Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018
Pflegestreik – bald auch in der Altenpflege?
von Violetta Bock

«Ich will nicht, dass die Altenpflegerin vier Jahre auf bessere Arbeitsbedingungen wartet, nur damit sich die SPD wohlfühlt», wurde Martin Schulz in den letzten Tagen immer wieder zitiert im Zusammenhang mit dem Versuch, den sog. Zwergenaufstand in der eigenen Partei zu unterbinden. Die SPD mag sich nach dem Parteitag wieder wohlfühlen, eng gekuschelt an die CDU, für die Altenpflegerin stehen die Kämpfe noch bevor.

Der Fachkräftemangel in der Altenpflege ist in der Öffentlichkeit seit Jahren Thema. Mittlerweile ist die Altenpflege zum Mangelberuf Nr.1 geworden. Nach einer Information des Wirtschaftsministeriums für Arbeitgeber zur Beschäftigung von Flüchtlingen in der Altenpflege heißt es: Mitte 2016 waren gemeldete Stellenangebote für Altenpflegefachkräfte im Schnitt 153 Tage vakant – das sind 70 Tage mehr als die Vakanzzeit im Durchschnitt aller Berufe. Die GroKo wird daran kaum etwas ändern, die Hoffnung liegt vielmehr auf den Altenpflegerinnen selbst, von denen nun die ersten auf einen Streik zusteuern könnten.

 

Pflegebewegung 2017

Die Pflegebewegung in den Krankenhäusern hat bereits einige Stationen und Einrichtungen mobilisiert und das Thema Personalmangel in der Pflege auf die Tagesordnung gesetzt. Im Saarland einigte man sich am Universitätsklinikum Homburg auf einen Kompromiss. Ver.di hatte dort ein Ultimatum gestellt und mit einer 24stündigen Mahnwache und Dienst nach Vorschrift ab dem 1.Februar gedroht. Die Pflegekräfte hatten dort für die onkologische Station die Aufstockung von 18,5 auf 23 Pflegevollkräfte gefordert. Der Arbeitgeber hat nun 21 examinierte Vollkräfte und drei medizinische Fachangestellte versprochen. Da es aber Zweifel gibt, ob das ausreicht, haben die Pflegekräfte der Station für April eine Überprüfung beschlossen.

Für die gesamte Universitätsklinik ist jedoch nach wie vor kein Tarifvertrag Entlastung in Sicht und keine Verhandlungsbereitschaft der Klinikleitung. Daher werden dort nun Schritte zur Vorbereitung eines Arbeitskampfs unternommen. Das Jahr 2017 brachte für die Pflegebewegung insgesamt viele Durchbrüche. Erstmals streikten Beschäftigte in einem katholischen Krankenhaus, in der saarländischen Marienhausklinik. Im November konnte Ver.di durch Streiks und öffentliche Unterstützung den ersten Tarifvertrag Entlastung in einem privaten Krankenhaus, dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg abschließen, das zur Rhön AG gehört. 100 neue Stellen konnten dort in einem ersten Schritt durchgesetzt werden. Die Unterstützung für einen von Abschiebung bedrohten Kollegen aus Afghanistan durch die Belegschaft in Augsburg zeigte darüberhinaus, wie Stärke im Betrieb sich auch auf andere Felder ausdehnen kann.

Viele Aktionen und Streiks haben gezeigt, dass in der Pflege viele bereit sind, aktiv zu werden, weil der Personalmangel nicht länger zu ertragen ist. Hoffnungsvoll stimmt dabei auch, dass es bei der Pflegebewegung gelang, in Ver.di Lernprozesse über einzelne Landesverbände anzuregen, sowohl hinsichtlich Organisierung, Beteiligung und Demokratisierung durch Tarifberaterinnen, Unterstützerkreise, aber auch hinsichtlich der strategischen Ausrichtung und der Entwicklung einer transparenten Strategie gemeinsam mit den Beschäftigten. Nicht zuletzt ist dabei zu nennen, dass die Charité eine Vorreiterrolle übernommen hat, aber nun versucht, aus den Mängeln des ersten Abschlusses zu lernen und auf dem Papier Verhandeltes abzusichern (siehe SoZ 2/2017).

