von David Stein
Am 8.Mai hat US-Präsident Trump das «Wiener Abkommen» (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA), mit dem die Iran-Sanktionen gelockert wurden, aufgekündigt, obwohl sich der Iran an die nukleartechnischen Auflagen des Abkommens gehalten hat. Die Repräsentanten der EU-Staaten protestierten mit harschen Worten gegen die Aufkündigung. Sie wollen am Abkommen festhalten. Kommissionspräsident Juncker will eine EU-Verordnung (sog. blocking statute) erlassen, die es europäischen Firmen verbieten würde, sich an die US-Sanktionen zu halten. Das mediale Getöse klingt allerdings eher wie das Pfeifen im Walde.
Schaut man sich etwa die Erklärungen von Wirtschaftsminister Altmaier («Wir können unsere Firmen nicht juristisch gegen die US-Sanktionen schützen») und vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) genauer an, ist mit Gegenreaktionen der EU, wie sie noch bei US-Einfuhrzöllen für Stahl und Aluminium angekündigt waren, kaum zu rechnen. Der BDI rät seinen Mitgliedsunternehmen, sich streng an die US-Sanktionen zu halten. Auch die Kanzlerin ist bei den vorgeschlagenen EU-Gegenmaßnahmen skeptisch. Der Grund: Der Export in den Iran macht bislang nur 0,2 Prozent der deutschen Exporte aus – allerdings seit 2016 mit deutlichem Aufwärtstrend. Gerade einmal auf Platz 50 rangierte der Iran auf der Rangliste der deutschen Handelspartner 2017. Deutsche Unternehmen haben 2017 Waren für nicht einmal 3 Milliarden Euro in den Iran exportiert. Dem stehen Waren im Wert von mehr als 111 Milliarden Euro gegenüber, die deutsche Firmen in die USA exportierten. Wenn sich europäische Exporteure wegen der Trump-Politik zwischen dem amerikanischen und dem iranischen Markt entscheiden müssen, ist den meisten der US-Markt wichtiger.
Das Wiener Abkommen
Das Wiener Abkommen wurde im Juli 2015 zwischen den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, China und dem Iran geschlossen und durch den UN-Sicherheitsrat weltweit für gültig erklärt. Der Iran verpflichtete sich im JCPOA für die Dauer von zehn Jahren zu einer Rücknahme seiner Nuklearaktivitäten, was von der IAEO überprüft wird und bisher nicht beanstandet wurde.
Es sah im Gegenzug eine schrittweise Rücknahme der Sanktionen gegen den Iran vor. Diese beinhalteten primär ein Verbot, bestimmten Personen und Organisationen im Iran weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Während die EU im Januar 2016 daraufhin die Sanktionen signifikant gelockert hatte, hatten die USA die Sanktionen für US-Firmen wegen weiterbestehender anderer Sanktionsgründe (Verletzung von Menschenrechten, Einsatz des Iran in Syrien) aufrechterhalten und nur punktuelle Ausnahmen für Nicht-US-Firmen und ausländische Töchter von US-Firmen erlaubt. Sie waren deshalb notwendig, weil die US-Sanktionen – völkerrechtlich ein Unding – extraterritoriale Wirkung außerhalb der USA entfalten und hohe Strafen auch gegenüber Nicht-US-Unternehmen im Falle eines Verstoßes gegen die US-Regelungen vorsehen. Europäische Unternehmen können dadurch bei Verstößen gegen US-Recht zum Ziel amerikanischer Sanktionen werden.
Mit seiner Aufkündigung des Abkommens geht es Trump darum, neben dem Iran gezielt die europäische Konkurrenz im weltweiten Handelskrieg zwischen den USA und der EU durch diese sog. sekundären Sanktionen mit ihrer exterritorialen Wirkung zu treffen. Auch hier gilt: America first. Dabei gehen die USA wie folgt vor:
Die USA haben die Wiedereinführung der Nuklearsanktionen gegen den Iran in zwei Schritten angekündigt, die Nicht-US-Firmen treffen, deren Iran-Geschäft nach US-Recht im Rahmen des JCPOA entweder genehmigt oder eben nicht sanktioniert war:
–Der 1.Schritt erfolgt am 6.August 2018. Dieser Schritt trifft noch nicht den «harten Kern» der Sanktionen; er betrifft die Sanktionierung des iranischen Automobilsektors (in dem Frankreich derzeit besonders aktiv ist) und das neuerliche Verbot für die Lieferung von Zivilflugzeugen und deren Komponenten in den Iran. Boeing hat bereits angekündigt, sich aus dem Iran-Geschäft, in das es 2016 eingestiegen war, zurückzuziehen. Airbus, bei dem der Iran 100 Flugzeuge bestellt hatte, wird diese Maschinen nicht ausliefern, um nicht vom profitableren US-Markt vertrieben zu werden.
–Der 2.Schritt folgt am 4.November 2018 und enthält massive Einschränkungen des Handels und Zahlungsverkehrs mit dem Iran. Es werden alle wirtschaftlich relevanten Bereiche früherer US-Sanktionen reaktiviert, die die EU bis 2016 mit ihrem eigenen Sanktionsregime nachvollzogen hat. Dazu gehören:
–Verbot der Einfuhr von Erdöl, Erdgas und petrochemischen Produkten aus dem Iran wie auch der Export von Maschinen und Ausrüstungen für diesen Bereich in den Iran. Im Gegenzug haben die USA und Saudi-Arabien ihre weltweiten Fördermengen bereits erhöht!
