von Manuel Kellner
«Wir sind viele, wir sind eins.» Das ist das diesjährige Motto des DGB für den 1. Mai. Einheit in Vielfalt. Das hört sich gut an. Die DGB-Gewerkschaften sind «groß». Sie haben «6 Millionen Mitglieder». Aber sie waren mal annähernd doppelt so groß, 1991 hatten sie fast 12 Millionen Mitglieder. Wo sind die geblieben? Eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus. Verharren in einer Sozialpartnerschaft, die die Kapitalseite schon lange aufgekündigt hat; Preisgabe der eigenen industriellen Bastionen für Linsengerichte; Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft zur Präsenz in der Fläche, um die vielen Prekären, Individualisierten, Ausgegrenzten zu organisieren; Versäumnis, über den Tellerrand einzelner Bereiche und auch über Ländergrenzen hinweg eine starke Bewegung für die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen zu schaffen – die Quittung ist, dass immer weniger Beschäftigte die DGB-Gewerkschaften als wirksames Instrument ihrer Interessenvertretung wahrnehmen.
Sicher gibt es in diesem Mai-Aufruf unterstützenswerte Aussagen zur sozialen Gerechtigkeit, zur Verteidigung demokratischer Rechte, zur Ablehnung der extremen Rechten. Aber das alles ist wenig konkret und auch nicht mitreißend. Das alles ist lauer als lau. Noch nicht einmal «Hartz IV und Agenda 2010 müssen weg» wird gefordert, was inzwischen sogar einige SPD-Mitglieder verlangen. Wenn die DGB-Gewerkschaften klassenkämpferisch und internationalistisch orientiert wären, dann wäre ihr Beitrag zur Änderung der Kräfteverhältnisse entscheidend. Sie könnten der Macht des Kapitals die Stirn bieten und den Zulauf zu den rechtsextremen Rattenfängern stoppen. Dazu bedarf es bereichs- und branchenübergreifender Kampagne und Streikbewegungen für die Umverteilung von oben nach unten, für ausreichenden Mindestlohn und sanktionsfreies Grundeinkommen, für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und Solidarität mit den Flüchtlingen.
«Die Europäische Union hat den Menschen wichtige soziale Errungenschaften beschert.» Hat sie das? Hat der DGB-Vorstand unsere griechischen Kolleginnen und Kollegen gefragt? Schöne Bescherung! So hätten die geantwortet. «Aber diese Union ist reformbedürftig. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute schlechter dran als vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2009.» Eben. Diese EU ist nicht reformierbar. Sie ist eine EU des Kapitals, beruhend auf Verträgen über die Köpfe der Bevölkerungen Europas hinweg. Sie ist neoliberalen Dogmen und militaristischen Zielen verpflichtet. Die europäische Idee überlebt nur mit einer neuen politischen Union, die auf demokratischen, ökologischen, friedlichen und sozialen Grundsätzen beruht. Eine solche Union kann nur von den Beschäftigten und Erwerbslosen aller europäischen Ländern in gemeinsamer solidarischer Aktion durchgesetzt werden. Mit ihrer national bornierten Standortlogik tragen die gegenwärtige Führung und Orientierung des DGB dazu wenig bis gar nichts bei.
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