Die Weitergabe und Weiterentwicklung gelernter Erfahrungen innerhalb der eigenen Organisation sind ja leider keine Selbstverständlichkeit und es wird notwendig sein, dies auch in andere Fachbereiche zu tragen. Umso erfreulicher ist, dass in Bayern das gewonnene Wissen nun im ganzen Fachbereich auszustrahlen beginnt und auch den Teilbereich der Altenpflege erfasst hat.

 

Arbeitsbedingungen in der Altenpflege

Schon länger ist in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege in Deutschland katastrophal sind und zeigen, welchen Stellenwert der Kapitalismus pflegebedürftigen Menschen beimisst. Pflegekräfte sind schlecht bezahlt, der Arbeitsdruck ist hoch, für eine gute Versorgung fehlt die Zeit. In diesem Bereich arbeiten überwiegend Frauen, zu 85 Prozent. Mehr als 60 Prozent erhalten keine Vollzeitstelle, obwohl sie lieber mehr Stunden mehr arbeiten würden. Knapp die Hälfte der Teilzeitkräfte im Osten gibt an, dass ihr eine Vollzeitstelle lieber wäre.

Es fehlt an Personal, und die Situation wird sich weiter verschärfen. 2013 war ein Drittel der Fachkräfte über 50 Jahre. In fast 40 Prozent der Einrichtungen gibt es keinen Tarifvertrag, für Hilfskräfte gilt als Lohnuntergrenze der Pflegemindestlohn. Seit Januar 2018 liegt dieser bei 10,55 Euro im Westen und 10,05 Euro im Osten und wird 2019 nochmal um sagenhafte 50 Cent erhöht, 2020 kommen nochmal 30 Cent oben drauf.

Mitte Januar veröffentlichte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die jüngste Studie zu den Entgelten von Pflegekräften in Vollzeit und verglich diese regional und mit der Krankenpflege. Demnach verdienen Fachkräfte in der Altenpflege einen durchschnittlich 2621 Euro und damit 16 Prozent weniger als die Beschäftigten insgesamt. Helfer in der Altenpflege schneiden am schlechtesten ab. Sie verdienen mit durchschnittlich 1870 Euro gut 600 Euro weniger als Helfer in der Krankenpflege mit 2478 Euro.

Das mittlere Bruttoentgelt der Fachkräfte in der Altenpflege liegt in Ostdeutschland mit 2211 Euro knapp 20 Prozent unter demjenigen in Westdeutschland mit 2737 Euro. Unterschiede gibt es auch nach Bundesländern. Bei den Fachkräften in der Altenpflege reicht die Spannweite zwischen 1985 Euro in Sachsen-Anhalt und 2937 Euro in Baden-Württemberg.

All diese Belastungen führen zu hohen Krankenständen und mindern die Qualität der Pflege. Mit dem Pflegegesetz 1995 wurde die Altenpflege ökonomisiert und dem Markt preisgegeben. Inzwischen sind knapp über die Hälfte der 10000 Pflegeeinrichtungen in privater Hand. Dieser Anteil weitet sich aus, da in Zeiten niedriger Zinsen internationale Investoren in der demografischen Entwicklung Deutschlands eine sichere Anlage finden. Nun gilt: aufkaufen, Rendite steigern, verkaufen. Selbst in einem Artikel der Zeit wird beschrieben, wie der kapitalistische Mechanismus in der Altenpflege wirkt: «So verschmelzen in den Altenheimen zwei Antagonismen, die den Investoren in die Hände spielen: Die selbstlose Pflege eines alten und kranken Menschen, ein zutiefst karitatives Motiv, trifft auf das Kernprinzip des Kapitalismus: die Maximierung des Profits. Weil das kapitalistische Prinzip stärker ist, solange sich niemand beschwert, bedient es sich der Nächstenliebe und nutzt sie für sich» (Caterina Lobenstein, 8.12.2017, Zeit online).

