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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2018

Die Spargelsaison(arbeit) ist eröffnet
von Violetta Bock

Mitte, Ende April geht die Spargelzeit wieder los. Gemüse, Obst und Früchte müssen geerntet und für den Verkauf bereit gemacht werden. Hunderttausende Wanderarbeiterinnen kommen dafür jährlich zur Erntesaison nach Deutschland, die Arbeitsbedingungen sind prekär, der Mindestlohn wird häufig unterwandert. Die Emanzipatorische LandarbeiterInnen-Initiative und die Initiative Frohes Schaffen rufen zum Saisonstart dazu auf, sich an einer Informationskampagne auf den Feldern zu beteiligen.

Zu der Aktion ruft die IG Bau auf.

Im Jahr 2016 zählte Spargel flächenmäßig zum Spitzenreiter im deutschen Gemüseanbau. Laut Statistischem Bundesamt wird er auf 22 Prozent der Gemüseanbaufläche angebaut, das sind 27000 Hektar. Die Erntemenge steigt seit Jahren. Im Jahr 2017 wurden 127800 Tonnen auf 23100 Hektar gestochen. Regionale Schwerpunkte liegen in Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Bei den Erdbeeren wurden im Jahr 2017 etwa 127800 Tonnen gepflückt, vor allem in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Hinzu kommt die Ernte von Äpfeln, Heidelbeeren und Gurken.

Die Arbeitsbedingungen

Die Ernte wird seit Jahrzehnten von WanderarbeiterInnen durchgeführt, sie stellen mit etwa 314000 Menschen rund 66 Prozent der in der Landwirtschaft Beschäftigten. Sie kommen vor allem aus Polen, Bulgarien und Rumänien, vereinzelt auch aus Kroatien, Ungarn, Serbien und der Ukraine. Für das Jahr 2018 gilt ein offizieller Stundenlohn von 9,10 Euro. Doch oft wird er unterwandert und relativiert sich über andere Ausgaben. Teils kommen die Beschäftigten jedes Jahr, meist werden sie über Agenturen in ihrer Heimat angeworben. Für die Vermittlung bezahlen sie Gebühren bis zu 300 Euro. Mit Bussen werden sie zu den Höfen in Deutschland gebracht.

Die Anzahl an SaisonarbeiterInnen variiert von 20 bis 1500 bei einem Betrieb. Unterbringung und Verpflegung gibt es meist vor Ort, doch auch sie werden vom Lohn abgezogen. In den meisten Fällen sind es Mehrbettzimmer, teils Stockbetten in Containern. Wieviel dafür zu bezahlen ist, ist den LandarbeiterInnen oft bis zum Schluss unbekannt. Für eine Unterkunft dürften monatlich maximal etwa 223 Euro bezahlt werden. Doch das wissen viele nicht. Teils wird sogar Arbeitsmaterial in Rechnung gestellt. Werden Unterkunft und Verpflegung vom Arbeitgeber organisiert, müssen die Kosten im Arbeitsvertrag festgehalten werden – den gibt es aber oft gar nicht schriftlich und wenn, ist er meist auf deutsch und für viele daher nicht verständlich. Auch wenn inzwischen ein Mindestlohn gilt, bezahlen viele Landwirte nach Stückzahlen. Akkordarbeit ist zwar zulässig, aber nur wenn der Mindestlohn eingehalten wird. Doch auch dies muss durchgesetzt werden.

Neben der unklaren Bezahlung, ist die Arbeit selbst hart und erfordert aufgrund der Wetterbedingungen hohe Flexibilität. Ist das Wetter gut, kann es sein, dass an sieben Tage die Woche bis zu 14 Stunden gearbeitet werden. Ist es schlecht, gibt es unbezahlten Urlaub – die Unterkunft ist natürlich weiter zu bezahlen. Ein Werkstattbericht des PECO-Instituts zur Wanderarbeit in der Landwirtschaft benennt folgende vier Hauptprobleme: fehlende schriftliche Arbeitsverträge, intransparente Aufzeichnungen der Arbeitszeiten und der Entlohnung, unklare Abzüge für Essen, Unterkunft und Arbeitsmaterial, fehlender oder nicht ausreichender Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Unterstützung auf den Feldern

Die gewerkschaftliche Organisierung steht aufgrund der saisonalen Befristung, geringer Deutschkenntnisse und der Flexibilität der Arbeitseinsätze vor großen Herausforderungen. Hinzu kommt die große Abhängigkeit, etwa wegen der Notwendigkeit, im nächsten Jahr wieder genommen zu werden. 2015 riefen gewerkschaftliche Akteure die Initiative Faire Landarbeit ins Leben. Zu ihr gehören das PECO-Institut, das DGB-Projekt «Faire Mobilität», der Europäische Verein für Wanderarbeiter (EVW), ehrenamtliche Aktive in der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und das Bündnis gegen Menschenhandel (BGMA). Die Hauptstoßrichtung liegt auf der Aufklärung über Arbeitsrechte. Entstanden sind Informationsflyer in verschiedenen Sprachen sowie eine Vernetzung und der Ausbau von Beratungsstellen, die die LandarbeiterInnen in ihren Muttersprachen beraten.

Angedacht ist auch eine App zur digitalen Selbsthilfe, die über Pflichten des Arbeitgebers informiert – nicht in Bezug auf die Einhaltung von Arbeits-, Ruhe- und Pausenzeiten, sondern auch in bezug auf die Bereitstellung von Getränken und Sonnenschutz im Sommer. Auch die Zusammenarbeit mit dem Zoll und den Arbeitsschutzbehörden gehört dazu, darauf wird jedoch nur in Absprache mit den Beschäftigten zurückgegriffen. 2017 gab es Razzien und staatsanwaltliche Ermittlungen bei sechs Betrieben in Rheinland-Pfalz.

Grundlage für die Organisierung und vermehrt erprobt wird die aufsuchende Arbeit, also das gezielte Fahren auf die Felder, um in den Pausen ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Für die anstehende Saison werden Unterstützer gesucht, die in einer Aktionswoche mit auf die Felder ziehen, um über die bestehenden Rechte zu informieren und die gewerkschaftliche Organisierung zu unterstützen. Unterstützung in Form von Material, Erfahrungswerten aus den letzten Jahren und einer detaillierten Durchführungshilfe wird bereit gestellt. Rumänisch-, Bulgarisch- oder Polnischkenntnisse sind keine Voraussetzung, aber natürlich besonders wertvoll.

Quelle: www.peco-ev.de/docs/Flexi_Insecure_Web.pdf

Bei Interesse an der Aktion kann man sich melden unter:

katharina.varelmann@peco-ev.de (PECO Institut)
sarah.kuschel@igbau.de (Gewerkschaftssekretärin Westfalen)

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