von Harald Etzbach
Gut eine Woche nach den Luftangriffen, die die USA und ihre Verbündeten Großbritannien und Frankreich als Antwort auf die Giftgaseinsätze in Douma unternahmen, kann eine erste Bilanz gezogen werden. Was ist geschehen?
Nach US-Angaben wurden am 14.April um 4 Uhr Ortszeit zunächst 105 Raketen auf drei Ziele in Syrien abgefeuert: auf den Militärflughafen Dumair östlich von Damaskus, auf ein Gebäude des Forschungszentrums in Barsah, einer Zweigstelle des staatlichen Zentrums für wissenschaftliche Studien und Forschung nördlich von Damaskus, und auf ein Depot in Schien, westlich von Homs in Zentralsyrien. Vom Flughafen Dumair sollen die Helikopter gestartet sein, die nach westlichen Angaben Anfang April den Giftgasangriff auf Douma in Ost-Ghouta ausführten. Von hier aus starteten auch die Kampfjets, die im Februar und März dieses Jahres fast unaufhörlich Ost-Ghouta bombardierten. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete allerdings, dass keine Raketen in Dumair eingeschlagen seien. Das Forschungszentrum in Barsah war nach Medienberichten an der Entwicklung von Chemiewaffen beteiligt, über den Umfang der Zerstörungen dort gibt es unterschiedliche Berichte. In den Depots in Schien schließlich soll der chemische Kampfstoff Sarin gelagert worden sein. Nach Angaben der SOHR soll es hier auch eine Kommandozentrale des syrischen Militärs gegeben haben. Die syrische Armee berichtete, in Schien seien bei den Angriffen drei Zivilisten verletzt worden.
Was war neu?
Abgesehen davon, dass die Luftangriffe diesmal von US-Präsident Trump über Twitter angekündigt wurden, eigentlich nicht viel. Im Unterschied zum Militärschlag der USA im letzten Jahr nach den Giftgasangriffen von Chan Schaichun agierte nun ein Dreierbündnis der USA mit Großbritannien und Frankreich. Und während damals lediglich der Militärflughafen von asch-Schairat attackiert wurde, wurden diesmal mehrere Ziele angegriffen. Ansonsten handelte es sich trotz Trumps pompösen Ankündigungen offensichtlich genau wie vor einem Jahr, als der bombardierte syrische Militärflughafen nach wenigen Tagen wieder einsatzbereit war, wohl um einen eher symbolischen Akt. So wurde Russland auch diesmal im Vorfeld von den Luftangriffen unterrichtet, nur dass diesmal nicht die genauen Ziele der Angriffe benannt wurden. Die Ankündigung der Aktion über Twitter Tage zuvor führte im übrigen dazu, dass das syrische Militär genügend Zeit hatte, mögliche Angriffsziele zu räumen und Kriegsgerät auf russischen Basen unterzubringen, möglicherweise auch weitere Chemiewaffen an geheime Orte zu verlagern.
Obwohl diesmal etwa doppelt so viele Raketen abgeschossen wurden wie 2017, haben die Luftangriffe die militärischen Fähigkeiten des syrischen Regimes daher kaum beeinträchtigt. Flugzeuge und Panzer des Regimes blieben bei den Angriffen unbeschädigt. Den Krieg mit nichtchemischen Waffen wird das Regime also ungehindert fortführen können. Dieser tägliche Krieg mit «konventionellen» Waffen ist zwar offensichtlich weniger spektakulär, jedenfalls berichten westliche Medien nicht mehr allzu viel darüber, aber es ist eben jener konventionelle Krieg, der in den letzten sieben Jahren 99 Prozent der bislang rund 500000 Todesopfer in Syrien gefordert hat.
Das Regime mordet weiter
Der Giftgasangriff auf Douma könnte sich somit als gelungener Schachzug des Assad-Regimes erweisen, mit dem es gelang, die Kämpfer von Dschaisch al-Islam, die als letzte in Ost-Ghouta militärisch Widerstand gegen das Regime leisteten, zur Aufgabe zu zwingen. Einen Preis dafür hat Assad bisher nicht bezahlt. Die britische Premierministerin Theresa May erklärte unmittelbar nach den Angriffen, dass es nicht um einen Sturz des Regimes gehe, und auch der US-amerikanische Verteidigungsminister Mattis stellte klar, dass es sich um eine einmalige Aktion gehandelt habe.
Die Reaktion des Assad-Regimes war daher offen hämisch. So zeigt ein Propagandavideo den syrischen Präsidenten, wie er am Tag nach den Angriffen seelenruhig mit seiner Aktentasche ins Büro fährt, auf anderen Videos sind jubelnde Regimeanhänger in der Hauptstadt Damaskus zu sehen. Unbeeindruckt setzt das Regime nun auch seine militärischen Offensiven gegen die letzten Reste des Widerstands fort. So dringt syrisches Militär seit einiger Zeit verstärkt im Süden gegen die Rebellenhochburg Daraa vor. Auch hier wird bombardiert, und das, obwohl es seit dem letzten Sommer eigentlich ein «Deeskalations-Abkommen» mit der dort operierenden «Südlichen Front» gibt, einer Rebellengruppe, die nicht nur gegen das Assad-Regime, sondern auch gegen den sogenannten «Islamischen Staat» (IS) kämpft. Das Regime ist sehr daran interessiert, das Gebiet wieder unter seine Kontrolle zu bekommen, damit die Handelswege nach Jordanien wieder geöffnet werden können.
