von David Stein
Das Gesamtbild des Finanzkapitalismus verändert sich. Die nächste große Krise könnte nicht mehr von den klassischen Banken, die bei der Finanzmarktregulierung bisher im Fokus standen, sondern von den «Schattenbanken» ausgehen.
Den Unternehmen aus dem Schattenbankensektor wurde lange keine Bedeutung zugemessen. Im Gegenteil: Weniger Abhängigkeit der Wirtschaft von Banken wurde gerade im Lichte der Finanzmarktkrise, wo Staaten «ihre» Banken mit Milliardensummen aus den Haushalten gestützt haben, als Vorteil gesehen.
Was sind Schattenbanken?
Mit dieser griffigen Bezeichnung umschrieb der Investmentmanager Paul McCulley im Herbst 2007 erstmals den Teil des Finanzsystems, in dem er bereits vor der großen Finanzkrise gewaltige schlummernde Risiken vermutete, ohne dass dies in der öffentlichen Debatte problematisiert worden wäre oder gar zu regulatorischen Konsequenzen geführt hätte. Seitdem ist dieser Begriff im Finanzsektor, in der Politik und bei Ökonomen fest etabliert. Man wolle verstehen, was sich außerhalb der Bankbilanzen und intransparent für die Aufsichtsbehörden im Schatten abspielt. Dies war das Credo seit 2007.
Im elften Jahr nach Beginn der Finanzkrise zeigt sich, dass man mit dem Verstehen und einem Konsens der G20 zum politisch besetzten Begriff der Schattenbanken kaum weiter ist und internationale Regulierungsstandards noch meilenweit entfernt sind.
Der von den G7-Staaten 2009 gegründete und von den G20-Staaten erweiterte Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board – FSB) hatte sich genau dieses Ziel gesetzt. Er sollte in diesem Sektor die Schwachstellen des internationalen Finanzsystems identifizieren, den G20 Vorschläge zu ihrer Beseitigung unterbreiten und deren Umsetzung überwachen. Er definierte das Schattenbankensystem zunächst relativ breit als «Kreditvermittlung durch Aktivitäten und Instanzen außerhalb des regulären Bankensystems». Inzwischen wird zurückgerudert. Der FSB soll sich seit neuestem nur noch auf solche Nicht-Banken konzentrieren, die kreditähnliche Geschäfte betreiben, die aus seiner Sicht systemrelevant sind und die Finanzstabilität gefährden können.
Sämtliche Kreditgeschäfte, die nicht über Institute mit Banklizenz laufen, sind grundsätzlich der weiten Welt der Schattenbanken zuzurechnen. Vor der Finanzkrise waren es noch vor allem die Banken selbst, die Risiken in Tochtergesellschaften verstecken konnten, die in keinem Geschäftsbericht auftauchten. Neue internationale Regeln haben solche Tricks seither erschwert. Diese gelten allerdings nur für Banken. Mit diesen sektoriellen Regelungen wurden die Risiken für das Finanzsystem insgesamt nicht minimiert, sondern bloß weiter in das Dunkel der Schattenbanken verlagert. Schattenbanken haben von der stärkeren Regulierung der Banken seit der Finanzkrise profitiert, die ihre Geschäfte nun mit mehr Eigenkapital unterlegen müssen und – anders als Schattenbanken – Offenlegungspflichten gegenüber den Aufsehern zu erfüllen haben.
Geteilte Herrschaft
Die Banken sind längst nicht mehr die alleinigen Herren des Geldes: Zunehmend drängen auf der Suche nach Rendite andere Finanzdienstleister in das klassische Finanzgeschäft von Kreditinstituten – etwa Geldmarktfonds, Investmentfonds oder Hedgefonds. Der Schattenbankensektor besteht aus einer heterogenen Gruppe von Institutionen und Geschäftsmodellen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben und unterschiedlichen Bilanzierungsregeln unterworfen sind. Der aktuelle globale Schattenbanken-Bericht des FSB, der im März 2018 veröffentlicht wurde, zeigt auf, dass die weltweit nach wie vor kaum regulierten Schattenbanken nach der Finanzkrise 2007 ihren Anteil an der Gesamtbranche weiter ausgebaut haben.
