Gespräch mit Moshé Machover
Moshé Machover ist Mathematiker, Philosoph und Aktivist aus Israel/Palästina/Großbritannien. Er war eingeladen zur Konferenz «Zur Zeit der Verleumder», die am 10.Februar in Berlin stattfand. Machover konnte dazu jedoch nur per Skype beitragen. Anliegen der Konferenz war es gewesen, sich einmal mehr darüber zu verständigen, inwiefern Antizionismus nicht Antisemitismus ist. Sophia Deeg führte das Gespräch mit Moshé Machover deshalb in einem Telefonat mit London. Im Gespräch zeigte sich, dass es bei den zunächst ähnlich wirkenden aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb der Labour Party um etwas anderes geht als in Deutschland: Mit dem Vorwurf des Antisemitismus versucht eine durch den Aufstieg Jeremy Corbyns bedrohte Labour-Rechte die Linke innerhalb der Partei zu beschädigen.
Inwiefern bist du biografisch und politisch mit Israel/Palästina und Großbritannien, dort wiederum mit Labour verbunden?
Ich wurde in Palästina geboren und erlebte als Zwölfjähriger, wie Israel ausbrach (lächelt). Es war eine glückliche Zeit. Wir hatten einen eigenen Staat! So nahm ich als Kind die Stimmung wahr. Zugleich erlebte ich, dass Städte wie Tel Aviv/Jaffa und Jerusalem noch arabisch geprägt waren. Ausgerechnet in der zionistischen Jugendbewegung, in der einerseits von Marx und Klassenkampf die Rede war, anderseits die Gründung von Kibbuzim, also jüdischen Siedlungen, propagiert wurde, kamen mir erstmals Zweifel am Zionismus, ahnten ich und andere jugendliche Zionisten gewisse Spannungen zwischen einem marxistischen und dem zionistischen kolonialen Ansatz. Schließlich flogen wir aus der zionistischen Jugendorganisation raus. Das war mein erster Rauswurf. Es sollten zwei weitere folgen: der aus der Kommunistischen Partei Israels und kürzlich der aus der britischen Labour Party.
In der KP hatten einige junge Mitglieder verbotenerweise begonnen, über die Grenzen ihrer jeweiligen lokalen Zellen hinweg insgeheim mit KP-Mitgliedern aus anderen lokalen Zellen zu diskutieren. Wir wurden entdeckt und daraufhin aus der Partei ausgeschlossen. Schon Jahre zuvor, 1956, dem Jahr des Ungarnaufstands, hatten sich bei uns Zweifel an der Linie der KP geregt, während wir anderseits die Haltung der Sowjetunion zum Suezkrieg für richtig hielten. Im Jahr 1962 gründeten einige junge israelische Kommunisten, die den Zionismus radikal in Frage stellten, die Gruppierung Matzpen, um die kritische Analyse voranzutreiben.
Die USA waren für mich als Kommunist während der McCarthy-Ära, verschlossen, und so verbrachte ich im Rahmen des Studiums einige Zeit in Polen und hatte die Gelegenheit, den real existierenden Sozialismus aus der Nähe kennenzulernen und mir ein nuanciertes Bild zu machen. Nach Großbritannien kam ich zunächst aus akademisch-beruflichen Gründen und lebe dort seit 1968, obwohl ursprünglich nur ein vorübergehender Aufenthalt geplant war.
Irgendwann schloss ich mich Labour an, hatte aber immer gute Kontakte zur radikalen Linken, doch ich war und blieb lange überzeugt, dass die Labour Party eigentlich die Partei der Arbeiterklasse war. Schließlich vermochte ich das nicht mehr zu erkennen und ließ meine Mitgliedschaft einfach auslaufen.
Für Leute wie mich, denen Sektierertum zuwider ist und die eine offene Debatte für unabdingbar halten, war die Initiative von Ken Loach ein Lichtblick, der 2013 eine undogmatische linke Partei als Alternative zur Labour Party vorschlug. Letztere schien nur noch eine neoliberale Austeritätspolitik zu vertreten.
Wie ist es nun dazu gekommen, dass du dich wieder in der Labour Party engagiert hast?
Die tiefgreifende Wandlung von Labour, die wir in letzter Zeit erlebt haben und die mit der Wahl Corbyns zum Vorsitzenden unübersehbar wurde, kam für mich und die meisten anderen vollkommen unerwartet. Es bedeutete im Grunde, dass sich das, was Ken Loach initiiert hatte, innerhalb von Labour verwirklichte. Als Corbyn kandidierte, strömten Tausende, vor allem junge, aber auch ältere Linke wie ich, die jede Hoffnung auf eine Erneuerung verloren hatten, in die Partei und verhalfen ihm zum Sieg. Die Labour Party ist die größte – mitgliederstärkste – Partei überhaupt in Westeuropa geworden.
Wie sieht es jetzt in dieser so rasch und grundlegend gewandelten Partei aus?
Da sind auf der einen Seite die überwiegend jungen, aktiven, tatsächlich eine linke Politik verfolgenden Grassroots mit an der Spitze Jeremy Corbyn und ein paar Mitstreiter um ihn herum; auf der anderen Seite ein breiter Mittelbau der Partei und auch führende Funktionsträger, Abgeordnete etc., die Parteibürokratie, die dieselbe geblieben ist. Viele dieser Leute, die für die bisherige neoliberale Politik stehen, fürchten nun um ihren Einfluss und um ihre Jobs. Sie nutzen jeden Vorwand, um eine Hexenjagd gegen die Parteilinke zu führen.
