von Hermann Dierkes
Der Kurznachricht aus dem Bundestag zum Thema «Antisemitismus»-Entschließung von Tim Fürup in der Januar-SoZ muss ich widersprechen. Tim zufolge – und hier bringt er offenbar die Meinung der Linksfraktion zum Ausdruck – sei kein gemeinsamer Antrag der Bundestagsparteien zustandegekommen, weil es den Mainstreamfraktionen wichtig gewesen sei, die LINKE (und die AfD gleichermaßen) als extremistisch zu brandmarken. Das mag sein, ist aber nur ein Nebenkriegsschauplatz. Der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP zielte in der Hauptsache darauf ab, die bereits von der Bundesregierung im letzten Herbst zu dem Thema bezogene Position zu zementieren. Er enthält buchstäblich alles, was der massiv verstärkten israelischen Regierungspropaganda und ihrer Lobby wichtig ist. Selbst der inzwischen ausgemusterte Außenminister Gabriel musste auf einer kürzlich in Tel Aviv stattgefundenen Sicherheitskonferenz einräumen, dass man in der EU «zunehmend frustriert ist über Israels Aktionen» und «auch in Deutschland, und ehrlich gesagt in meiner eigenen Partei, sind junge Leute immer weniger bereit, etwas zu akzeptieren, was sie als eine unfaire Behandlung von Palästinensern ansehen». Für ihn werde es «zusehends schwierig, ihnen die Gründe dafür zu erklären, warum unsere Unterstützung Israels andauern muss».
Vor diesem Hintergrund hat der Beschluss des Bundestags eine wichtige innen- und außenpolitische Funktion. Kein Wunder, dass die israelische Regierung und ihre Lobby sich auf die Schenkel schlugen! Hier die wesentlichen Punkte:
– Antisemitismus wird mit Antizionismus und der weltweit zunehmenden Kritik an der israelischen Unterdrückungs-, Apartheid- und Annexionspolitik faktisch gleichgesetzt. Hier handele es sich um eine «neue Form» von Antisemitismus;
– die weltweit immer erfolgreichere Kampagne der palästinensischen Zivilgesellschaft, Israel solange mit Boykott, Desinvestition und Sanktionen zu belegen, bis es die brutale Besatzung beendet und sich an Völker- und Menschenrecht hält, wird scharf zurückgewiesen und als «antisemitisch» diffamiert;
– Träger des «neuen Antisemitismus» fänden sich vor allem in der arabischen Welt bzw. unter den von dort kommenden Flüchtlingen; ihnen und allen neuen «Antisemiten» hierzulande wird mit Strafrechtsverschärfung gedroht; Flüchtlinge sollen deshalb vermehrt ausgewiesen werden;
– Deutschland verpflichtet sich zum wiederholten Mal, für «die Sicherheit» des «jüdischen und demokratischen» Israel einzustehen.
Diese Hauptanliegen des Antrags hätten von der Linksfraktion mit einem eigenen Antrag systematisch auseinandergenommen, zurückgewiesen und geradegerückt werden müssen. Stattdessen überließ sie es ausgerechnet Petra Pau, die in ihrer «Israel-Besoffenheit» zu einer linken Analyse und Positionierung völlig unfähig ist, die Enthaltung der Linksfraktion zu begründen. Sie hatte zu diesen Punkten überhaupt nichts zu sagen – was nur als grundsätzliche Zustimmung gewertet werden kann, was auch ihrer persönlich schon lange vertretenen Position entspricht – bis auf den Vorbehalt gegen die Ausweisung von Flüchtlingen wegen «Antisemitismus» (der im Kern berechtigte Kritik an der israelischen Unterdrückung der Palästinenser ist!). Ihre sonstigen Vorbehalte betrafen untergeordnete Punkte wie die Frage, ob Bundesregierung oder Bundestag den neuen «Antisemitismus»-Beauftragten ernennt usw.
Ich fasse mir an den Kopf, wenn ich in Tim Fürups Artikel lese: «Der Antrag hatte aus linker Perspektive einige Mängel.» Dass die AfD diesem verlogenen, völker-, menschenrechts- und verfassungswidrigen Antrag einstimmig folgte, sollte nicht überraschen; aber die Linksfraktion hat leider wieder einmal bewiesen, dass sie für die Palästina-Solidarität und für die innerisraelische linke Opposition inzwischen ein Totalausfall ist. Ihre Position steht auch im klaren Gegensatz zur Beschlusslage der Europäischen Linken. Im übrigen mehren sich auch aus Israel die Stimmen mit dem Tenor: «Nicht der Antisemitismus nimmt zu, sondern die Sympathie für Israel nimmt ab.»
Hermann Dierkes
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