von Angela Klein
Gisela Notz: Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegung der Siebzigerjahre. 2., komplett überarb. Aufl. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher, 2018
Eine der bedeutendsten Errungenschaften der 68er Bewegung ist die Entstehung der Neuen Frauenbewegung.
Die kann sich viel auf ihre Fahnen schreiben: die Aktivierung Zehntausender Frauen für das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper, für ihr Recht auf Scheidung, ihre vollständige rechtliche Gleichstellung mit Männern, für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, für die Abschaffung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und vieles mehr. Vieles davon hat seinen Niederschlag in Gesetzen und Tarifvereinbarungen gefunden, vor allem aber hat sich das gesellschaftliche Klima geändert: Der «Muff von 1000 Jahren» wurde ausgelüftet, die spießbürgerliche geistige Enge ausgekehrt, die Nazi-Vergangenheit zum Thema gemacht.
Gisela Notz schreibt von den Neuen Frauenbewegungen in großen Anfangsbuchstaben und im Plural. Aus gutem Grund: Zwar hat die Neue Frauenbewegung Themen der alten Frauenbewegung aufgegriffen und sich zu einem nicht kleinen Teil auch als sozialistisch verstanden, doch stellte sie zugleich einen Bruch mit ihr dar, weil sie ihre Existenzberechtigung nicht allein aus dem Kapitalismus, sondern auch aus dem Patriarchat ableitete, über dessen Ursprung in grauer Vorzeit und sein Verhältnis zur Klassengesellschaft trefflich und anhaltend gestritten wurde. Den Plural verwendet Notz, weil das Aufbegehren der Frauen nicht nur zu einer Vielzahl von Projekten, sondern auch zu sehr unterschiedlichen Strömungen geführt hat.
Die Tomate
«Die Neuen Frauenbewegungen waren als Konsequenz der antiautoritären Studentenbewegung entstanden und befanden sich zugleich im Widerspruch zu ihr.» Der symbolische Akt dieses Widerspruchs war der berühmte Tomatenwurf auf einer Delegiertenkonferenz des SDS gegen dessen Vorsitzenden Hans-Jürgen Krahl und den ganzen Vorstandstisch. Notz legt dar, dass dieser Tomatenwurf allerdings durchaus nicht als Abgrenzung gegen den SDS gemeint war. «Für die Mehrheit der SDS-Frauen war der Tomatenwurf keine ‹Revolte der Frauen im SDS› – im Gegenteil: die meisten SDS-Frauen fanden unseren Auftritt eher peinlich», zitiert Notz Helke Sander, Filmemacherin und Delegierte des Westberliner Aktionsrats zur Befreiung der Frau zur besagten Konferenz.
Die Rolle der Frauen im SDS wurde im Nachhinein als sehr unterschiedlich empfunden, doch fortan galt die Parole «Das Private ist politisch». Das meinte, dass die Frauen vollen Anteil an der politischen Arbeit des SDS haben wollten und keinen Bock hatten, daran ständig durch Haushalt und Kinder gehindert zu sein. Die überwiegende Mehrzahl der Männer, auch der protestierenden, lebten in kleinbürgerlichen Zweierbeziehungen, die sie nicht in Frage stellten. Dagegen richtete sich die «Revolte in der Revolte», und das brachte köstliche Parolen hervor, die in dem Büchlein nachzulesen sind.
So richtig getrennte Wege ging die Frauenbewegung jedoch erst, nachdem der SDS sich 1970 aufgelöst hatte, weil er in zahlreiche ideologische Strömungen zerfallen war. 1971 schaffte sie den Sprung aus den Universitäten heraus in die allgemeine Öffentlichkeit mit der von Alice Schwarzer angezettelten Selbstbezichtigungskampagne «Mein Bauch gehört mir». «Die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 wurde fortan zum zentralen und bindenden Element des Formierungsprozesses der Neuen Frauenbewegungen», schreibt Notz. Später folgten zahlreiche Initiativen zur Schaffung autonomer Frauenhäuser, die Frauen Zuflucht vor männlicher Gewalt bieten sollten. Es dauerte allerdings bis 2002, bis ein Gewaltschutzgesetz in Deutschland eingeführt wurde, und erst im März 2012 trat ein Gesetz zur Einrichtung eines bundesweiten Hilfetelefons «Gewalt gegen Frauen» in Kraft. Die Kampagne «Nein heißt Nein» nach der Kölner Silvesternacht und auch die «#MeToo»-Kampagne können auf einem veränderten Selbstverständnis der Geschlechterrollen aufsetzen, das auf die Neuen Frauenbewegungen zurückgeht.
Doch sieht man daran auch, wie langsam die Mühlen mahlen. Und das Erreichte ist längst nicht unumstritten: Nicht nur die AfD und ihr christlich-fundamentalistischer Flügel versuchen, das Rad wieder rückwärts zu drehen und die Frau auf ihre Aufgaben als Heimchen am Herd festzunageln, auch konservative Politiker wie Sarkozy oder andere haben dem Vermächtnis der «68er» ausdrücklich den Kampf angesagt.
Notz beleuchtet auch ausgiebig das schwierige Verhältnis zwischen Sozialismus und Feminismus und die theoretischen Debatten, die es darum gegeben hat.
Reichtum
Das Büchlein geht schließlich den zahlreichen anderen Impulsen nach, die die Neuen Frauenbewegungen gegeben haben. Es tut sich da ein ungeheurer Reichtum an gesellschaftlichen Initiativen auf – von Kinderläden über feministische Publizistik, Verankerung einer Frauenforschung im akademischen Betrieb bis hin zu einer neuen Alternativkultur und einer massiven Wortmeldung der Frauen im Tarifkampf um die 35-Stunden-Woche, dem Feministinnen den 6-Stunden-Tag entgegensetzten. Gerade die Kinderladenbewegung mit ihren Konzepten antiautoritärer Erziehung – bis heute ein Feindbild der Konservativen – hinterließ «deutliche Spuren der Liberalisierung der auf Gehorsam und Anpassung ausgerichteten Erziehung in Familie, öffentlichem und selbst kirchlichem Kindergarten, in Schule, Universität und Berufsausbildung. Die veränderten Konzepte strahlen … bis heute aus.» Und im Zusammenhang mit der Eroberung der Lehrstühle schreibt Notz von der «bestausgebildeten Frauengeneration, die es in der Geschichte je gegeben hat».
Von der Rolle rückwärts im Zusammenhang mit dem Siegeszug des neoliberalen Kapitalismus in den 90er Jahren blieben die Neuen Frauenbewegungen gleichwohl nicht verschont. Und die nachfolgenden Frauengenerationen haben deren Errungenschaften oft als allzu selbstverständlich gewertet, so dass ihnen eine Fortsetzung dieser Arbeit nicht mehr einleuchtete und sie andere Felder der Aktivität suchten. Gleichwohl schreibt Notz am Schluss zu Recht: «Die Themen der alten und neuen Frauenbewegungen haben sich keinesfalls erschöpft und werden auch von jungen Frauen wieder aufgenommen und ergänzt.» Die internationalen Frauenstreiks bestätigen diese Auffassung aufs Schönste.
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