Einer dieser Vorwände besteht darin, Linke in der Partei des Antisemitismus zu bezichtigen, um sie zu diskreditieren. Den Parteistatuten gemäß muss ein solcher Vorwurf in einem geordneten Verfahren geprüft werden. Das bedeutet, dass die des Antisemitismus Bezichtigten zunächst suspendiert werden. Dieser Zustand kann ein, zwei Jahre andauern und schließt die Betroffenen von der Partizipation innerhalb der Partei aus, legt sie politisch lahm.
Von einer solchen Suspendierung war ich aufgrund meines Artikels «Antizionismus ist nicht gleich Antisemitismus» betroffen. Dieser war im vergangenen Jahr im Bulletin der Labour Party Marxists, einer Gruppierung innerhalb der Partei, herausgekommen und beruhte auf einem Vortrag, den ich auf einem Seminar der Zeitung Weekly Worker [https://weeklyworker.co.uk/worker/authors/moshe-machover], dem Sprachrohr einer kleinen linken Gruppierung, gehalten hatte (http://labourpartymarxists.org.uk/anti-zionism-does-not-equal-anti-semitism-2/). Am Rande einer Konferenz im September, bei der sich Jeremy Corbyn, getragen von der breiten Basis, die ihn unterstützt, unter anderem sehr deutlich für die Rechte der Palästinenser aussprach, hatten Vertreter der Labour Party Marxists meinen besagten Artikel ausgeteilt, der ihnen förmlich aus den Händen gerissen wurde. Die Parteibürokraten, die gegen die Parteilinke und Corbyn zu Felde ziehen, ergriffen bald darauf die Gelegenheit, mich aus der Partei auszuschließen.
Nach den Statuten von Labour ist es nicht zulässig, mit einer Partei oder Gruppierung zusammenzuarbeiten, die nicht offiziell als Partnerorganisation gilt. Was genau «zusammenarbeiten» in diesem Kontext bedeutet und aufgrund welcher Kriterien eine Organisation dafür nicht in Frage kommt, bleibt unklar. Es handelt sich also hier offensichtlich um ein bürokratisches Instrument, das angewendet wird, um politische Gegner in der Partei loszuwerden. Die Ironie der Geschichte ist, dass mich die Leute von der kleinen sozialistischen Gruppe [CPGB, http://cpgb.org.uk], die Weekly Worker herausgibt, seinerzeit, als ich längst keine Hoffnung mehr in Labour setzte, beschworen hatten, die Partei nicht aufzugeben! Im übrigen haben die Rechten in Labour, die den Rauswurf betrieben haben, ihn wegen des breiten Drucks der Basis und mangels jeglicher vernünftiger Grundlage zurücknehmen müssen.
Wie wird dieses Gerangel, deiner Einschätzung nach, einerseits für Labour und die britische Linke, anderseits für die Bewegungen für die Rechte der Palästinenser ausgehen?
Was den ersten Teil deiner Frage angeht, kann ich natürlich nicht sagen, wie diese Auseinandersetzung enden wird. Zwar hat die nach links gerückte Labour Party die Wahlen nicht gewonnen, aber sie konnte zulegen, und die Konservativen sind geschwächt. Es ist klar: Der Kapitalismus lässt es nicht einfach geschehen, dass eine solche Partei womöglich an die Regierung, wenn auch nicht an die Macht kommt, was undenkbar ist innerhalb des Systems.
Der Vorwurf des Antisemitismus, mit dem jede und jeder belegt wird, der entschieden für die Rechte der Palästinenser eintritt – und das tun nun mal Linke wie Corbyn – ist für die Parteirechte eine Waffe in ihrem Kampf gegen die jüngst für sie bedrohlich erstarkte Parteilinke. Mit Corbyn und den zahlreichen aktiven Mitgliedern seiner Basis könnte Labour tatsächlich zu einer Herausforderung für die britische Rechte und die vorherrschende neoliberale Politik werden.
Was die Bewegung für die Rechte der Palästinenser betrifft, so ist diese nicht nur in Großbritannien stärker geworden, die Unterstützung wächst insbesondere auch unter Jüdinnen und Juden, ganz auffällig etwa in den USA. Man lässt sich von den – offensichtlich nicht begründeten – Antisemitismus-Verdikten nicht mehr einschüchtern. In Deutschland scheint das leider anders zu sein.
Wie erklärst du dir die weltweite massive Kampagne gegen die Bewegung für die Rechte der Palästinenser und wie die Formen, die sie speziell in Großbritannien annimmt?
Da spielen meiner Ansicht nach mehrere Faktoren eine Rolle, die sich teilweise überlappen. Wenn in Großbritannien innerhalb und außerhalb von Labour speziell gegen Corbyn gehetzt wird, der für die Bewegung für die Rechte der Palästinenser eine sichtbare Rolle spielt, dann nicht von Leuten, denen Israel/Palästina am Herzen liegt oder die sich ernsthaft Sorgen wegen des Antisemitismus machen – sie nutzen diesen Diskurs als Waffe gegen eine erstarkende Linke.
Außerdem hat in den letzten Jahren die israelische Regierung ihr Budget für Lobbygruppen und -aktivitäten im Ausland verdoppelt. Neben dem Außenministerium gibt es ein Ministerium «für strategische Angelegenheiten», das in dieser Form intensiv Außenpolitik betreibt und befreundete Regierungen und Institutionen im Ausland bewegt, zur Verbesserung des israelischen Image beizutragen, Kritik an der israelischen Politik entgegenzutreten, PR-Partnerschaften einzugehen etc.
Schließlich spielt Israel innerhalb des imperialistischen Lagers eine wichtige Rolle. Es ist Juniorpartner der USA, und seine Interessen sind mit denen anderer US-Alliierter verwoben. Besonders eng sind die USA und Großbritannien verbunden. Eine breite, selbstbewusste Bewegung, die die Politik Israels gegenüber den Palästinensern grundsätzlich kritisiert, scheint viel mehr in Frage zu stellen.
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