Gespräch mit Inge Höger
Vom 8. bis 10.Juni findet in Leipzig die erste Tagung des 6.Parteitags der LINKEN statt. Dort wird darüber diskutiert, wie dem Aufschwung der Rechten und den Erfolgen der AfD entgegengewirkt werden kann. Dafür spielen Selbstverständnis und Profil der Partei eine wichtige Rolle: Soll sie als «Partei wie die anderen» wahrgenommen werden oder als politische Kraft, die außerparlamentarische Bewegung vorantreibt, für die Interessen der Lohnabhängigen kämpft und den Kapitalismus überwinden will?
Für die SoZ sprach Manuel Kellner mit INGE HÖGER, die von 2005 bis 2017 Bundestagsabgeordnete war und heute stellvertretende Landessprecherin der Partei DIE LINKE in NRW ist.
Was sind im Vorfeld des kommenden Parteitags die wichtigsten Debatten und Kontroversen in der LINKEN?
Die Partei diskutiert über mögliche Antworten auf die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft und die Erfolge der AfD. Es geht darum, wie wir dem eine Alternative entgegensetzen und uns in Betrieben, Stadtteilen und sozialen Bewegungen besser verankern. Kontrovers ist, ob wir die Rhetorik der AfD in Teilen übernehmen und unsere programmatischen Äußerungen zur Migration aufweichen sollen.
Die Mehrheit in der Partei steht zum Erfurter Programm und fordert die Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl, will soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen. DIE LINKE lehnt die Abschottungspolitik der EU ab und ist gegen Sammellager und Abschiebungen. Denn die Grenzen verlaufen nicht zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern, sondern zwischen oben und unten, zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse.
Damit sind wir auch schon beim nächsten wichtigen Thema des Parteitags: Wie halten wir es mit der Arbeiterklasse? Sind wir eine Partei der Arbeiterklasse mit dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus für einen demokratischen Sozialismus oder sind wir eine «Volkspartei», die nur ein wenig besser regieren möchte als andere Parteien?
Nach wie vor macht die Initiative von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine für eine linke Sammlungsbewegung nach dem Vorbild von France Insoumise von Mélenchon in der Öffentlichkeit viel Wirbel. Dieser Ansatz fand kaum Resonanz, wird trotzdem noch darüber gestritten?
Es ist wohl so, dass diese Initiative in der Partei kaum Resonanz findet. Trotzdem wird sie leider von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine immer wieder über die Medien in die Öffentlichkeit getragen, statt in den Parteigremien darüber zu diskutieren. Diese Debatte lähmt – wie wir einem Aufruf von 25 Bundestagsabgeordneten entnehmen konnten – auch die Arbeit der Bundestagsfraktion, da eine Vielzahl ungeklärter Konflikte und Probleme nicht offen diskutiert werden. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, dass der Parteitag ein klares Signal setzt, wie sich die Partei in Zukunft aufstellen will. Wir brauchen keine Sammlungsbewegung hinter einigen Promis, sondern eine breite Verankerung der LINKEN sowohl unter Lohnabhängigen und Erwerbslosen wie auch unter Jugendlichen und Studierenden.
Traditionell wird die «Parteirechte» mit dem Streben nach Regierungsbeteiligung in Juniorpartnerschaft mit SPD und Grünen identifiziert. Nach den letzten Bundestagswahlen scheint das, auf Bundesebene zumindest, passé, wie auch Dietmar Bartsch öffentlich eingeräumt hat. Bleibt die Kontroverse trotzdem aktuell?
Auch wenn es nach den letzten Bundestagswahlen keine Mehrheit für ein Rot-Rosa-Grünes Projekt gibt, ist das Streben nach Regierungsbeteiligung von Teilen der Partei ja nicht der Erkenntnis gewichen, dass dadurch keine gesellschaftlichen Veränderungen möglich sind. Es gibt auf Landesebene weiterhin Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Berlin und einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen.
Und wir müssen leider feststellen, dass in diesen Bundesländern Flüchtlinge abgeschoben werden und es nur wenige Verbesserungen für die Mehrheit der Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten gibt. Deshalb muss die Bilanz bisheriger Regierungsbeteiligungen unbedingt diskutiert und ausgewertet werden. Daraus sind dann auch Schlussfolgerungen für die politische Ausrichtung zu ziehen.
Wie sieht denn die Antwort der Parteilinken auf die Herausforderung aus, dass bislang die AfD am meisten vom wahlpolitischen Abschwung der etablierten Parteien profitiert? Was sollte DIE LINKE aus deiner Sicht tun, um vor allem die Krise der SPD besser zu nutzen?
