Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2018
Schicht im Schacht. Die Ausstellung «Das Zeitalter der Kohle»

Der Steinkohlenbergbau in Deutschland wird in diesem Jahr eingestellt. Anlass für viele Kunst- und Industriemuseen, diesem wichtigen Industriezweig einen Nachruf zu widmen. Auf der Kokerei Zollverein, Teil des Weltkulturerbes in Essen, heißt die Ausstellung «Das Zeitalter der Kohle». Die SoZ widmet dem eine Innen- und eine Außenansicht. Angela Huemer blickt von außen auf diese ihr fremde Welt, Rolf Euler, Bergmann im Ruhestand, schaut hinter die Fassade der riesigen und gut gestalteten Ausstellung.

Von außen

Wenn man aus der Straßenbahn aussteigt und das Gelände der Zeche Zollverein betritt, beeindrucken zunächst die gewaltigen Dimensionen. Beim ersten Anlauf zur Kokerei gerate ich vorerst an die falsche Stelle, zu sehr damit beschäftigt, das Gelände zu betrachten, die riesigen Bauten und das immer noch wie immenses Brachland anmutende Gelände rundherum. Die ehemalige Kokerei, Ausstellungsort von «Das Zeitalter der Kohle», erreiche ich erst nach rund einer Viertelstunde Fußmarsch. Kaum vorstellbar, dass die unterirdischen Stollen noch viel größer sind als das, was man oberirdisch sieht.

Die Mega-Ausstellung beginnt schon draußen, vor der Kokerei. Auf dem Vorplatz sind zwanzig Maschinen zu sehen, die laut Katalog die «Größe und Komplexität der modernen Bergbautechnik vermitteln» sollen – aus logistischen und statischen Gründen hätten sie drinnen nicht gezeigt hätten werden können. Der Laie nimmt sie, so präsentiert, als abstrakte Skulpturen wahr, so komplex erscheinen sie, ihre genaue Funktion lassen sich nicht mal erahnen.

Die Ausstellung ist monumental, 1200 Exponate, wenn man aufmerksam durchgeht, alles liest, oder das zumindest versucht, braucht man mindestens zwei Stunden. Am Ende, als ich zu dem Teil mit den Erfahrungsberichten der Bergleute komme, fehlt die Konzentration, ihre Erzählungen anzuhören. Sehr schade, denn das ist eigentlich der Kern des Ganzen.

Die Themen der Ausstellung sind vielfältig – der Kohleabbau an sich, die vielen Unfälle, die Sicherheitstechniken, die Produkte, die aus Kohle gemacht wurden, Kohlebarone, die Bergleute, deren Alltag, woher sie kamen, und die politischen Folgen des Kohleabbaus. Das Gebäude, das die Ausstellung beherbergt, ist sehr beeindruckend und man kann höchstens erahnen, wie knallhart diese Arbeit gewesen sein muss (noch ist), und immer wieder wird man an die vielen schlimmen Unfälle erinnert, die Tausende Tote gefordert haben.

Nachhaltig beeindruckt mich die elektronisch aufbereitete Landkarte Europas, auf der man nachvollziehen kann, von wo und wohin die Leute wanderten, um in den Minen zu arbeiten. Von Polen ins Ruhrgebiet, aus Italien nach Belgien – um nur einige Beispiele zu nennen. Ein positives Element all der harten Arbeit und schlechten Arbeitsbedingungen war wohl, dass der Zusammenhalt und die Solidarität untereinander ungeachtet der Herkunft ziemlich groß war und bis heute die Mentalität des Ruhrgebiets prägt. Am meisten macht mich betroffen, gegen Ende der Ausstellung zu erfahren, dass das Zeitalter der Kohle mitnichten zu Ende ist, dass es sich eigentlich nur verlagert hat – Steinkohle wird heute importiert, und der Braunkohleabbau verursacht immer noch die schlimmsten Schäden und vernichtet Ortschaften.
Angela Huemer

Von innen

Auf der Kokerei Zollverein, Teil des Weltkulturerbes in Essen, heißt die Ausstellung «Das Zeitalter der Kohle». Ein fast unlösbares Unterfangen, das ganze 300 Millionen Jahre umfassende Zeitalter der Kohle in einen alten Kohlebunker zu pressen, der, zum Ausstellungsraum in Ebenen unterteilt, der richtige Ort scheint, das «schwarze Gold» zu würdigen.

Und so geht es in der Ausstellung im wesentlichen auch nicht um die 300 Millionen Jahre währende Zeit der Kohlebildung und -lagerung, sondern um die 200 Jahre industriellen Kohleabbaus in der Neuzeit in Deutschland, aber auch in den Nachbarländern. Tief unter der Oberfläche erstrecken sich die Flöze quer durch Europa und machen den Steinkohlebergbau in Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Polen, der Ukraine, im Aachener und Ruhrrevier zu einem vergleichbaren Gegenstand der Betrachtung, des «Andenkens» und der Auswahl von Bildern und Gegenständen.

Gezeigt oder verborgen?

