Ist Öffentlich-Private Partnerschaft ein besonders schlauer Trick, um die Schuldenbremse zu umgehen, oder ist es ein von der Bundesregierung gefördertes Mittel, um anlagesuchendem Kapital lukrative Aufträge zu verschaffen?
Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD setzte 2017 eines ihrer wichtigsten Ziele durch: Die Privatisierung des Betriebs der Autobahnen in Deutschland. Dafür wurde eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft für Verkehr gegründet. Ihr werden ab 2020 die Autobahnen und Bundesstraßen übereignet. Gleichzeitig sicherte sich der Zentralstaat den direkten Zugriff auf den kommunalen Schulbau.
Privatisierung der Autobahnen
Die Verkehrsgesellschaft ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Sie gehört vollständig dem Staat, kann aber durch die privatrechtliche Konstruktion wie ein privates Unternehmen agieren: Außerhalb des Bundeshaushalts und ohne Beschlüsse des Bundestags kann sie Kredite aufnehmen, kann Tochtergesellschaften gründen, kann für die Erweiterung und Sanierung der bisherigen Autobahnen und für den Bau neuer Autobahnen Verträge an private Investoren vergeben.
Die GmbH kann ebenso nach dem Muster Public Private Partnership (PPP) – zu deutsch Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) – lukrative Betreiberverträge vergeben: Damit übernehmen Baukonzerne zusammen mit Banken und zahlreichen Subunternehmen für meist 30 Jahre alle Aufgaben, die bei Bau, Reparatur, Unterhaltung und Finanzierung von Strecken, Brücken und Zufahrten und bei Verkehrslenkung anfallen.
Diese langfristigen Verträge sind bei den Investoren wie den Versicherungen Allianz und Ergo und bei Banken äußerst beliebt: Gegen hohes Entgelt können sie bei geringer Kontrolle wirtschaften, drei Jahrzehnte lang. Der Autoverkehr ist ein stetiger, nie versiegender Fluss: Wo in der unsicheren Finanzwelt gibt es sonst noch eine so sichere Basis für jahrzehntelange Geschäfte, dazu noch mit Staatsgarantie?
Privater Schulbau
Die Große Koalition hat diese Konstruktion zudem noch doppelt abgesichert. Das Grundgesetz wurde dafür zweimal geändert.
Erstens: Ab 2020 greift die «Schuldenbremse», die für den Bund schon seit 2016 gilt, auch für Bundesländer und Kommunen. Sie wurde schon 2009 in das Grundgesetz aufgenommen. Der Staat, und damit nun auch die Bundesländer und die Kommunen, dürfen keine neuen Kredite aufnehmen.
Zweitens: Mit der Grundgesetzänderung von 2017 geben die Bundesländer ihre bisherige Verantwortung für den Betrieb der Autobahnen auf ihrem Territorium an die zentralstaatliche GmbH ab.
Mit dieser Zangenbewegung hat die Große Koalition im Dienste der von ihr gehätschelten «internationalen Finanzmärkte» eine neue Welle der Privatisierung angestoßen.
Zu dieser neuen Welle der Privatisierung gehört ein Geschenk der Bundesregierung an die Bundesländer: Die Bundesregierung kümmert sich ab jetzt um den Schulbau in den Kommunen. Das bedeutet: Die Bundesregierung fördert die Privatisierung des Schulbaus.
Weil dafür aber die Kommunen und Bundesländer keine neuen Kredite aufnehmen dürfen, sollen sie sich des Instruments PPP bzw. ÖPP bedienen. Die Bundesregierung setzt dafür auch die Beratungsagentur Partnerschaft Deutschland GmbH ein. Sie ist, wie die Verkehrs-GmbH, ebenfalls im staatlichen Eigentum, aber privatrechtlich verfasst. Sie soll die Kommunen bei Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb von Schulen beraten. «Beraten» bedeutet: ÖPP als alternativlos aufdrängen.
In der Selbstdarstellung macht die Agentur deutlich, dass die Schulen nur der Einstieg sind. Denn die Agentur soll die Kommunen auch bei allen anderen Bauvorhaben beraten, z.B. bei Rathäusern, Sporthallen, Schwimmbädern, Feuerwachen, Behördenzentren und kommunalen Straßen.
Ein vergiftetes Geschenk
Diese «Hilfe», dieses Geschenk der Bundesregierung an die Kommunen und Bundesländer, ist aber ein vergiftetes Geschenk. Denn ÖPP umgeht gezielt die Schuldenbremse: Rechtlich und buchungstechnisch nimmt die Kommune – oder ein Bundesland wie Berlin – bei ÖPP keinen Kredit auf, verschuldet sich also nicht, jedenfalls im formal-haushaltsrechtlichen Sinne.
Allerdings, und das ist ein ganz primitiver Trick: Die Kommune verschuldet sich trotzdem, nur auf andere Weise. Denn sie schließt mit dem Investor, der die Schule saniert oder baut und dann 20 oder 30 Jahre lang betreibt, einen langlaufenden Mietvertrag. Ein auf 30 Jahre abgeschlossener Mietvertrag ist natürlich auch eine bindende finanzielle Verpflichtung, eine Verschuldung – sie wird nur nicht so genannt.