Schattenbanken bewegen ein zunehmendes Volumen von Vermögenswerten. Den tatsächlich risikoreichen Teil der Finanzmärkte jenseits der herkömmlichen Banken beziffert der FSB nun mit 34 Billionen US-Dollar. Das sind 3,2 Prozent mehr als im Jahr davor und entsprichen rund 70 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts der von ihm untersuchten Staaten. In früheren Berichten des FSB war der Graumarkt der Finanzwelt wesentlich weiter gefasst worden: Im Jahr 2015 hatte der FSB sein Volumen noch mit 75 Billionen Dollar angegeben. Inzwischen grenzt er das Feld aber auf diejenigen Geschäfte am Markt ein, von denen seiner Meinung nach wirklich Risiken für das globale Finanzsystem ausgehen sollen.
Die Aktivitäten solcher als systemrelevant eingeschätzten Schattenbanken umfassen mittlerweile 13 Prozent der finanziellen Vermögenswerte in den 29 Ländern, die der FSB untersucht hat. Viele Länder haben jedoch keine Daten zur Verfügung gestellt, sodass sie in der Untersuchung nicht auftauchen. Das können Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds sein, aber auch Pensionsfonds oder Versicherer.
Angesichts der Kapitalknappheit und der verschärften Regulierung der Banken hat der Anreiz zur Abwanderung von Kapital ins Schattenbankensystem zugenommen. Weltweit wird das Gesamtvolumen der Schattenbanken einschließlich der «nicht systemrelevanten» Unternehmen auf 149 Billionen US-Dollar geschätzt. Allein in den Jahren 2002–2011 hat sich die Bilanzsumme der Schattenbanken nach den Daten des FSB auf rund 67 Billionen US-Dollar mehr als verdoppelt.
In den USA machen die Schattenbanken, bei denen von systemischen Risiken ausgegangen wird, mit einem Volumen von 14,1 Billionen US-Dollar mehr als ein Drittel des gesamten Finanzsystems aus; nach Angaben der Bundesbank entspricht in Deutschland die Bilanzsumme dieser Schattenbanken 15 Prozent der Bilanzsumme der regulierten Banken. In China beträgt das Volumen der Schattenbanken 7,7 Billionen US-Dollar (das sind 15 Prozent der Bilanzsumme), gefolgt vom Offshore-Zentrum Cayman Islands mit 4,7 Billionen Dollar, das dem FSB erstmals 2017 Daten zur Verfügung gestellt hat.
Da es für chinesische kleine und mittlere Unternehmen sowie für Privatleute nahezu unmöglich ist, ein Darlehen von einer der staatlichen Banken zu erhalten, ist in China ein riesiger grauer Finanzmarkt über Kreditplattformen entstanden, über die Private und dubiose Firmen Kredite vergeben haben, die sich vielfach als nicht werthaltig herausgestellt haben und denen Einleger Geld gegen nicht werthaltige «Garantien» zur Verfügung stellten. Viele Spekulanten haben Geld verloren. Die chinesische Regierung hat nun zur Vermeidung systemischer Risiken die Notbremse gezogen und die weitverbreiteten spekulativen Finanzierungsformen aller Art verboten. Jahrelang wurde dieser «zweite Finanzmarkt» von chinesischen Ökonomen als Schmierstoff für hohe Wachstumsraten gepriesen und vom Staat toleriert.
Wo stecken die Risiken?
Schattenbanken sind riskant für das Gleichgewicht des Finanzsystems, wenn sie wie Banken von Anlegern Gelder einsammeln und Kredite vergeben. Dies gilt vor allem für solche Anbieter, die mit besonders hohen Verschuldungsgraden arbeiten oder die z.B. in hohem Maße langfristig Kredite vergeben, die ihnen auf der anderen Seite ihre Investoren kurzfristig abziehen könnten. 65 Prozent der riskanten Schattenbankaktivitäten rechnet der FSB Anlagevehikeln zu, die Investorengelder einsammeln und sie in Form von Krediten wieder ausgeben.