Man wünschte sich, nachdem das «Glückauf, der Steiger kommt» in Endlosschleife bei der Einfahrt ins Museum endlich verklungen ist, einen Plan der Ausstellung, der den Fortgang von oben nach unten im Bunker mit einem roten Faden zusammenfasst. So steht man vor einer großen Zahl von Ausstellungsstücken, aus denen bekannte Dinge wie Abbauhämmer und Maschinenteile herausstechen, Rettungsmittel wie die berühmte Dahlbusch-Bombe und die Grubenwehrausrüstung das Auge beschäftigen, aber auch technische Geräte der Gasprüfung und Wasserhaltung oder Modelle des maschinellen Kohleabbaus und der Labortechnik unvermittelt nebeneinander mit «Schippe und Hacke» stehen.

Wer erkennt schon an dem geborstenen Holzstempel-Abschnitt oder dem verkrümmten Eisenstempel den übermächtigen Druck des hangenden Gesteins im Flöz? Wer erklärt die Tatsache, dass die Bergleute bei einem Holzstempel eher merkten, wenn der Druck zu groß wurde, als bei Stahlstempeln? Selbst als später der vollautomatische Schildausbau kam, war der Streb immer eine gefährliche Zone. Wer erklärt die Mühen, die Großgeräte für den Abbau in eine Teufe von mehreren hundert Metern runterzuschaffen, dort zum Ort oder Streb zu fördern, dort zusammenzubauen und in Betrieb zu nehmen? Wie wird man dem Einsatz der Grubenwehren gerecht, der Tatsache, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere hundert Bergleute pro Jahr ums Leben kamen?

Hier wird zu sauber und ordentlich aufgereiht, für den Besucher sicher mit einigen Erläuterungen, aber wie vermittelt man Hitze, Staub, Lärm, wenn man das Zeitalter der Kohle verklärt als positive Fortentwicklung von menschlichen Fähigkeiten beim Ausbeuten der Bodenschätze? Ich will auch nicht zu viel verlangen: die Untertagebedingungen sind im Museum nicht reproduzierbar, allenfalls anzudeuten – wie auf Fotos der Bergleute bei der Arbeit. Und es gibt gute, fast künstlerisch komponierte Ausstellungsteile, etwa im abwärts führenden Treppenhaus die Unmenge an Hacken, Schippen («Pannen»), Krätzern, Hämmern, welche die Bergarbeit bis in die jüngste Zeit veranschaulichen – für viele Arbeiten waren sie trotz aller Mechanisierung und Automatisierung unverzichtbare Handarbeitsgeräte, was oft übersehen wird, wenn die Großgeräte des modernen Untertagebergbaus ins Bild geraten. Oder die Wand mit den Farbflaschen: Farben aus Teer als Kokereiprodukt waren der Beginn der chemischen Industrie, bevor alles auf Erdölprodukte umgestellt wurde.

Ausgeblendet

Was oft vergessen wird: Auch Stickstoffkunstdünger, Benzin, dann auch die Kampfgase des Ersten Weltkriegs waren Erfindungen der deutschen Kohlechemie! Und da fehlt dann doch der kritische Hinweis auf die verbrecherische Beteiligung der Industrieführer im Revier an den politischen Verhältnissen, den Kriegen des letzten Jahrhunderts. Sie werden in Porträtbildern als «Ruhrbarone» (wer kann mit dem Begriff etwas anfangen?) an einer Wand präsentiert, ebenso an einer anderen die Gegenpartei – Gewerkschaftsvorsitzende und sozialdemokratische Bergleute, ein Nebeneinander der Präsentation, das kaum die radikale Bekämpfung der Bergarbeiterbewegung durch die politische Reaktion erkennbar macht.

Die Kämpfe an der Ruhr werden, gemischt mit Bildern aus England und Frankreich, relativ klein und fast nur als Polizeieinsatz gezeigt. Die Unmenge täglicher «Fron» als Protest- und Streikgrund wird kaum vermittelt. Sozialgeschichte – auch die ist schwierig im Museum zu zeigen – wäre sicher anders darzustellen als z.?B. mit dem monumentalen Soldaten-Bergmanns-Standbild zu «Ehren» der Kriegsbeteiligung des Bergbaus. Waren doch in den Kriegen viele Frauen und Zwangsarbeiter diejenigen, die die Förderung «aufrecht» erhielten!

So verlasse ich die Ausstellung mit gemischten Gefühlen. Vieles Gezeigte prägt sich mit Fragen ein, vieles durchwandert man mit Bewunderung für den Bergbau. Viele Bergleute werden sich erinnern – so haben wir auch gearbeitet, das ist von früher, das kenne ich kaum – und aus der Erinnerung Nutzen ziehen. Alle anderen Besucher müssen sich schon durch«arbeiten» und man wünscht ihnen eine gute Führung, die die zu selten erläuterten Widersprüche in den Jahrhunderten des Bergbaus erzählen kann.

Lohnend ist die Ausstellung im Zusammenhang mit der aktuellen Fotoausstellung auf «Zollverein» und dem Gang über die ehemaligen Bergwerksanlagen. Wer mehr Bergbautypisches erleben will, muss sich beeilen, eine Besichtigung des Trainingsbergwerks in Recklinghausen zu bekommen – es ist unklar, ob das nach Ende des Bergbaus weitergeführt wird.
Rolf Euler

Die Ausstellung «Das Zeitalter der Kohle» ist noch bis 11. November 2018 zu besichtigen. Parallel gibt unter dem Motto «Kunst und Kohle» zahlreiche Ausstellungen der Ruhrkunstmuseen zum Thema Kohle.

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