Aber nicht nur das: Jedes ÖPP-Projekt, jede Schulsanierung nach dem ÖPP-Muster stürzt die Kommune langfristig in eine noch höhere Verschuldung. Denn der Staat, ein Bundesland, eine Kommune kann heute Kredite praktisch zum Nullzins bekommen. Wegen der Staatsgarantie kaufen große Versicherungskonzerne Staatsanleihen zum Nullzins. Damit könnte die marode Infrastruktur in Deutschland so günstig wie nie auf einen modernen Stand gebracht werden.
Wenn dagegen die Kommune nach dem ÖPP-Muster ihre Schulen saniert, dann muss sie dem Investor nicht nur einen langfristigen Gewinn garantieren, sondern in der Miete ist auch der Zins für die sehr viel teureren Kredite enthalten, den der private Investor im Vergleich zum Staat zahlen muss.
Die «Schuldenbremse» und ÖPP führen somit langfristig zu einer noch höheren Verschuldung der Kommunen und der Bundesländer. Und der Berliner Links-Senat aus SPD und Linkspartei erweist sich als vermeintlich schlauer, aber treudoofer Diener seiner «konservativen» bzw. gewinngierigen Herren.
Keine öffentliche Bilanz bisheriger ÖPP-Schulprojekte
Bundesregierung und Berliner Senat verdrängen gezielt alle bisherigen Erfahrungen mit PPP/ÖPP. Nach diesem Muster laufen Projekte seit knapp zwei Jahrzehnten. Es sind mehrere hundert. Weder das zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) noch die Bau- und Finanzlobby noch die Beratungsagentur Partnerschaft Deutschland GmbH veröffentlichen Bilanzen über die finanziellen Ergebnisse der bisherigen Projekte. Die Verträge sind ohnehin geheim.
Trotzdem wurde einiges bekannt, gegen den Willen der Geheimniskrämer. Und alles, was bekannt wurde, zeigt: Bei ÖPP behalten die Investoren die Oberhand. Sie erpressen den Staat. Sie setzen nach einigen Jahren Nachforderungen durch, erhöhen die Miete. Am bekanntesten sind die Hamburger Elbphilharmonie und die 90 Schulen des Landkreises Offenbach, des bisher größten ÖPP-Schulprojekts: die Miete hat sich verdoppelt. Um sie zu zahlen, musste der Landkreis Personal entlassen. Er gehört heute zu den am höchsten verschuldeten Landkreisen. Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe haben immer wieder auf die nicht erfüllten Versprechungen bei ÖPP hingewiesen – Bundesregierung, Baukonzerne und Finanzlobby wischen das vom Tisch. Die Leitmedien schweigen mit.
Das überhaupt größte ÖPP-Projekt in Deutschland ist seit 2003 die Lkw-Maut auf den Autobahnen (Toll Collect): Die Investoren und Betreiber Daimler, Deutsche Telekom und der französische Baukonzern Vinci schulden dem Staat seit Jahren etwa 8 Mrd. Euro wegen Minderleistung, zahlen aber nicht, und die Bundesregierung lässt sich das gefallen. Das erhöht die Verschuldung des Bundeshaushalts um 8 Mrd – das ist die Realität von des Finanzministers Schäuble gelobter Schuldenbremse («Schwarze Null»).
Noch kein Bundestagsabgeordneter hat bisher den Toll-Collect-Vertrag – er hat 17000 Seiten – vollständig einsehen dürfen. Ähnlich ist es bei anderen Autobahn-ÖPP-Projekten des Bundes, zum Beispiel der Autobahn A1 zwischen Bremen und Hamburg: Die Investoren fordern jetzt 787 Millionen nach wegen Gewinnausfalls.
Geheimhaltung. Erpressung. Noch höhere Schulden durch die Hintertür.
Projekt-GmbH: Die Tricks beim ÖPP-Instrument
Auch der Berliner Senat behauptet gelehrig: ÖPP ist keine Privatisierung. Eine GmbH in staatlichem Eigentum garantiere öffentlichen Einfluss. Aber das ist falsch. Die bisherige ÖPP-Praxis bei der Elbphilharmonie, den Offenbacher Schulen und Toll Collect beweist das.
Auch eine städtische GmbH funktioniert heute nach diesem Muster. Da sitzen zwar Stadträte und Abgeordnete im Aufsichtsrat, aber nach Aktien- und GmbH-Gesetz sind sie sanktionsbedroht an die Geheimhaltung der Betriebsgeheimnisse gebunden.
Für jedes ÖPP-Projekt gründet der Investor eine eigene GmbH und stattet sie mit der Mindestsumme von 25000 Euro aus. Die GmbH wählt die Subunternehmer aus (Hausmeister, Reinigung, Reparaturen, Grünflächenpflege, Security, Energiemanagement) und drückt sie im Werklohn – häufige Insolvenzen und Stillstand der Arbeiten sind die Folge.
