von Bernard Schmid
Die Kunsthochschule Ecole des Beaux Arts in der Pariser Rue Bonaparte wurde zweimal von der Polizei geräumt: einmal im Frühsommer 1968, nach mehrwöchiger Besetzung durch Kunststudierende, Lehrpersonal und andere Rebellierende des Pariser Mai, um vier Uhr morgens. Das andere Mal im Februar 1974, nachdem dort fast drei Jahre lang allwöchentlich Vollversammlungen der im Gefolge des 68er Aufbruchs aufkeimenden feministischen sowie Homosexuellen-Bewegung stattgefunden hatten. Die Regierung unter Präsident Georges Pompidou glaubte, dadurch dem Emanzipationsspuk ein Ende setzen zu können.
1968 und 1974, das sind auch die beiden Jahre, die die Chronologie der Ausstellung Images en lutte («Bilder im Kampf») einfassen. Sie findet im Palais des Beaux Arts am Quai Malaquais am Südufer der Seine statt, das der Hochschule angegliedert ist. Die Ausstellung, die bis zum 20.Mai dieses Jahres zu sehen ist, wurde am 27.Februar pünktlich zum Beginn der diversen Veranstaltungsreihen rund um den 50.Jahrestag des französischen Mai 1968 eröffnet.
Plakate
Images en lutte beginnt, und das ist ziemlich logisch, mit den Erzeugnissen der Bilder- und Plakatewerkstatt, die ab dem 14.Mai in der besetzten Kunsthochschule angesiedelt war und Tag und Nacht arbeitete. Es war der Tag nach den ersten Massendemonstrationen «aus Solidarität mit den verhafteten Studenten», die am 13.Mai 1968 stattgefunden hatten, dem zehnten Jahrestag des Machtantritts von Charles de Gaulle. Ihr Wirken dauerte bis zur erwähnten polizeilichen Räumung.
Sodann führt die Ausstellung thematisch durch die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche, in denen im, um oder ab dem Mai 1968 gesellschaftliche Widersprüche thematisiert und Protest sichtbar wurde. Als da wären: Fabriken, Bergwerke – in Nordostfrankreich gab es damals noch Steinkohleabbau, den etwa die maoistische Organisation Gauche Prolétarienne (GP) zum Agitationsfeld zu machen versuchte –, Universitäten natürlich, alsbald auch Gefängnisse. Zu sehen sind über 600 Plakate, Druckerzeugnisse, darunter rund 150 Bücher, daneben frei zugängliche Broschüren und Zeitschriften. Hinzu kommen Skulpturen, Bilder, Flugblätter und einige Filme wie Lotte in Italia von Jean-Luc Godard (1970).
Linke Strömungen anarchistischer, trotzkistischer und maoistischer Provenienz haben ihre Spuren hinterlassen. Auffällig ist bei den maoistischen Strukturen wie der GP ihr teilweise populistischer Charakter: Das Volk ist immer zahlreich und gut. Auch Kritik an anderen, eher ins Autoritäre abdriftenden linken Strömungen findet sich. Auf dem Plakat «Für eine revolutionäre Kritik» ist eine Zeile aus dem Liedtext der Internationale abgedruckt – in der deutschen Übersetzung lautet sie «Es rettet uns kein höh’res Wesen», wobei die folgenden Worte «Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun» (Ni Dieu, ni César, ni tribun) ersetzt wurden durch: «Kein Gott, kein Castro, kein Mao».
Das vielleicht beeindruckendste Kunstwerk der Ausstellung ist das fast wandfüllende Bild American Interior von Guðmundur Guðmundsson, genannt Erró, aus dem Jahr 1968. In dieser «amerikanischen Inneneinrichtung» sieht man zwei Asiatinnen – mutmaßlich chinesische Kulturrevolutionärinnen – in kämpferischer Pose in einem eher wohlhabenden Familienschlafzimmer. Eine der beiden Kämpferinnen wirft ein entwundenes US-Gewehr zu Boden und schwingt ihre eigene Waffe, die wie ein Gewehr aussieht, aus der Nähe betrachtet aber einen spitzen Tintenstift darstellt. Die Idee des Malers war wohl: Die Ideen der Kulturrevolution aus der Dritten Welt drängen in die Metropolen und wirbeln auch dort die Widersprüche auf.
Ein Teil des Dargestellten weist offensichtlich einen «Zeitkern» auf, ihr Inhalt wirkt heute überholt. Auf anderen Ebenen hingegen kann sich die Betrachterin – die linke jedenfalls – auch heute noch angesprochen fühlen. Deutlich wird jedenfalls: Es war eine Epoche des Aufbruchs und der Hoffnung auf schnelle revolutionäre Veränderung, die 1968 begann und einige Jahre lang anhielt.
Wer vor dem 20.Mai in Paris weilt, sollte es sich die 7,50 Euro Eintritt (ermäßigt 4 Euro, für Studierende ist der Zutritt kostenlos) unbedingt wert sein lassen. Kritikwürdiger hingegen ist der Preis für den Ausstellungskatalog, dessen Erwerb mit 49 Euro nur für manche erschwinglich sein dürfte. Allerdings erhält man auf 830 Seiten unzählige Abbildungen und eine Reihe von Erklärungen, also auch einiges für sein Geld.
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