von Kurt Hofmann
Die Diagonale, das Festival des Österreichischen Films, zeigte sich im dritten Jahr der Intendanz Höglinger/Schernhuber politisch wach und blieb in der Auswahl der Filme am Puls der Zeit.
Absperren, ausgrenzen: Diese Idee hatte Kanzler Kurz schon vor geraumer Zeit, als er noch Außenminister der großen Koalition war, der «Balkanroute» («durch ihn» geschlossen) sollte der Brenner folgen, ein Zaun zur «Flüchtlingsabwehr» müsse dort her, hieß es. Es sei Die bauliche Maßnahme (Regie: Nikolaus Geyrhalter) notwendig, weil ein Gebot der Zeit…
Nikolaus Geyrhalter spricht mit den Menschen der Umgebung und siehe da, vielen erschließt sich die Maßnahme nicht. So manch einer, von dem man auf den ersten Blick erwarten würde, dass er nun losziehen würde gegen die Flüchtlinge, erweist sich als Humanist, bloß die sympathisch wirkende junge Mautbeamtin ist plötzlich nicht mehr zu halten, als die Rede auf jene kommt, die hier Schutz und in der Folge Asyl suchen.
Insgesamt jedoch zeigt sich, dass die angeblich vor Angst Zitternden und zu Schützenden die bauliche Maßnahme weder herbeigesehnt haben noch für sinnvoll erachten… Nachdem Geyrhalter bei mehreren Kontrollen mit dabei war, an Orten, wo versteckte Flüchtlinge vermutet werden, begleitet er die Gendarmerie beim Öffnen eines Containers: dort befinden sich allerdings keine raffinierten Eindringlinge aus fremdem Land, sondern der als Grenzabsperrung vorgesehene Maschendrahtzaun, gut abgelagert nun schon seit einigen Jahren und regelmäßig auf seine allfällige Tauglichkeit überprüft. «Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode!» – dieser Satz aus Shakespeares Hamlet könnte auch das Motto von Nikolaus Geyrhalters Die bauliche Maßnahme sein…
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Christoph will als Polizist Karriere machen, genauer, er will zur WEGA, dort, wo die «harten Burschen» sind. Schon hat er es in der Gruppe derer, die zum fixen Mitglied dieser Einheit werden könnten, geschafft. Sein erster Einsatz, ein Fall von Ruhestörung, zu der die Streifenpolizisten zur «Sicherheit» auch die WEGA gerufen haben wegen des hohen Aggressionspotenzials des Festzusetzenden, beschert Christoph die Gunst des Kommandanten. Denn er hat diesem, als der vom «Täter» mit einem Messer angegriffen wird, angeblich das Leben gerettet, indem er den Mann über den Haufen schoss. Nach und nach muss Christoph erkennen, dass seine Einschätzung der Situation vor Ort falsch gewesen sein könnte, daran zerbricht die Beziehung zu seiner Freundin ebenso wie seine Selbstgewissheit. Aber es gibt für ihn kein Zurück…
Cops (Regie: Istvan) führt in eine Welt der Posen und des «Korpsgeistes». Das Hinterfragen von Vorgängen ist da fast schon Verrat und das aufgesetzte Machotum verdeckt die Unsicherheit, die Angst, die stets aus Neue kaschiert werden muss. Christophs Freundin ist auch Polizistin, Christophs Vater ist (Polizei-)Fanbetreuer eines Wiener Fußballvereins – da ist für einen wie den aufstrebenden «Supercop» ein Leben nur in der «Einheit» (man beachte den Ausdruck…) vorstellbar. Was Cops eindrücklich zeigt: Welche Gewalt von «Männlichkeitswahn» und vom Männerbündischen ausgehen kann, in der Verbindung von Adrenalin und potenzieller Aggression…
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Der SS-Führer Franz Murer gilt als «Schlächter von Vilnius», wo er zwischen 1941 und 1943 wahllos unzählige Juden ermordete. Als es 1963 endlich zum Prozess gegen ihn in Österreich kommt, hat er sich bereits als biederer Großbauer und ÖVP-Funktionär etabliert. Im Prozess wird das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt, die aussagenden Überlebenden werden beleidigt und verhöhnt, als Lügner dargestellt. Der Hauptcoup des zynischen Murer-Verteidigers ist die Frage nach der Farbe von Murers Uniform – denen, die sie in der Erinnerung nach Jahrzehnten falsch beantworten, wird verbal der Prozess gemacht, ihre Toten und Murers Taten zählen da nicht mehr. Hinter den Kulissen gibt es zahllose politische Interventionen. Die Stimmen der vielen «Ehemaligen» im Lande sind wertvolles Wahlgut, da sieht man über ermordete Juden (die als Wähler somit ausfallen) ohne Gewissensbisse hinweg.
Murer – Anatomie eines Prozesses (Regie: Christian Frosch) zeigt ein Nachkriegsösterreich im Zeichen des Kalten Krieges, das den «Feind» jedenfalls nicht in einem Massenmörder in SS-Uniform sieht. Am Tag des skandalösen Freispruchs für Murer sind alle Blumenläden in Graz ausverkauft, so viele wollen Murer gratulieren. Froschs Film untersucht die (Un-)Kultur des Wegschauens, des Nichtdabeigewesenseins, ebenso wie das bewusste Verkehren bzw. Ignorieren der Wahrheit – Fake-News würde man 2018 sagen. Wegschauen, Vergessen, Ausblenden – klingelt da was?
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