Die GmbH kann Kredite aufnehmen, kann die für die Zukunft vereinbarten Mieten an Investoren verkaufen (Forfaitierung mit Einredeverzicht), kann Unternehmen wie Coca Cola gegen Gebühren Werbung betreiben lassen, kann in der schulfreien Zeit die Räume anderweitig vermieten, kann Auflagen für die Innenausstattung machen.
Wenn die GmbH überschuldet ist, kann sie die Miete nachträglich erhöhen, kann die GmbH ganz oder teilweise verkaufen – oder sie kann in die Insolvenz gehen und damit Folgekosten produzieren – oder sie kann mit Insolvenz drohen und damit Nachforderungen durchsetzen. Alle diese Varianten wurden schon «erprobt».
Neuvergabe ohne Prüfung: Beispiel Köln
Zwischen 2005 und 2007 vergab die Stadt Köln Sanierung und Betrieb von sechs Schulen nach dem ÖPP-Muster an den Baukonzern Hochtief bzw. an dessen Tochterfirma PPP Beteiligungs GmbH & Co KG. Die Verträge laufen 25 Jahre. Sie sind nach wie vor geheim. Niemand im Stadtrat weiß, wie sich die finanziellen Bedingungen bisher entwickelt haben.
Trotzdem hat der Stadtrat vor einigen Jahren beschlossen: Wir machen weiter mit ÖPP. Deshalb wurde vor der Neuvergabe weiterer ÖPP-Schulprojekte die Beratungsfirma DEKA Kommunal Consult GmbH mit einer teuren Auswertung der bisherigen Projekte beauftragt: Die enthält zwar aufgrund von Interviews ein günstiges Stimmungsbild bei Schülern, Eltern und Lehrern, aber keinerlei finanzielle Daten.
So vergab der Kölner Stadtrat 2017 die Sanierung und den 25jährigen Betrieb von vier weiteren Schulen an Vinci Facilities SKE GmbH. Vinci/SKE ist nicht nur Investor des katastrophalen ÖPP-Projekts im Landkreis Offenbach, sondern auch beim oben genannten, katastrophalen ÖPP-Projekt Toll Collect.
Zudem: Die Stadt Köln führt seit vielen Jahren eine Liste mit 203 sanierungsbedürftigen Schulen. Vier davon werden nach fünfjährigen Verhandlungen nun nach dem ÖPP-Muster saniert.
Endlich die Schulen sanieren! Neue Schulen bauen!
In Köln werden also ab jetzt 10 Schulen nach dem ÖPP-Muster saniert. Aber was ist mit den 199 weiteren Kölner Schulen? In Berlin sind etwa 800 Schulen sanierungsbedürftig. In Deutschland sind etwa 15000 Schulen sanierungsbedürftig.
Übrigens: Es werden, völlig überraschend, wieder mehr Babies geboren. Und Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Migranten werden benötigt, damit die Wirtschaft nicht schrumpft. Es müssen nicht nur die alten maroden Schulen saniert werden, es müssen auch neue gebaut werden! Aber mit ÖPP können nur einige «Leuchtturmprojekte» realisiert werden.
Dagegen: Der Staat kann zweierlei machen. Er kann Kredite zum Nullzins aufnehmen. Die Bundesregierung könnte damit einen Infrastrukturfonds auflegen und den Bundesländern und Kommunen zur Verfügung stellen. Der Staat könnte zudem die organisierte Steuerhinterziehung von in- und ausländischen Konzernen stoppen; es müssten gar keine neuen Steuern eingeführt werden, sondern die geltenden Gesetze müssten nur vollzogen werden.
Der Staat könnte das nicht nur tun. Er muss das tun, denn mit ÖPP würde nur ein winziger Teil der maroden Schulen im «Bildungsland Deutschland» saniert, es würden nur ein paar private Investoren noch reicher gemacht und die Kommunen durch die Hintertür noch mehr verschuldet.
Machen wir die Berliner Volksinitiative gegen die Privatisierung der Schulen zu einem Erfolg! In Schwäbisch Gmünd, Hannover, Braunschweig und vielen anderen Kommunen geht es jetzt um dieselbe Frage!
* Werner Rügemer ist Mitbegründer der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand und der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Er hat zahlreiche Bücher über Privatisierung geschrieben, u.?a. Werner Rügemer: «Heuschrecken» im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments. 2.Aufl. Bielefeld: Transcript Verlag, 2012. Das Buch enthält drei Dutzend Beispiele gescheiterter ÖPP-Projekte: Schulen, Schwimmbäder, Autobahnen, Tunnels, Gefängnisse sowie die Analyse der GmbH-Tricks und der mit ÖPP verbundenen Geheimhaltung, Finanzierung und des Einsatzes von privaten Beratern und Subunternehmern (www.werner-ruegemer.de).
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