dokumentiert
Im portugiesischen Parlament steht der Bloco da Esquerda (BE – Linksblock) seit den nationalen Parlamentswahlen von 2015 zusammen mit der Portugiesischen Kommmunistischen Partei (PCP) in einer Kooperation mit der PS (Sozialdemokraten). Die beiden Linksparteien beteiligen sich allerdings nicht an der Regierung, weil die politischen Differenzen dafür zu groß sind (u.a. in bezug auf EU, NATO, Wirtschafts- und Steuerpolitik). Seitdem konnten allerdings wichtige politische Erfolge erzielt werden – u.a. eine Anhebung des Mindestlohns und der Renten, die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Gaststätten, die gleichgeschlechtliche Eheschließung.
Allen bürgerlichen Unkenrufen zum Trotz hat sich die wirtschaftliche Lage Portugals deutlich verbessert, bei den bürgerlichen Oppositionsparteien kriselt es, die Haushaltslage ist etwas entspannter, aber die Verschuldung ist nach wie vor hoch. Immerhin steht das Land inzwischen nicht mehr unter der direkten Knute der «Troika»*. Dass Finanzminister Mário Centeno inzwischen Eurogruppensprecher ist, macht die Sache nicht einfacher, wie Catarina Martins, die Koordinatorin des Bloco unlängst in einem Interview mit dem Freitag feststellte.
In der Hauptstadt Lissabon steht der Bloco seit dem guten Abschneiden bei den Kommunalwahlen im Oktober letzten Jahres in Kooperation mit der PS.
Ricardo Robles ist in der Stadtverwaltung von Lissabon verantwortlich für Bildung, Soziales und Bürgerrechte. Das folgende Interview führte Hermann Dierkes am 26.März in Lissabon.
Ricardo, du bist als Spitzenkandidat des Bloco (BE) bei den portugiesischen Kommunalwahlen im Oktober letzten Jahres in den Stadtrat von Lissabon gewählt worden. Das Wahlergebnis erlaubte es, mit den Sozialdemokraten eine Mehrheit zu bilden. Die politische Basis dafür ist ein Koalitionsvertrag zu rund 80 Themen. Was sind, aus Sicht des BE, die vorrangigen Probleme der Stadt und welche Antworten bietet der Koalitionsvertrag?
Die Probleme der Stadt sind vielfältig und es wäre etwas ungerecht, Prioritäten aufzustellen, weil man damit immer das Risiko eingeht, wichtige Fragen aus dem Blick zu verlieren. Dennoch scheint uns, dass die Hauptthemen folgende sind: Wohnungen, öffentliche Bildungseinrichtungen und Transportwesen. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt, den die Lissaboner verspüren, hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Sowohl durch die Ausbreitung von Hotels im Stadtzentrum wie durch die lokale Vermietung von Häusern (z.B. durch AirBNB) hat sich das Wohnungsangebot ständig verringert und die Mieten sind gestiegen. Unabhängig vom Ausgang des laufenden Gesetzesvorhabens bereiten wir gegenwärtig eine Vorstudie über die Wohnungskapazitäten der Stadtbezirke vor, um neue Regeln einzuführen. Sie schreiben u.a. Quoten für die besonders überlasteten Bezirke vor und sollen durch ein Amt zur Aufsicht über die örtliche Mietsituation überwacht werden.
Welche Fragen waren besonders kontrovers und wie seid ihr mit den strittigen Fragen umgegangen?
Der Kooperationsvertrag, den wir mit der PS geschlossen haben, lässt beiden Parteien ihre Handlungsfreiheit und die Möglichkeit unterschiedlicher Abstimmung. Es gab bereits bedeutende Meinungsverschiedenheiten etwa hinsichtlich der Stadtentwicklung und der Genehmigung von neuen Hotels an Orten, wo eigentlich öffentliche Einrichtungen vorgesehen waren, sowie bei der Privatisierung eines Theaterbetriebs. Wir bleiben unserem Programm treu, wir streben eine Stadt für ihre Bewohner an und lehnen ein Konzept von Stadtentwicklung ab, das sich vorrangig um Vermarktung und Geschäftemacherei dreht.
Im Rahmen der Koalition bist du jetzt – neben dem Oberbürgermeister – einer der acht sog. Vereadores Executivos des 75köpfigen Rats und zuständig für Bildung, Soziales und Bürgerrechte. Welche politischen, personellen und organisatorischen Kompetenzen hast du, wie groß ist das Budget für deine Zuständigkeiten und über wieviel Personal verfügst du?
Ich arbeite unmittelbar mit einem Team von Assessoren zusammen, die für Bildung und Soziales zuständig sind. Zusammen sind das rund 200 Angestellte. Uns stehen im Haushalt rund 70 Millionen Euro zur Verfügung.
Du bist jetzt bereits über hundert Tage im Amt. Was waren deine ersten Maßnahmen?
