von Wolfgang Däubler
Seit Mitte Mai, seit der Sendung über Leiharbeit in Die Anstalt, habe ich über 500 Mails bekommen. In den ersten Tagen waren es besonders viele, doch Anfragen gibt es auch heute noch.
Die meisten Zusendungen waren in einem anderen Stil geschrieben, als ich ihn von Betriebsräten und Arbeitnehmern gewohnt bin. In jeder zweiten Mail war von «Ausbeutung» und «Sklavenhaltersystem» die Rede. Man sei von allen verraten und verkauft worden, die Gewerkschaften eingeschlossen. Manche schrieben, es ginge ihnen gar nicht so sehr um die schlechtere Vergütung. Vielmehr seien sie im Betrieb «Arbeitnehmer zweiter Klasse». Allerdings sehen sie für sich keinen «Sprecher», niemanden, der sich ihre Sache zueigen macht. Dies kann dazu führen, dass man eine am rechten Rand stehende Partei wählt. Das wäre dann für «die da oben» ein Denkzettel, wobei es die Wählenden nicht kümmern würde, dass gerade diese Partei die Arbeitslosenversicherung privatisieren will und auch sonst viele neoliberale Positionen vertritt. Dennoch: Die Konfrontation mit der Wut war für mich eine wichtige Erfahrung. Es wäre zu wünschen, dass auch unsere Entscheidungsträger mehr davon mitbekommen würden.
Gegen den Verleiher klagen?
Sehr viele Einsender gingen davon aus, es gebe schon eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, der man sich anschließen könne. Etwas derartiges ist in der Prozessordnung nicht vorgesehen. Der Einzelne muss seinen Verleiher verklagen, um Equal Pay, gleichen Lohn wie die Stammarbeitnehmer zu bekommen. In einem für die potenziellen Kläger bestimmten Papier habe ich versucht, die rechtliche Ausgangslage zu erklären. Entscheidender Punkt: Ohne Klage gegen den Verleiher geht es nicht. Hier kamen Einwände: Eine eigene Klage würde kosten und dafür reiche das Geld nicht aus. Ich habe darauf verwiesen, dass ein Kläger Prozesskostenhilfe beantragen kann – und notfalls stünde der Spendenfonds zur Verfügung. In der Regel erfolgte dann keine Reaktion mehr. Vermutlich waren es auch gar nicht in erster Linie die Kosten, die als Hindernis gesehen wurden. Man hatte Angst, den Verleiher vor den Kopf zu stoßen und bei nächster Gelegenheit vor die Tür gesetzt zu werden.
Nun gibt es aber Personen, die keine Angst mehr haben müssen, wie Gekündigte und Befristete. Nach der Statistik ist mehr als die Hälfte aller Leiharbeitnehmer nach drei Monaten wieder «draußen»: Aus dieser Gruppe gab es aber nach meinem Eindruck so gut wie keine Einsendungen. Recht häufig waren dagegen Anfragen von Leiharbeitnehmern bei Daimler, VW und BMW, die seit Jahren dort arbeiteten und mehr verdienten als z.B. eine Verkäuferin im Supermarkt. Ihr Ziel war im übrigen typischerweise nicht «Equal Pay», sondern eine Festanstellung bei einem Automobilunternehmen. Den potenziellen Klägern riet ich zu einem Prozess und benannte Anwälte. Im Juni und Juli 2017 hatte ich insgesamt etwa 25 Leiharbeitnehmer zusammen, die zum Anwalt gehen und einen Prozess wagen wollten. Ich hatte mir notiert, wen ich wohin geschickt hatte. Nach einigen Wochen fragte ich mal bei den Anwälten nach, wie es denn mit den neuen Mandanten gelaufen sei.
