von Ulla Jelpke*
Zuerst die gute Nachricht: Eine Aufrüstung der Polizei mit Handgranaten wie in Bayern ist in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht vorgesehen, obwohl ein polizeiinternes Schreiben im Februar als neues Leitbild definierte, die NRW-Polizisten sollten «gewaltfähig» werden und «körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit» ausstrahlen. Doch sonst fällt der von der CDU-FDP-Landesregierung im April zur 1.Lesung eingebrachte Gesetzentwurf «zur Stärkung der Sicherheit in Nordrhein-Westfalen» kaum hinter das bayerische Original zurück.
Zur Abwehr «drohender» Gefahren weit im Vorfeld der Planung oder Begehung einer Straftat soll die NRW-Polizei zukünftig «Gefährder» statt bislang 48 Stunden in Vorbeugegewahrsam einen ganzen Monat lang in Präventivhaft nehmen können. Auch elektronische Fußfesseln kann sie ihnen anlegen. Ob eine Person als «Gefährder» gilt, ihr also die Begehung einer schweren Straftat zuzutrauen ist, entscheidet kein Gericht, sondern eine Polizeibehörde nach subjektivem Ermessen, nötig ist dafür weder eine Vorstrafe noch ein konkreter Tatvorwurf. Die Polizei darf zudem für vermeintliche «Gefährder» Kontaktverbote zu bestimmten Personen und Aufenthaltsverbote an bestimmten Orten für eine Dauer von drei Monaten aussprechen.
Zudem soll die Landespolizei quasigeheimdienstliche Befugnisse erhalten, indem sie präventiv Handydaten, oder Computer auch mittels Trojanern ausspähen darf, ohne dass ein konkreter Verdacht auf eine geplante Straftat vorliegt. Weitere vorgesehene Verschärfungen betreffen die Einführung der aus Rücksicht auf den Koalitionspartner FDP «strategische Fahndung» genannten verdachtsunabhängigen Schleierfahndung sowie die massive Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Zwar muss ein Großteil der Maßnahmen von einem Richter angeordnet, überprüft oder genehmigt werden. Doch Kritiker verweisen darauf, dass diensthabende Richter gerade an Wochenenden gar nicht die Zeit haben, jeden Fall angemessen zu prüfen.
Gummiparagraf
Kern des schwarz-gelben Polizeistaatsgesetzes ist die Einführung des weit über den bislang benutzten Begriff der «konkreten Gefahr» hinausreichenden Begriffs der «drohenden Gefahr». Eine solche liegt laut §8 Abs.4 des Gesetzentwurfs vor, «wenn im Einzelfall hinsichtlich einer Person bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person innerhalb eines absehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird».
Ergänzt wird diese Gummidefinition noch durch einen ebenso vagen Begriff von «drohender terroristischer Gefahr» in Absatz 5. Um eine solche handelt es sich, wenn eine «drohende Gefahr» geeignet ist, «1. die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern; 2. eine Behörde, eine nationale oder internationale Organisation, ein Organ der Meinungsäußerung rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen; oder 3. die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, eines Landes, einer nationalen oder internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen». Es gehört nicht viel Fantasie dazu, gegebenenfalls schon Blockadeüberlegungen, wie es sie etwa bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt oder während des G20-Gipfels in Hamburg gab, oder wilde Streiks zur «drohenden terroristischen Gefahr» zu erklären.
Alte Zeiten kehren zurück
Letztmalig hatten Polizeibehörden unter dem NS-Regime so weitreichende Befugnisse, wie sie jetzt die bereits verabschiedeten oder noch in der Debatte befindlichen Polizeigesetze in Bayern, NRW und weiteren Bundesländern vorsehen. Gerechtfertigt wird diese Ausweitung der Befugnisse von CDU-Landesjustizminister Herbert Reul insbesondere mit der Terrorismusbekämpfung.
Tatsächlich werden derzeit vor allem radikale Islamisten als «Gefährder» eingestuft. Doch das muss nicht so bleiben. «Häuslicher Beziehungsstreit, Alkoholiker, Whistleblower, Demonstranten, Streikführer oder Fußballzuschauer; treffen kann es nach dem Gesetzeswortlaut nahezu jeden. So kann es nach dem Entwurf für eine präventive Inhaftierung ggf. schon ausreichen, bestimmte Internetseiten anzuklicken, mit verdächtigten Personen in Kontakt zu stehen, bestimmte Meinungen zu vertreten oder sich die Eintrittskarte für ein ‹Problem-Fußballspiel› zu kaufen», warnt die Strafverteidigervereinigung NRW.
Erfahrungsgemäß können repressive Gesetze, deren Einführung in der Regel mit dem Schutz vor bestimmten, von der Bevölkerung sogar zurecht als gefährlich angesehenen Gruppen gerechtfertigt wurden, auch gegen andere Gruppierungen zur Anwendung kommen. Meldeauflagen, die Ende der 90er Jahre offiziell zur Bekämpfung des Fußball-Hooliganismus beschlossen wurden, wurden wenige Jahre später auf linke Globalisierungsgegner ausgeweitet, wenn diese gegen Gipfeltreffen demonstrieren wollten. Und Ausreiseverbote durch den Einzug von Reisepässen, die offiziell gegen Jihad-Reisende beschlossen wurden, treffen auch linke Aktivisten, die sich kurdischen Milizen in Syrien zum Kampf gegen die Jihadisten anschließen wollen.
Die Polizei übernehme durch das neue Gesetz zunehmend die Arbeit von Geheimdiensten, beklagt die NRW-Landesdatenschutzbeauftragte Helga Block. «Es droht ein Paradigmenwechsel hin zu einer Polizei, die auch außerhalb ihrer kriminalpolizeilichen Aufgaben zunehmend mit repressiven Befugnissen ausgestattet ist.» Auch bei der NRW-Landtagsopposition stößt das Polizeigesetz, das noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll, auf Kritik. Nach einer für den 7.Juni geplanten Expertenanhörung will die SPD entscheiden, ob sie zusammen mit den Grünen vor den Verfassungsgerichtshof in Münster ziehen will. Außerparlamentarisch macht ein Bündnis «Nein zum neuen Polizeigesetz NRW» mobil. Geplant ist unter anderem eine Großdemonstration am 7.Juli vor der abschließenden Lesung des Gesetzes im Düsseldorfer Landtag.
Das NRW-Polizeistaatsgesetz ist keine «drohende», sondern eine «konkrete Gefahr» – für die Grundrechte und den Rechtsstaat. Es muss verhindert werden!
* Ulla Jelpke ist Mitglied des Bundestags für die Fraktion DIE LINKE.
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