Beschwert sich niemand? Die Situation empört in der Öffentlichkeit immer wieder. Dennoch hört man in der Altenpflege bisher wenig von Arbeitskämpfen. Vielfach wird dies darauf zurückgeführt, dass die Pflege historisch betrachtet größtenteils kirchlich-karitativ organisiert war und von Nonnen ausgeführt wurde. «Die Mentalität der Pflegekräfte ist zum Teil noch in dieser alten Struktur vom karitativen ‹Liebesdienst› verhaftet», so Wolfgang Schröder, Politikwissenschaftler und Autor des Buchs Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation (2018). Die relativ späte «Professionalisierung» trifft auf eine extreme Ökonomisierung und Arbeitsverdichtung. Schröder spricht von einem «gebrochenen Arbeitnehmerbewusstsein», das die Organisierung erschwere, ebenso wie der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung – nicht zuletzt deshalb, weil viele in erster Linie den Staat als verantwortlich betrachten und deswegen nicht in direkten Konflikt mit den Unternehmen treten. Die enge Beziehung zu den Pflegebedürftigen konnte bis jetzt noch nicht, wie in der Krankenpflege, in eine Bereitschaft zum Arbeitskampf gewendet werden.

Letztendlich ist es der Teufelskreis, der auch in anderen Branchen zu finden ist: Wegen der schwachen Organisierung ist die Gewerkschaft wenig präsent und mit weniger Ressourcen ausgestattet, dadurch lässt sich schlechter an sie anknüpfen. Es bräuchte also auch hier eine Offensive. Denn letzten Endes kann man von der Pflegebewegung vor allem eins lernen: Es beginnt mit Menschen, die eine Kampfperspektive eröffnen, indem sie ermutigen, die Beschwerden auszusprechen und in Forderungen und Strategien zu übersetzen.

 

Entlastung

In Bayern deutet sich an, dass dies passieren könnte. Der Fachbereich Gesundheit öffnet die sog. Zukunftswerkstatt für Beschäftigte nun für andere Teilbereiche des Fachbereichs. «Im Rahmen unserer Entlastungsbewegung in den Krankenhäusern haben wir im ‹experimentellen Vorwärtsgehen› Erfahrung gewonnen und auch spektakuläre Erfolge erzielen können», heißt es in der Einladung zum Organizingworkshop, mit dem man betrieblich und öffentlich auch jenseits von Tarifrunden in die Offensive kommen will. Mit dabei sind voraussichtlich auch Beschäftigte der Sozialservice-Gesellschaft gGmbH (SSG), eine Tochter des Bayerischen Roten Kreuzes mit 26 Standorten für SeniorenWohnen und 2500 Beschäftigten in ganz Bayern.

Dort hatte im November die dritte Verhandlungsrunde über eine Entgelttabelle zwischen der Geschäftsführung und Ver.di stattgefunden. Nachdem das Unternehmen sofortige Verhandlungen über eine Entgelttabelle ablehnte und Regelungen zu Lohn und Einspringen aus dem Frei anbot, stellte Ver.di Forderungen zur einheitlichen Einstiegsvergütung, einer prozentualen Entgelterhöhung von 4,5 Prozent und einem Mindestbetrag für alle auf. Vor allem verband Ver.di die Vergütung der Rufbereitschaft mit der Forderung nach Entlastung. Die Gewerkschaft entwickelte ein konkretes dreistufiges Verfahren im Fall von Überlastungsanzeigen bis hin zum Aufnahmestopp in einem Wohnbereich.

Nachdem sie zuerst Bereitschaft signalisiert hatte, leugnete die SSG-Geschäftsleitung dann jedoch die Notwendigkeit von Entlastung und zog das Angebot für eine höhere Vergütung bei Rufbereitschaft zurück. Die Verhandlungskommission hat daher entschieden, zu Aktionen zu greifen, um auch in der Altenpflege für Entlastung zu streiten, und die Einrichtungen aufgefordert, mit Fotos ihre Bereitschaft zu signalisieren. Bis Redaktionsschluss kamen bereits Fotos aus Schwaben, Nieder-, Oberbayern, sowie Franken mit dem deutlichen Signal: «Vorbei ist jetzt die Friedenszeit, denn wir sind zum Streik bereit!»

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