Die erste große Maßnahme war die Einführung der Lernmittelfreiheit an den öffentlichen Schulen von Lissabon. Diese erstreckt sich im ersten Schritt auf das laufende Schuljahr. Etwa 22000 jungen Menschen der zweiten und dritten Klasse werden die Kosten für die bereits angeschafften Bücher erstattet. Im kommenden Schuljahr werden wir die Maßnahme bis auf das 12.Schuljahr ausweiten. Dann kommen rund 60000 Schülerinnen und Schüler in den Genuss der Schulbuchfreiheit. Es handelt sich um eine exemplarische Maßnahme, durch die zahlreiche Lissabonner Familien jährlich mehrere hunderttausend Euro sparen. Des weiteren haben wir die automatische Anpassung des Sozialtarifs beim Trinkwasser beschlossen, um auch bedürftigen Familien die Wasserversorgung zu garantieren, was für uns zu den grundlegenden Rechten zählt. Wir kommen beim Schulbau voran, hier haben wir in den nächsten vier Jahren Investitionen in Höhe von 59 Mio. Euro vorgesehen, die in 40 Grundschulen und Kindergärten fließen werden.
Was sind die wichtigsten Kennzahlen hinsichtlich der Finanzlage der Stadt? Sollen Kommunalsteuern erhöht werden, um die geplanten Ausgaben zu finanzieren?
Das ist nicht mein direkter Zuständigkeitsbereich, aber ich kann sagen, dass der städtische Haushalt rund eine Milliarde Euro umfasst. Einzelheiten können einem Video entnommen werden, das die Stadtverwaltung zur Verfügung stellt.
Wie wirkt sich die anhaltend hohe Schuldenlast Portugals – die von der Troika aufgezwungen wurde – auf die kommunale Ebene aus? Was tut der Bloco, um die Misere zu ändern?
Im Parlament kämpft der Bloco innerhalb und außerhalb des Abkommens mit der PS derzeit darum, dass die Menschen die Einkommensverluste wieder wettmachen können, die ihnen die Jahre der Troika-Vorgaben beschert haben. Auf kommunaler Ebene sind uns durch gesetzliche Verschuldungsgrenzen die Hände gebunden, was Investitionen in Sozialpolitik und öffentliche Dienstleistungen erschwert. Wir kämpfen darum, dass wir die Mittel für ein gutes System öffentlicher Bildungseinrichtungen und wegweisende Sozialprogramme erhalten.
Wie überall in der EU, so ist auch in Portugal unter der alten – rechten – Regierung viel privatisiert worden. Wie sieht es in Lissabon aus, was ist privatisiert worden, welche Bereiche sind noch in öffentlicher Hand? Sind Rekommunalisierungen geplant?
Auf nationaler Ebene sind in der Tat bereits verschiedene Privatisierungen durchgezogen worden. Sie haben sich jedesmal als schlechte Idee erwiesen. So hat der Staat z.B. durch den Verkauf der Post- und Telefongesellschaft (CTT) über 900 Mio. Euro kassiert, aber das Unternehmen macht heute – vor allem in Lissabon – wichtige Geschäftsstellen zu, sein Vorstand verteilt Dividenden, die über den Gewinnen liegen und frisst auf diese Weise die Reserven des Unternehmens auf.
In Lissabon haben wir eine etwas andere Situation. Es gab in letzter Zeit keine Privatisierungen und die Bus- und Bahngesellschaft Carris wurde rekommunalisiert. Nachdem die politische Rechte darauf versessen war, sowohl die U-Bahn von Lissabon als auch Carris zu verkaufen, ist das eine neue Lage. Im Kooperationsabkommen mit der PS haben wir festgeschrieben, dass wir es nicht beim Erhalt der kommunalen Unternehmen belassen können. Es werden 200 neue Fahrer eingestellt und bis 2021 250 neue Busse beschafft. Die ersten davon werden gerade eingesetzt. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren Kunden verloren sowie Arbeitsplätze und Busse abgebaut. Jetzt haben wir eine Trendwende. Nun müssen wir Druck auf die Regierung ausüben, dass sie in die Metro von Lissabon investiert, die derzeit eine Leistungsverschlechterung ohnegleichen durchmacht, durch den Tourismus überlastet ist und einen veralteten Bestand an Fahrzeugen hat.
Es gibt bereits eine bürgerschaftliche Beteiligung für den städtischen Haushalt (Beteiligungshaushalt). Was sind seine wichtigsten Regeln und Zuständigkeiten? Welche Verbesserungen sind geplant?
Den Lissabonner Beteiligungshaushalt gibt es schon mehrere Jahre. Letztes Jahr umfasste er über 400 Vorschläge, über die 27000 Personen abgestimmt haben.
*Die Troika bestand aus der Euro-Gruppe, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds.
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