Auch das Palästinenserviertel Jarmuk am südlichen Stadtrand von Damaskus liegt seit Mitte April unter schwerem Beschuss durch Regimetruppen. Jarmuk war im Frühjahr 2015 vom «Islamischen Staat» erobert worden, was dem Regime gar nicht so unrecht war, denn die Jihadisten halfen dabei, das an Jarmuk angrenzende Rebellengebiet um die Ortschaften Yalda und Babila in Schach zu halten. Die dort aktiven Rebellen mussten ebenfalls einen Zweifrontenkrieg sowohl gegen die Regierungstruppen wie auch gegen den IS führen. Erst nachdem Ost-Ghouta wieder an das Regime gefallen war, gingen die syrische und die russische Luftwaffe auch in Jarmuk wieder in die Offensive.
Leidtragende sind wie zuvor in Ost-Ghouta vor allem Zivilisten. Etwa 600 von ihnen sollen sich noch in Jarmuk befinden, zumeist ältere Menschen und Kranke. Sollte Jarmuk wieder an das Regime fallen, so würde dies nicht nur den Wechsel von einem Unterdrücker zum nächsten bedeuten, sondern sehr wahrscheinlich auch das Ende palästinensischen Lebens in Syrien überhaupt.
Bereits jetzt ist abzusehen, dass das Regime auch die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes angreifen wird. Dorthin hatte die Assad-Regierung in den letzten Jahren Aufständische und Zivilisten aus den von ihm eroberten Gebieten deportiert. Heute ist Idlib eine Art Freiluftgefängnis. Sollte das Regime Idlib angreifen, säßen etwa 2 Millionen Menschen in einer Falle, aus der sie nicht entfliehen können, denn auch die Türkei hat die Grenzen im Norden abgeriegelt.
Linkes Trauerspiel
Mit den Luftangriffen der USA und ihrer Verbündeten hat nun auch ein bestimmter Teil der politischen Linken Syrien wiederentdeckt. Es ist das alte traurige Muster: keine Mobilisierung gegen den Krieg des syrischen Regimes und seiner Verbündeten (allen voran Russland, dessen Angriffe nach Angaben der Organisation «Airwars» im März 2018 1200 Zivilisten das Leben gekostet haben – die höchste Zahl seit Beginn des russischen Engagements in Syrien 2015), nicht einmal Protest gegen die Anwesenheit von US-Bodentruppen im kurdischen Teil Syriens oder die Bombardierung Raqqas durch die Koalitionstruppen 2016/2017. Große Empörung und die Beschwörung eines dritten Weltkrieges finden wir von dieser Seite erst, wenn westliche Staaten einen symbolischen Angriff gegen ein von Russland gestütztes autoritäres Regime starten – einen Angriff übrigens, bei dem es offenbar kein einziges Todesopfer gab.
Symptomatisch für diese Haltung war eine Kundgebung der Partei DIE LINKE einige Tage nach den Luftangriffen auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin. Die beiden Hauptredner, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, übten zwar scharfe Kritik an den USA und ihren Verbündeten, die Kriegsverbrechen des Regimes und Russlands gegen die syrische Bevölkerung schienen sie jedoch nicht zu interessieren. Haupttenor war vielmehr: «Wir müssen wieder gute Beziehungen zu Russland haben.» Dazu passte, dass es keinen einzigen syrischen Redner auf der Tribüne gab.
Einige junge syrische Flüchtlinge mit Oppositionsfahnen nahmen dennoch an der Kundgebung teil. Sie verteilten ein Flugblatt, in dem sie sich klar gegen den Angriff der US-geführten Koalition aussprachen, aber auch eine Linke kritisierten, die mit zweierlei Maß misst. Wenn zu allen Kriegsverbrechern in Syrien Stillschweigen bewahrt, gegen eine US-amerikanische Intervention aber protestiert wird, dann ist diese Position lediglich eine antiamerikanische, keine, die die Verteidigung eines menschenwürdigen Lebens für Syrerinnen und Syrer anstrebt, heißt es in dem Flugblatt. Und weiter: «Eine Position, die sich erst jetzt an Syrien erinnert, ist nicht zweideutig. Es ist eine klare Position, die Diktatur und Korruption unterstützt.»
Während einige Kundgebungsteilnehmer durchaus gesprächsbereit waren, schlug den syrischen Flüchtlingen vor allem geballte Aggression entgegen. Ohne mit ihnen zu diskutieren, ohne ihr Flugblatt gelesen zu haben, wurden sie als IS-Mitglieder und Terroristen beschimpft. In einem Fall kam es sogar zu einer physischen Attacke. Flüchtlinge anzugreifen war bisher eine Spezialität der Rechten. Dass solche Dinge jetzt offenbar auch auf einer angeblich linken Friedenskundgebung geschehen können, ist ein Zeichen der moralischen und intellektuellen Verwahrlosung von Teilen der Friedensbewegung.
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