Angst auch bei denen, die keine Angst haben müssen
Nur ungefähr die Hälfte hatte sich tatsächlich gemeldet. Ich schrieb die «abgängige» Hälfte an und fragte nach. Die meisten haben geantwortet, manche ausweichend («keine Zeit»), manche hatten schlicht Angst. Erinnerlich ist mir ein Informatiker, dem der Job als Leiharbeitnehmer gestunken und der einen ganz normalen Arbeitsvertrag mit einem anderen Arbeitgeber mit Wirkung ab 1.1.2018 geschlossen hatte. Warum er nichts unternommen habe, wollte ich wissen, er könne noch einen schönen Batzen Geld bekommen und es außerdem dem Verleiher (den er auch nicht mochte) endlich mal heimzahlen. Antwort: Ja, ich hätte schon recht, aber es könne ja passieren, dass sein neuer Arbeitgeber in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerate und dann sei er froh, wenn er wieder bei seinem bisherigen Verleiher unterkomme. Eigentlich hätte er in der oben wiedergegebenen Terminologie sagen müssen: Ich will die Zuneigung des «Sklavenhalters» nicht verlieren.
Bei der anderen Hälfte der Mandanten gab es viele inhaltliche Probleme. Will man gleiche Bezahlung verlangen, muss man mindestens eine Vergleichsperson benennen, die dieselbe oder jedenfalls eine ganz ähnliche Arbeit macht. Dies ist manchmal sehr schwierig, weil der Leiharbeitnehmer in der Regel nicht in die «Familie» des Einsatzbetriebs aufgenommen ist und deshalb nicht über die intensiven Kontakte verfügt, die man braucht, um die genaue Gehaltshöhe von Kollegen zu erfahren.
Dazu kam ein weiteres Problem. In viele Verträge schreiben die Verleiher eine Klausel hinein, wonach alle Ansprüche nach Ablauf von drei Monaten verfallen. Nach der Rechtsprechung ist dies grundsätzlich zulässig. War jemand vor mehr als drei Monaten bei seinem Verleiher ausgeschieden (und deshalb eigentlich ein «guter» Fall), ist eine Klage aussichtslos. Nun gilt allerdings Abweichendes für Verträge, die nach dem 1.1.2015 geschlossen wurden: Da von diesem Zeitpunkt an der Mindestlohn galt, der auch nicht durch solche Fristen verkürzt werden darf, war eine Klausel unwirksam, soweit sie sich auf die gesamte Vergütung und damit auch auf den darin steckenden Mindestlohn bezog. Ob auch Klauseln in Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2015 geschlossen wurden, unwirksam waren, hatte das BAG dahinstehen lassen. Niemand von den Anwälten traute sich, vor Gericht die These von der Unwirksamkeit zu vertreten.
Doch noch eine Chance?
Ich hatte schon im Juni ein Papier von etwa 15 Seiten entworfen, das ich an die Anwälte schickte und das die Rechtslage mit all ihren Verästelungen wiedergab. In einem Fall wurde das Geschriebene aufgegriffen und in einen Schriftsatz integriert. Die Gegenseite – ein großer Verleiher – hielt es nicht für nötig, darauf auch nur mit einem einzigen Wort einzugehen. Am 24.Januar ist Gerichtstermin in Gießen*. In einem anderen Fall klagt jemand mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz und will ebenfalls Gleichstellung mit den Stammarbeitnehmern. Ich weiß allerdings nicht, was in der Klage und den nachfolgenden Schriftsätzen steht, denn eine Gewerkschaft klagt nicht gegen Tarifverträge, die sie selbst abgeschlossen hat, und deshalb wird die Angelegenheit wie eine geheime Verschlusssache behandelt.
* Die Klage gegen Randstad, die am 24.1. verhandelt wurde, wurde vom Arbeitsgericht Gießen abgewiesen. Die ausführliche Bewertung und Informationen, ob in die Berufung gegangen wird, stehen noch aus. Das ungekürzte Dossier ist auf www.labournet.de/wp-content/uploads/2018/01/leihklage_zwischenbericht1.pdf zu finden.
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