Die Wahlergebnisse der LINKEN bei den letzten Bundestagswahlen weisen sehr unterschiedliche Entwicklungen auf. In Ostdeutschland hat die LINKE besonders viele Stimmen, auch an die AfD, verloren, weil sie durch Regierungsbeteiligungen oder durch die Ausrichtung der Partei aufs Mitregieren eher als Teil des Establishments und nicht als Opposition zum neoliberalen Einheitsbrei wahrgenommen wird. Dagegen konnte die AfD leider als Protestpartei Stimmen gewinnen.
In Westdeutschland ist die Entwicklung genau entgegengesetzt. DIE LINKE hat fast überall Stimmen gewonnen. Und sie gewinnt immer mehr neue Mitglieder, die es wichtig finden, der AfD und der Rechtsentwicklung im Land etwas entgegenzusetzen.
Wir müssen deshalb als Partei auf den Aufbau von Gegenmacht gegen die Reichen und Konzerne, gegen den Kapitalismus orientieren. DIE LINKE muss verstärkt in Betrieben und Stadtteilen, in Gewerkschaften und in sozialen Bewegungen wie der Friedensbewegung mit den Menschen diskutieren und mit ihnen gemeinsam für gesellschaftliche Veränderungen kämpfen. Frieden und soziale Gerechtigkeit bleiben die Hauptthemen, aber der sozialökologische Umbau wird immer wichtiger.
Die AKL bereitet unter anderem einen Antrag «für eine moderne, weltoffene Migrationspoilitik» vor. Was sind da die wichtigsten Punkte und warum haltet ihr es für nötig, auf diesem Gebiet einen eigenen Antrag zu stellen?
DIE LINKE formuliert in ihrem Programm zum Thema Migration eigentlich eine klare Position für gleiche soziale und politische Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen. Trotzdem gibt es in der Partei immer wieder Diskussionen darüber.
Wir wollen deshalb mit unserem Antrag noch einmal klarstellen, dass wir uns für Menschen einsetzen, die vor Kriegen, den Folgen des Freihandels oder des Klimawandels fliehen und gemeinsam mit ihnen für eine bessere Welt kämpfen wollen. Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Abschaffung aller Beschränkungen, die Menschen den Aufenthalt in Deutschland erschweren oder gar verunmöglichen. Wir fordern einen Abschiebestopp, die Erleichterung von Einbürgerung und die Möglichkeit mehrfacher Staatsbürgerschaft. Und natürlich das Wahlrecht auf allen Ebenen.
Wir kämpfen mit allen für ein solidarisches und bedarfsorientiertes Weltwirtschaftssystem, das die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Und natürlich bekämpfen wir Fluchtursachen in Form von Kriegen und Waffenexporten und der Ausbeutung des globalen Südens durch die Industrienationen.
DIE LINKE hat neue, oft jüngere Mitglieder gewonnen und beteiligt sich an einer Reihe außerparlamentarischer Aktivitäten. Trotzdem erweckt sie den Eindruck der Anpassung an die etablierten politischen Sitten – mit der Verselbständigung der Führung der Bundestagsfraktion gegenüber der Partei, mit einer wachsenden Zahl von Mandatsträgerinnen, Amtsinhabern und bezahlten Referentinnen als Delegierten auf Parteitagen usw. Wie kann dieser Trend gestoppt bzw. umgekehrt werden?
DIE LINKE gewinnt zur Zeit viele neue Mitglieder, nicht nur, aber gerade auch in NRW. Viele alte und neue Mitglieder beteiligen sich an außerparlamentarischen Kämpfen und Aktivitäten. Das ist die eine Seite der Partei. Auf der anderen Seite beschreibst du zu Recht eine Verselbständigung der Fraktionen gegenüber der Partei. Es ist deshalb wichtig, die Partei durch Beschlüsse auf Parteitagen und durch Diskussionen über unsere politischen Ziele zu orientieren.
Eine Partei, die nicht radikal den Kapitalismus überwinden, sondern in Parlamenten und Regierungen mitgestalten will, die kann so weitermachen wie bisher. Sie macht sich damit aber überflüssig. Eine zweite SPD braucht kein Mensch. Wenn wir aber das Ziel von gesellschaftlicher Gegenmacht und der Abschaffung des Kapitalismus haben, müssen sich Fraktionen diesen Zielen unterordnen.
Die Partei muss auf der Grundlage der Wahlprogramme und des Parteiprogramms die Linie vorgeben. Um einer Verselbständigung entgegenzutreten, sind Begrenzungen von Mandatszeiten mit all ihren Privilegien notwendig. Außerdem brauchen wir eine klare Trennung von Parteiämtern und Parlamentsmandaten. DIE LINKE muss weg von einer Stellvertreterpolitik in Parlamenten hin zu einer Partei, die Menschen begeistert und vor allem befähigt, sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen und zu kämpfen.
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