von Leo Gabriel und Hermann Dworczak
Das diesjährige 13.Weltsozialforum, das vom 13. bis 17.März in der ehemaligen brasilianischen Sklavenmetropole Salvador de Bahía stattfand, stand ganz unter dem Vorzeichen der spannungsgeladenen politischen Atmosphäre, die derzeit in Brasilien herrscht. Davon zeugten nicht nur die große Demonstration zu Beginn, wo die Parole «Fora Temer!» (Raus mit dem illegitimen Präsidenten Temer) zum geflügelten Wort wurde, sondern auch die Auftritte der Ex-Präsidenten Dilma Roussef und Inácio Lula da Silva. Auch auf der abschließenden Sitzung des Internationalen Rates des Weltsozialforums wurde deutlich, dass es sich diesmal eher um ein brasilianisches als um ein Weltsozialforum gehandelt hat.
Die Welt aus der Perspektive der Afrobrasilianer zu sehen, die unter den etwa 80000 Teilnehmenden den Ton angaben, ist jedoch nicht unbedingt ein Nachteil. Anstatt sich – wie in Europa üblich – in geopolitischen Erörterungen zu verheddern, stellten die rund 2100 Veranstaltungen die Not der Betroffenen in den Mittelpunkt. Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, Migration und der Zusammenbruch der Umwelt bildeten den Ausgangspunkt für diese «Sicht von unten», bei der besonders eine enge Verknüpfung von Kultur und Politik zutage trat.
Dabei war von politischer Müdigkeit gar nichts zu bemerken. Bereits bei der Eröffnungsdemonstration wurde ein unwahrscheinlich breites Spektrum von weltweit vernetzten Organisationen sichtbar: an ihrer Spitze gab es einen großen Block von Indigenen, Schwarzen sowie zahlreichen sozialen und ökologischen Initiativen – etwa aus São Paulo und Rio de Janeiro, viele brasilianische Studierende, Gewerkschafter, darunter Metaller aus Kanada oder die GEW aus der BRD, Mitglieder der Europäischen Linkspartei, Delegationen aus Afrika und anderen Ländern Lateinamerikas etc.
Bereits auf den ersten Blick fiel die unwahrscheinlich starke Beteiligung von Frauen auf, die nicht nur die überwältigende Mehrheit der Demonstrierenden stellten, sondern es am letzten Tag auch zustande brachten, im Stadtzentrum eine Art «Widerstandsversammlung» durchzuführen, auf der sie ihr Recht auf Selbstbestimmung einforderten – ganz im Unterschied zur lange geplanten, aber schlecht vorbereiteten «Versammlung der Völker», die über das Format der bei Weltsozialforen üblichen «Versammlung der sozialen Bewegungen» nicht hinauskam. Da wurden Hunderte von Initiativen vorgestellt, auf ebenso viele lokale und regionale Mobilisierungen verwiesen, welche dann auf Dutzenden von Flipcharts am zentralen Platz des Ondina-Campus der Universidade Federal de Bahía aufgestellt wurden.
Der Donnerstag, der 15.3., war vor allem von zwei Ereignissen geprägt: Lulas Auftritt in Salvador de Bahía und die Ermordung der bekannten linken Aktivistin Marielle Franco in Rio de Janeiro.
Lula trat in einem Stadion außerhalb des Stadtzentrums auf. Er zeigte sich rhetorisch in bester Form, riss das Publikum einige Male zu Begeisterungsstürmen hin. Bis heute ist in keiner Weise geklärt, ob er überhaupt zu den Wahlen antreten darf, rechtsextreme Scharfmacher aus dem bürgerlichen Lager würden ihn am liebsten gleich ins Gefängnis stecken.
Seine Rede konzentrierte sich auf die Erfolge unter den PT-geführten Regierungen und die positiven Veränderungen in Lateinamerika seit der Gründung des WSF um die Jahrtausendwende. Ausgespart blieb eine selbstkritische Bilanz der Politik der Kooperation mit dem nationalen und internationalen Kapital, ebenso fehlten Akzente in Richtung künftiger breiter Mobilisierungen von unten.
Lulas Auftritt stand im Schatten der Trauer um die im ganzen Land bekannte 38jährige schwarze Feministin und Stadträtin der linken PSOL, Mariella Franco, die am Vortag zusammen mit ihrem Begleiter auf offener Straße in Rio de Janeiro ermordet worden war. Sie lebte in der Favela Mare und machte insbesondere auf die kriminellen Machenschaften der Policía Militar aufmerksam. Auf ihre Ermordung wurde an vielen Orten gleichzeitig mit Protestaktionen reagiert, so versammelten sich in Rio de Janeiro mehrere tausend vor dem Rathaus, und auf dem WSF formierte sich ein spontaner Protestzug.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.