Das Problem solcher Akteure ist: Sie können anfällig für Paniksituationen an den Finanzmärkten sein, etwa wenn Anleger beliebig Geld kurzfristig von ihnen abziehen können, was die Fonds bei langfristig angelegten Geldern zu Notverkäufen zwingen kann. Der Anteil von Anbietern, die für solche Risiken anfällig sind, ist seit Ende 2011 im Durchschnitt um 13 Prozent pro Jahr gewachsen. Alles in allem stellen Anlagevehikel wie offene Anleihe-, Kredit- oder Hedgefonds 72 Prozent der Schattenbanken. Der Kollaps dieser Schattenbanken könnte die globalen Finanzmärkte aus Sicht des FSB in Gefahr bringen.
Gezielte weltweite Regulierung
Die politischen Forderungen gegen Schattenbanken sind einfach zu formulieren: Die Existenz eines Schattenbankensektors ist nichts anderes als eine Einladung zur Regulierungsvermeidung. Es darf deshalb kein Unternehmen mit bankähnlichen Tätigkeiten ohne bankähnliche Regulierung geben. Gleiche Regeln müssen für gleiches Geschäft gelten. Sie beinhalten dieselben Anforderungen in bezug auf Transparenz bzw. Offenlegung der Geschäfte, Risikomanagement, Liquidität und Eigenkapital sowie an eine geordnete Abwicklung im Insolvenzfall, die auch für den regulären Sektor gelten.
Einheitliche Standards müssen für sämtliche Aktivitäten, Produkte und Akteure auf den Finanzmärkten gelten, gleichgültig, ob ein Unternehmen eine Banklizenz hat oder nicht, ob es zum Schattenbanksektor im engeren oder im weiteren Sinn gehört und egal, in welchem Land es seinen Sitz hat. Deshalb muss der Schattenbanksektor in Regulierungsoasen (gleichbedeutend mit Steueroasen) einbezogen und an der Schnittstelle, wo regulierte Banken mit unregulierten Schattenbanken in eine Geschäftsbeziehung treten und wo die Aufseher daher gut eingreifen können, ausgetrocknet werden.
Dass der FSB nach fast zehn Jahren nicht imstande ist aufzuzeigen, wie und mit welchen Methoden systemrelevante Schattenbanken künftig erkannt werden sollen und dass er bis heute kein fertiges Regulierungskonzept vorgelegt hat, hat weniger mit der Komplexität des Problems zu tun. Der Grund ist vielmehr bei den Regulierungsverweigerern zu suchen. Die USA haben außer einer Liste systemrelevanter Akteure und einem besseren Meldewesen bisher jede Regulierung blockiert. Gleiches gilt für Großbritannien, das am liebsten aus den Regulierungen auf EU-Ebene wie etwa bei Investmentfonds wieder aussteigen würde, damit die Londoner City auch für dunkles Kapital noch attraktiver wird.
Ein klägliches Bild gibt auch die Europäische Kommission ab. Anstatt ihr Regulierungsmodell für bestimmte Sektoren als ersten Ansatz für eine weltweite Regulierung anzupreisen, ist sie bisher nur durch eine Forderung aufgefallen: Wegen der negativen Setzung des Begriffs «Schattenbanken» solle man lieber von «marktbasierter Finanzierung» sprechen.
Angesichts der Kräfteverhältnisse unter den Staaten und der Tatsache, dass kein öffentlicher Regulierungsdruck besteht, ist also Skepsis bei den weiteren Schritten des FSB und damit der G20 angesagt. Die Zeitbombe wird sehenden Auges in absehbarer Zeit von den G20 nicht entschärft werden. Das Kind muss zuerst wieder, wie 2007, in den Brunnen fallen.
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