–Sperrung aller Häfen für iranische Schiffe und deren Versicherung durch Schiffsversicherer (in diesem Markt sind besonders deutsche Versicherungsunternehmen aktiv).
–Sanktionen gegenüber Nicht-US-Finanzinstituten, die Transaktionen mit der iranischen Zentralbank durchführen; Sperrung des Zahlungsverkehrs über SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) – eine Institution, die den Nachrichten- und Transaktionsverkehr von weltweit mehr als 10000 Banken über sichere Telekommunikationsnetze standardisiert. Sie ist für den internationalen Zahlungsverkehr unverzichtbar.
–Erneute Listung von natürlichen und juristischen Personen auf der SDN List (Specially Designated Nationals List). Das ist der schwerwiegendste Teil der aktivierten US-Sanktionen gegen den Iran. SDN-Listungen entfalten extraterritoriale Wirkung und sind von jedermann (auch von Unternehmen in der EU) zu beachten. Verboten wird nicht nur die direkte Geschäftsbeziehung mit den SDN-Gelisteten, sondern auch mittelbar mit solchen Firmen, die diesen zu mehr als 50 Prozent gehören. Die Listungen werden alle iranischen Banken und wirtschaftlich relevanten iranischen Unternehmen, etwa des Öl- und petrochemischen Sektors, aber auch eine breite Palette von iranischen Ministerien einschließen.
Nicht-US-Firmen wurden bereits aufgefordert, ihre Geschäftsbeziehungen, die sie vor dem 8.Mai 2018 eingegangen sind, zum 6.August bzw. 4.November 2018 abzubrechen. In diesem Sinne hat der neue US-Botschafter in Berlin mit seinem ersten Tweet bereits Druck auf deutsche Unternehmen gemacht.
Die Kündigung des US-Abkommens wird also massive Auswirkungen auf das Iran-Geschäft von Nicht-US-Unternehmen haben. In Zukunft wird es wieder schwierig werden, den für die Finanzierung des Handels mit dem Iran notwendigen Zahlungsweg auch für nach US-Recht erlaubte Transaktionen, etwa die Bezahlung von Medikamentenlieferungen, offenzuhalten. Europäische Großbanken werden ohnehin vollständig aus dem Irangeschäft aussteigen. Verstöße der Commerzbank und der BNP wurden von den USA in der Vergangenheit bei Verstößen gegen das US-Sanktionsrecht – nicht nur im Fall des Iran – mit Strafen in Milliardenhöhe überzogen.
Als Reaktion auf extraterritorial wirkende Blockadegesetze der USA gegen Kuba, Libyen und Iran hatte die EU im Herbst 1996 eine «Verordnung zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden und sich daraus ergebenden Maßnahmen» erlassen. Darin wird jeder Mitgliedstaat der EU aufgefordert, «die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Interessen aller Personen [zu ergreifen], die durch die extraterritoriale Anwendung der US-Sanktionsgesetze und Maßnahmen beeinträchtigt werden».
Über dieses blocking statute könnte die EU europäischen Firmen verbieten, sich an die US-Sanktionen zu halten, wobei diese für Kosten und Verluste entschädigt würden. Seit 1996 wurde diese Verordnung allerdings nicht umgesetzt – nicht zuletzt auf Wunsch der europäischen Banken. Die Achillesferse bei US-Finanzsanktionen sind die europäischen Banken, über die der Zahlungsverkehr nicht nur im und vom Iran, sondern weltweit abgewickelt wird und die den Außenhandel finanzieren. Selbst Unternehmen und Banken sind betroffen, die keinerlei Geschäftsbeziehungen mit dem Iran unterhalten, aber x-beliebige Geschäfte in US-Dollar abwickeln. Da die Abrechnung von Zahlungen in US-Dollar (Clearing) nur in den USA stattfinden kann, wären sie durch das US-Dollar-Clearing vom langen Arm der extraterritorialen US-Sanktionen betroffen und im Ergebnis vom US-Dollar abgeschnitten.
Jetzt rächt sich, dass die EU in der Vergangenheit den Sanktionsmechanismus der USA – etwa gegen Russland, den Iran oder den Irak – kritiklos in ihr eigenes Recht übernommen und sogar weiterentwickelt hat. Damit haben die USA und die EU eine neue Form von ausländischer Intervention mit anderen Mitteln geschaffen, die in ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung vielfach einer militärischen Intervention in nichts nachsteht. Finanzsanktionen, von einigen Friedensforschern beschönigend als «smart sanctions» tituliert, gelten gegenüber dem unmittelbaren Waffeneinsatz als humane, völkerrechtlich einwandfreie Reaktion gegen «Schurkenstaaten». Dass diese als Kollateralschaden oft die Zivilbevölkerung treffen und dabei die Wirkung von Cruise Missiles übersteigen können, wird kaum problematisiert.
Durch die harten Sanktionen gegen den Irak, die selbst Lebensmittel umfasst haben, sind im «Zielland» Tausende Kinder gestorben. Ähnliches gilt für den Iran, wo im Ausland hergestellte, dringend benötigte Medikamente nicht lieferbar waren, weil diese von iranischen Importeuren durch die vollständige Unterbrechung des Zahlungsverkehrs an den Exporteur im Ausland nicht bezahlt werden konnten. Durch die Aufnahme von Ersatzteilen für Zivilflugzeuge in die Verbotslisten sind im Iran Zivilflugzeuge abgestürzt, wobei viele Menschen ihr Leben verloren haben. Dieses inhumane Trauerspiel könnte sich im Iran ab dem November 2018 wiederholen.
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