Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018
Kritik der «Sammlungsbewegung» à la Lafontaine
von Thies Gleiss*

Grundlegende linke Alternativen sind heute so nötig wie nie zuvor. Doch viele Mandatsträger und Hauptamtliche der LINKEN sind konservativ geworden und ihre Führung flüchtet sich in Ausweichmanöver.

Eine größere Herausforderung des weltweiten Kapitalismus als durch die Millionen von Freihandel, Krieg und Umweltzerstörung zur Flucht getriebenen Menschen, gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Nirgends könnte die Notwendigkeit einer weltweiten sozialistischen Gemeinschaft und die Notwendigkeit einer neuen Internationale, die dafür kämpft, besser begründet und in tagespolitische Kämpfe integriert werden, als an der Frage von Flucht und Migration.

Doch die klug ausgearbeitete programmatische Positionierung der LINKEN zur Frage von Migration und Flucht wird von Teilen der Fraktion und ihr loyal folgenden Mitarbeitern und anderen Gefolgsleuten als angeblich nicht aktuell, sondern für die «ferne Zukunft gedacht» dargestellt.

Eine weltweite Umverteilung, die Beendigung von Rüstung und Kriegen und faire gleichberechtigte Wirtschaftsbeziehung auf der Welt sind wichtige Voraussetzungen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Wichtiger ist aber noch das weltweit soziale Recht auf Mobilität der Menschen, auf Freizügigkeit der Arbeitskraft, um die Spaltungsmöglichkeiten des Kapitals gegenüber der Arbeiterklasse zu mindern.

Stattdessen flüchtet ein Teil der konservativen oder konservativ gewordenen Schicht an Funktionsträgern in der LINKEN in ein absurdes Herumdrucksen, man müsse ja den Menschen helfen, könne es aber nicht; in ein Konstrukt, dass der Weltkapitalismus seine Probleme doch bitte lieber in nationale Grenzen stecken solle und ähnlichem Unsinn. Es wird mit nationaler Beschränkung der Politik und Trennung von Asyl und Migration gespielt, ohne klar zu sagen, wer solche Beschränkungen durchführen soll und wie sie aussehen könnten ohne Polizeistaatsmaßnahmen durchzuführen, wie sie die Rechten fordern.

Je simpler solche Reden daherkommen, umso weniger sind sie leider unterscheidbar von der rechten Kritik an den kapitalistischen Zuständen, die bekanntlich keine Kritik, sondern Bestätigung ist.

 

Flucht nach vorn zurück

Es gibt auch den theoretischen Versuch, dass die derzeitige Erstarrung der LINKEN damit zu erklären, dass sie noch nicht breit genug aufgestellt ist. Jüngste Beispiel dafür ist die These von Oskar Lafontaine, die Form der Partei DIE LINKE wäre überholt und müsse durch eine neue linke Sammlungsbewegung ersetzt werden, die das gesamte Spektrum von alter Sozialdemokratie bis zu neuen linken Jugendlichen abdecken würde. Sie müsse sich an Podemos in Spanien, an France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, oder auch an den Kampagnen von Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien orientieren.

Es wäre leicht, diesen Vorschlag von Oskar Lafontaine zu belächeln und ihn mit dem Hinweis, «in Deutschland nicht möglich» abzutun. Solche Sammlungsbewegungen sind dann erfolgreich, wenn eine oder auch mehrere linke politische Parteien weitgehend erodiert oder – wie in den USA – historisch noch gar nicht entstanden sind. Da solche Sammlungsbewegungen – bei Lafontaines Vorstellungen sogar mehr als anderswo – über Wahlen aufgebaut werden, ist ein Land mit Mehrheitswahlrecht, wie Frankreich, Großbritannien, USA, dafür leichter zu benutzen. Selbst im autoritätsgläubigen Deutschland wären in kürzester Zeit mehrere mit einander konkurrierende «Führer» auf dem Plan, die solche Sammlungsbewegung bestimmen wollen. Sein zusätzlich erwähntes Vorbild Podemos in Spanien hat eine völlig andere Geschichte und ist stark an die Existenz großer, neuer sozialer Protestbewegungen gekoppelt. Dieses Modell ähnelt der Entstehungsgeschichte der Grünen in Deutschland und ist bereits heute in den gleichen Vorstufen einer tiefen Krise wie die Grünen ab 1986, weil sie den radikalen Impuls einer Bewegungspartei durch eine undemokratische, auf das Parlament und Regierungsoptionen fixierte Reformpartei ersetzen will oder – schlimmer noch – ohne es bewusst zu wollen ersetzt hat.

Doch das ist die unwichtigste Kritik an Lafontaines Vorschlägen. Viel gravierender ist es, dass er auch damit – wie mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, bei denen er auch von Sahra Wagenknecht unterstützt wird – einen Rückschritt weit hinter die Positionen von Marx und Engels vollzieht, die damit zu ihrer Zeit die moderne sozialistische oder zumindest antikapitalistische Arbeiterbewegung begründeten.

Lafontaine ähnelt sehr dem großen Gegenpart von Marx, Ferdinand Lassalle. Dessen Vorstellung einer straff von ihm allein geführten Sammlungsbewegung mit Stützpunkten höchstens in einzelnen Arbeitervereinen war schon damals nicht in der Lage, die Aufgaben eines politischen Klassenkampfs der Arbeiterinnen und Arbeiter zu bewältigen.

Das trifft auf die heutigen – bisher immer nur vage angedeuteten – Ideen von Lafontaine noch viel mehr zu. Seine Idee einer Sammlungsbewegung auf Basis einer national beschränkten, etatistischen Kritik am Kapitalismus in Kombination mit proudhonistischen Wirtschaftsvorstellungen, bedeuten in jeder Hinsicht einen politischen Rückschritt.

Die seit Marx’ Zeiten entwickelte Konzeption einer demokratischen und aktivistischen Mitgliederpartei, die von unten nach oben aufgebaut ist, die einen pluralen und umfassend demokratischen innerparteilichen Diskurs pflegt und die vor allem auf einem Programm der vollständigen politischen Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung von den bürgerlichen politischen Kräften und Parteien aufbaut, ist ein großer politischer Fortschritt, der unzählige Erfolge der demokratischen und sozialistischen Bewegung – einschließlich revolutionärer Brüche – überhaupt erst möglich gemacht hat.

Lafontaines Vorschläge bedeuten gerade in Deutschland, dem Mutterland einer politischen Arbeiterbewegung, einen großen theoretischen und praktischen Rückschritt, der zu einer Partei oder einem parteiähnlichen Gebilde führen wird, das undemokratisch und beliebig den Störmanövern der bürgerlichen politischen Gegenkräfte ausgesetzt ist und von ihnen manipuliert werden kann.

Die Entstehung der Partei DIE LINKE ist zum Teil die Geschichte einer linken Sammlungsbewegung auf dem Fundament einer nicht sehr starken sozialen Bewegung. Sie muss diese Bewegungsverankerung stärken und den Charakter einer Sammlungsbewegung gerade in Richtung einer echten demokratischen Mitgliederpartei auf einem klaren Programm verlassen.

 

* Auszug aus einem Beitrag über die Entwicklung der LINKEN von Neujahr 2018, www.antikapitalistische-linke.de.

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