von Ute Abraham
Am 25.?Mai stimmte eine Mehrheit der Irinnen und Iren für eine Lockerung des Abtreibungsverbots, 66,4 Prozent sprachen sich dafür aus, den 8.?Zusatzartikel aus der Verfassung zu streichen. Von 40 Wahlkreisen überwogen lediglich in einem die Nein-Stimmen. Entsprechend groß war der Jubel und die Erleichterung.
Für viele, im Ausland lebende Irinnen war das Referendum so wichtig, dass sie anreisten, um in einem der Wahlbüros ihre Stimme abzugeben. Die meisten nahmen dabei einen Reiseweg auf sich, den Irinnen bisher in eine andere Richtung nehmen mussten. Jahr für Jahr fahren Frauen ins benachbarte Ausland, um dort eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Andere bestellen sich Abtreibungspillen per Post und wieder andere finden Hilfe im Land: heimlich und illegal. «Inhuman und entwürdigend» kritisierte dies der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen und mahnte zuletzt im Jahr 2016 eine Reform an.
In Irland herrschte bislang eines der striktesten Abtreibungsverbote weltweit, es drohte Frauen, die eine Abtreibung durchführen, mit Haftstrafen von bis zu 14 Jahren. Seit 1983 steht dieses Verbot in der Verfassung und räumt damit Frauen und dem Fötus das gleiche Recht zu leben ein. Erst im Jahr 2013 wurde eine Abtreibung gesetzlich möglich, doch nur dann, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Das Leiden der Frauen
Der irische Ministerpräsident, Leo Varadkar, begrüßte nun das Ergebnis des Referendums und sprach von einer stillen Revolution, die in den letzten 10–20 Jahren in Irland stattgefunden habe. Aber weder diese Gesetzesänderung noch der Erfolg des Referendums fanden in aller Stille statt. Lautstarke Proteste gab es bereits im Jahr 2012, als der Tod von Savita Halappanavar bekannt wurde. Sie hatte sich in der 17.?Schwangerschaftswoche eine Infektion der Plazenta zugezogen. Weil das Herz des Fötus noch schlug, verweigerten die Ärzte im Krankenhaus, mit Verweis auf die Gesetzeslage, einen Eingriff. Savita starb an einer Blutvergiftung.
Auch das Ausreiseverbot eines 13jährigen Mädchens, das nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, empörte viele, und nicht zuletzt auch das Leiden von Claire Cullen-Delsol: Bei ihr ergab eine Schwangerschaftsuntersuchung, dass der Fötus unter einer seltenen Chromosomenstörung litt. Damit stand fest, dass das Kind nach der Geburt nicht lange überlebt hätte, wahrscheinlich sogar bereits im Mutterleib gestorben wäre. Nach dieser Diagnose entschied sich Cullen-Delsol, die Schwangerschaft abzubrechen. Geholfen wurde ihr nicht.
Diese und viele andere Tragödien, die sich immer dann ereignen, wenn eine Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs per Gesetz, mittels Moralkodex oder aufgrund einer angeblichen göttlichen Verfügung eingeschränkt wird, haben die Stimmung im katholischen Irland verändert. Hinzu kommt der Verlust der Kirche als moralische Instanz. Die Fälle von Missbrauch durch katholische Priester und die zahlreichen Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Institutionen, insbesondere das Schweigen und Vertuschen dieser Missbräuche, hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt, der zuletzt beim Referendum über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe deutlich wurde.
Beim Referendum vom 25.?Mai hatten die Entscheidungsträger der katholischen Kirche offensichtlich beschlossen, erst gar nicht mehr massiv einzugreifen. Umso eifriger agierten organisierte «Lebensschützer» – überwiegend aus dem Ausland, z.?B. den USA – und füllten die Lücke der religiösen Eiferer. Mit bezahlten Anzeigen und Videos machten sie Stimmung. Nach irischem Recht ist es allerdings verboten, während einer politischen Kampagne Spenden aus dem Ausland anzunehmen. Erst zwei Wochen vor dem Ende des Referendums stoppten Facebook und Google alle Anzeigen der sog. Lebensschützer, die aus dem Ausland finanziert wurden.
Der Kampf der Frauen
Das Schweigen und die Stille aber brachen vor allem die Frauen, die sich in den letzten Jahren lautstark für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einsetzten. Ein Höhepunkt war der 8.?März 2017, als Schülerinnen, Lohnabhängige und Studierende dem Streikaufruf «Strike 4 Repeal» (Streik für die Aufhebung [des Abtreibungsverbots]) folgten und dabei stundenlang Straßen blockierten, bis der Verkehr zum erliegen kam. Die Organisation ROSA (Reproductive rights against Oppression, Sexism and Austerity) organisierte bereits seit 2014 den «Zug/Bus der Abtreibungspillen», in dem sie eine sichere Abtreibung per Pille anboten und damit das Abtreibungsrecht in Irland lächerlich machten.
Vor allem wurde damit medienwirksam deutlich, dass die Realität im Land schon lange nicht mehr mit dem Abtreibungsverbot übereinstimmt. Erst auf Druck dieser recht lauten feministischen Bewegung entschied sich der konservative Ministerpräsident, Leo Varadkar, aktiv zu werden. Zunächst trat er das Thema jedoch an eine Bürgerversammlung ab, die dem Parlament einen Reformvorschlag unterbreiten sollte. Das Ergebnis war wohl nicht so, wie er es sich erhofft hatte. So wurde das Referendum eingeleitet.
Bei aller Freude über das Ergebnis bleibt jetzt abzuwarten, was parlamentarisch auf den Weg gebracht wird. Klar ist aber, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ist damit noch nicht erreicht. Auch in Deutschland sind wir noch weit von einem Selbstbestimmungsrecht entfernt. Abtreibungen sind verboten und bleiben nur unter bestimmten Voraussetzungen – wenn sie in den ersten 12 Wochen durchgeführt werden und vorher eine Zwangsberatung stattfand – straffrei. Erschwerend kommt hinzu, dass Ärzte, die eine solche Leistung anbieten, nicht darüber informieren dürfen. Lange herrschte hier Funkstille über diese Missstände. Erst seit «Lebensschützer» wieder massiver mobilisieren und die Gießener Ärztin Kristina Hänel im November vergangenen Jahres zu einer Geldstraße von 6000 Euro verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Homepage darüber informierte, dass sie Abtreibungen vornimmt, wird wieder über die Abschaffung des §?218 und über den Zugang von Informationen diskutiert. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, hat jetzt angekündigt, dass die Linksfraktion nach der Sommerpause einen Antrag unter dem Titel «Beratungspflicht aufheben – Beratungsrecht stärken» in den Bundestag einbringen wird. Das könnte die Diskussionen weiter beleben.
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