Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2018
Zur Geschichte der Studentenbewegung
von Angela Klein

50 Jahre nach dem Attentat auf Rudi Dutschke liegt der Fokus der Aufarbeitung von «1968» in den bügerlichen Medien immer noch auf der angeblichen Gewalt der Studentenbewegung. Ein gehypter, weil ursprünglich selbst aus der Bewegung kommender Historiker wie Wolfgang Kraushaar spitzt seinen Artikel zum Mord an Rudi Dutschke in der Frankfurter Rundschau darauf zu, dass die Empörung der Studenten fehlgeleitet war, weil der Mörder Bachmann nicht Bild im Auto liegen hatte, als er Dutschke erschoss, sondern die rechtsextreme Deutsche Nationalzeitung, die getitelt hatte: «Stoppt Dutschke jetzt! / Sonst gibt es Bürgerkrieg».

Ja, hätte denn der SDS im Angesicht des Mordes an ihrem bekanntesten Mitglied erst einmal einen Untersuchungsausschuss einsetzen sollen, bevor er kontert? War es nicht so, dass der Bürgerkrieg, den die Nationalzeitung androhte, logische Folge einer monatelangen Stimmungsmache war, die vor allem von der Bild-Zeitung angeheizt worden war? Selbst Kraushaar konstatiert, dass seit dem Vietnamkongress zwei Monate zuvor die Situation «höchst angespannt» war und es «ein ums andere Mal tatsächlich pogromartige Szenen in der geteilten Stadt gegeben hatte, die zumeist gegen Dutschke gerichtet waren». Wäre der Aufruf der Nationalzeitung ohne diese «pogromartigen Szenen» auf denselben fruchtbaren Boden gefallen?

Was Kraushaar da betreibt, ist eine subtile Reinwaschung der Verantwortung des Springer-Verlags. Mathias Döpfner, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, nachdem er längere Zeit Chefredakteur der Welt war, ist da aufrichtiger. In der von 3sat am 11.April ausgestrahlten zweiteiligen Dokumentation Dutschke erklärt er: «Der Springerkonzern hat Fehler gemacht.»

Die Antwort der Studierenden bestand in der Blockade der Auslieferung der Bild-Zeitung. Von Minderheitenaktionen konnte dabei keine Rede sein: Kraushaar selbst schreibt: «An den vier Tage andauernden Blockaden der Druckereiausfahrten beteiligten sich über 60000 Demonstranten. Mehr als 20000 Polizisten wurden gegen sie eingesetzt. Im Laufe der Auseinandersetzungen nahmen sie über tausend fest, 400 von ihnen wurden verletzt und zwei – der 32jährige Fotoreporter Klaus Frings und der 27jährige Student Rüdiger Schreck – in München unter nie endgültig geklärten Umständen, möglicherweise gar durch Steinwürfe aus den eigenen Reihen, getötet.»

Die Geschichte der Studentenbewegung ist auch eine Geschichte des Agierens der Konterrevolution, und diese Geschichte bleibt, wie es aussieht, immer noch zu schreiben. Sie erinnert fatal an die Mobilisierung der Rechten in den Tagen der Novemberrevolution, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass einige Hauptakteure in diesen undurchsichtigen Hintergründen Agenten der DDR waren, wie der Polizist, der Benno Ohnesorg erschoss, oder der V-Mann, der die aufgebrachten Studenten vor dem Springerhaus mit Mollis versorgt hat. Auch die Blauäugigkeit der Linken gegenüber der Neigung der herrschenden Klasse in Deutschland, blindwütig um sich zu schlagen, wenn sie ihre Herrschaft gefährdet sieht, ist geblieben. Bis auf den heutigen Tag. Auch das dokumentiert die 3sat-Sendung schön.

Dem Terror der RAF in Deutschland und der Roten Brigaden in Italien ging der staatlich verordnete oder geduldete Terror des rechten Mobs voraus. Beide Länder hatten herausragende Stellungen im Kalten Krieg: Deutschland wegen seiner geteilten Situation und seiner Lage als Frontstaat, Italien wegen der Schwäche seiner Institutionen und der Stärke seiner Arbeiterbewegung.

«Die Gewalt hat die Bewegung weder erfunden noch entdeckt, sie hat sie bekommen», zitiert Diego Giachetti, von dem wir auf S.16 einen Artikel veröffentlichen, einen ehemaligen Führer von Lotta Continua. Diese Generation hatte die autoritäre Repression schon früher erfahren – in Form der Intoleranz der Erwachsenen gegen den neuen Lebensstil der Jungen, ihre Kleidung, ihre Musik usw. Giachetti schreibt: «68 wurde deutlich, dass die Repression nicht nur die einer Generation gegen eine andere war, sondern einen Klassencharakter hatte, es war die Antwort der Zentren der Macht auf ihren Protest. Am 1.März 68 räumte die Polizei gewaltsam die besetzte Universität in Turin und verhaftete auf der Stelle 21 Studenten, die Führungsriege der örtlichen Bewegung. Insgesamt wurden im Jahr 68 2700 Anzeigen gegen Studierende erhoben; im darauffolgenden Jahr, das vor allem eine Protestwelle der Arbeiter erlebte, waren es fast 14000 Anzeigen, darunter 732 gegen Gewerkschaftsführer. Vorzugsweise wurden die führenden Köpfe der linskradikalen Organisationen verfolgt – wegen antinationaler Propaganda und krimineller Vereinigung. Ziel dieser flächendeckenden Verfolgung war, die Bewegung führungslos zu machen, indem ein bedeutender Teil von ihr verboten wurde. Das Vorgehen stieß jedoch auf Widerstand selbst innerhalb des Polizeiapparats. Es gab Gerüchte, es gehe auf das Konto einer bestimmten Gruppe innerhalb des Polizeiapparats, die den Jugendlichen «eine Lektion erteilen wollten». Es gab also bereits Verselbständigungstendenzen im Repressionsapparat, bevor 1969 mit dem Bombenattentat auf der Piazza Fontana in Mailand die Karte der faschistischen Hilfstruppen gezogen wurde. Damals begann in Italien die sog. Strategie der Spannung, die durchaus auch vor dem Hintergrund des Obristenputsches in Griechenland 1967 gesehen werden muss.

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