Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2018
Die CSU «schützt» den Staat vor seinen Bürgern
von Paul B. Kleiser

Angesichts des drohenden Verlustes der absoluten Mehrheit bei den Landtagswahlen am 14.Oktober schlägt die neue CSU-Regierung von Markus Söder wild um sich. Einerseits fährt sie eine «Sicherheitspolitik», die vor allem in einer Aufrüstung der Polizei besteht, wiewohl Bundesinnenminister Seehofer («Heimathorst») gerade verkünden musste, dass 2017 deutlich weniger Straftaten verübt wurden – und Bayern besonders sicher ist. Andererseits lautet die Kampfparole, «der Islam gehört nicht zu Deutschland», was bedeutet, dass man den Geflüchteten aus islamischen Ländern das Leben durch «Asylzentren» möglichst schwer machen und Helfer abschrecken möchte; eine Vielzahl soll umstandslos abgeschoben werden. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt möchte die AfD unbedingt rechts überholen; deshalb schimpft er über eine angeblich «aggressive Anti-Abschiebe-Industrie», die Geflüchteten auch noch Rechte verschaffen will. Zur Grenzsicherung, eigentlich Aufgabe der Bundespolizei, soll eine eigene bayrische Polizeitruppe geschaffen werden.

Das «christliche» Bayern sollen Kreuze dokumentieren, die nicht nur die Gipfel der Berge zieren, sondern hinfort an den Eingängen aller öffentlichen Gebäude angebracht werden sollen. Sogar der Münchner Kardinal Reinhard Marx verwahrte sich gegen diesen Missbrauch. Ein Leser der Süddeutschen schrieb: «Wenn mir ein machtgeiler Wahlkämpfer Kreuze im Dutzend vor die Nase hängen will, dessen ganze Politik Minderheiten, Schwache und Verfolgte mit Füßen tritt, die ‹geringsten Brüder des Gekreuzigten› also, und dessen Partei die ekelhaftesten Diktatoren von Pinochet bis Orbán umarmt hat, dann verbitte ich mir diese Heuchelei.»

 

Willkür statt Recht

Schon beim neuen «Psychisch-Kranke-Hilfe-Gesetz» wurde der Begriff der «drohenden Gefahr» eingeführt, der an die Stelle der «konkreten Gefahr» tritt. Das Verfassungsgericht hatte diesen juristisch problematischen Begriff vergangenes Jahr zugelassen, jedoch nur im engen Zusammenhang mit Terrorismus. Nun meint die CSU, dieses Konzept breit auswalzen zu können, so dass eine massive Absenkung der «polizeilichen Eingriffsschwelle» erreicht wird. Psychisch Kranke werden nun immer als «potenziell gefährlich» angesehen, so dass möglichst viele Daten gesammelt und gespeichert werden und die Überwachung forciert wird.

Sodann war die Polizei an der Reihe: Nach dem neuen Polizei-Aufgaben-Gesetz (PAG) können Menschen viel leichter und länger (bis zu drei Monaten, dann kann ein Richter das um jeweils weitere drei Monate verlängern) präventiv in Haft gehalten werden, auch wenn sie gar keine Straftat verübt haben. «Vorbeugehaft – seit 85 Jahren bewährt», hätte eine etwas zynische Parole lauten können.

Laut Heimathorst begreift die CSU das PAG als «Muster», das auch in anderen Bundesländern Nachahmung finden soll. Wie soll aber ein Mensch aus der Haft heraus beweisen, dass von ihm keine Gefahr ausgeht? Gerne wird behauptet, hätte man den Berliner Attentäter Amri rechtzeitig festgesetzt, würden die Getöteten noch leben. Doch kein PAG kann gewährleisten, dass die Behörden (wie im Fall Amri unterblieben) ordentlich arbeiten – ganz im Gegenteil. Außerdem handelte es sich bei ihm eindeutig um einen Straftäter!

Des weiteren darf die Polizei künftig Telefone abhören, Computer und Clouds durchsuchen oder heimlich die Post überwachen – und zwar ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegt. Eine junge Demonstrantin hielt als Kommentar ein Schild hoch: «Passwort vergessen? 110». Zwar muss ein Richter die Überwachung überprüfen, aber wie soll jemand feststellen, ob in Zukunft eine Gefahr droht? Häufig werden nun die falsche Religion oder der nicht genehme Lebenswandel als Argumente herhalten müssen.

Alle Formen der Identitätsfeststellung bis hin zu DNA-Tests sollen jetzt erlaubt sein. Auch eine «intelligente Videoüberwachung» soll gegen Einzelpersonen und Wohnungen möglich sein, ja sogar die «Unterbrechung der Telekommunikation» oder des Zugangs zu Rundfunk und Fernsehen. Außerdem Online-Durchsuchungen sowie das Betreten von Privatwohnungen zu diesem Zweck.

Die Polizei soll in Zukunft auch Vorladungen zwangsweise vollstrecken oder Kontakt- und Aufenthaltsverbote durchsetzen dürfen. Als im vergangenen Juli eine Gruppe junger Leute aus Rosenheim nach Hamburg reisen wollte, um gegen den G7-Gipfel zu demonstrieren, verfügte die Polizei ein Verbot, Rosenheim zu verlassen, das allerdings vor Gericht keinen Bestand hatte. Offensichtlich möchte die CSU diese Schmach auswetzen.

Versammlungen und Demonstrationen sollen zukünftig vollumfänglich gefilmt werden dürfen. Neben festen Kameras sollen die Polizisten in Zukunft Body-Cams tragen, wobei sie löschen können, was ihnen nicht in den Kram passt. Sogar bei Durchsuchungen in privaten Wohnungen sollen diese Kleinkameras laufen dürfen! (In den USA wurden viele gewalttätige Polizisten durch diese nicht abschaltbaren Kameras überführt – das soll in Bayern natürlich nicht passieren!)

 

Widerstand

Der Rechtsanwalt Hartmut Wächtler, der bei der Anhörung zum Gesetz im Bayrischen Landtag auch als Gutachter aussagte, fasste seine Einschätzung wie folgt zusammen: «Die Zusammenschau dieser Befugnisse ergibt das Bild einer praktisch vollkommenen Kontrolle der Polizei über die Existenz der betroffenen BürgerInnen, ihre Privatsphäre, ihre Lebensweise und ihren Aufenthaltsort, ihre Kommunikation mit Freunden und Geschäftspartnern, die Personen, mit denen sie sich treffen und nicht zuletzt die Verfügungsmacht über ihr Vermögen. Wer hier an George Orwell denkt, liegt nicht falsch.»

Angesichts dieser Repressionspolitik der CSU riefen über 90 Verbände und Organisationen zu einer Großdemonstration am 10.Mai nach München auf. Statt der erwarteten 10000 kamen bis zu 50000 Demonstrierende, in der großen Mehrheit junge Leute. Die Demo musste ohne vorherige Kundgebung gestartet werden, weil der Marienplatz völlig überfüllt war und immer mehr Menschen nachdrängten. Hunderte Demonstrierende hielten selbstgemalte Schilder hoch, auf denen sie fantasievoll die Ausweitung der polizeilichen Aufgaben geißelten.

Dies war die größte Demo seit vielen Jahren; nicht nur die Süddeutsche Zeitung meinte, über der Veranstaltung habe ein Hauch von Wackersdorf gelegen. Damals brachte eine große Bürgerkoalition das Straußsche Vorzeigeprojekt einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz durch ihren beharrlichen Widerstand zum Scheitern.

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