von Silvana Aiudi
Auch der argentinischen Frauenbewegung ist ein bahnbrechender Sieg gelungen. Nach jahrzehntelangem Kampf der Frauenbewegung hat in Argentinien das Abgeordnetenhaus am 13.?Juni mit 129 zu 125 Stimmen bei einer Enthaltung für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gestimmt.
Das neue Gesetz stellt eine Schwangerschaftsunterbrechung innerhalb der ersten 14 Wochen straffrei. Staatliche und private Kliniken müssen den Eingriff kostenfrei vornehmen. Das Gesetz muss vom Senat noch bestätigt werden. Erbitterter Widerstand kam von der katholischen Kirche, von den Evangelikalen und anderen Kirchen. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass vor allem in den rückständigeren Provinzen in den Schulen keine Sexualaufklärung stattfindet.
Feministische Forscherinnen schätzen, dass trotz des bisherigen Verbots jährlich 460.000 Abtreibungen in Argentinien vorgenommen wurden, mehr als eine in der Minute. Alle zwei Tage ist eine Frau daran gestorben – damit sind Abtreibungen die häufigste Ursache für den Tod von Frauen durch Bluthochdruck oder Blutvergiftung. Da sie unter Bedingungen der Illegalität stattfindet, ist eine Abtreibung eine äußerst gefährliche Sache. Frauen, die sich das leisten können, finden in der Regel trotzdem Mittel und Wege, die Schwangerschaft zu unterbrechen, ohne ihr Leben zu riskieren (wenn auch nicht immer), die anderen nicht. Die vorherrschende patriarchalische Auffassung ist, dass die Frau selbst schuld ist, wenn sie schwanger wird, ihre Sexualität darf eh nur der Reproduktion dienen. Abtreibung gilt infolgedessen als kriminell.
In Argentinien war Abtreibung bislang nur straffrei, wenn die Frau vergewaltigt worden war, ihr Leben oder ihre Gesundheit riskierte oder die Mutter geistig nicht zurechnungsfähig ist. Doch selbst dieses Gesetz wurde nicht landesweit befolgt und viele Ärzte verweigerten selbst in diesen Fällen einen Abbruch, aus Angst, bestraft zu werden.
Lateinamerikanischer Vergleich
Die Lage ist nicht nur für Frauen in Argentinien unerträglich, in ganz Lateinamerika führen die Gegner der «Geschlechterideologie» einen erbitterten Kampf gegen sie. Auf dem gesamten Kontinent ist die Zahl der Abtreibungen alarmierend hoch. Nach einer Untersuchung von des Instituts Guttmacher (Abortion Worldwide 2017) brechen 44 von 1000 Frauen im gebärfähigen Alter (15–44 Jahre) ihre Schwangerschaft ab, in Lateinamerika und der Karibik sollen es zwischen 2010 und 2014 6,5 Millionen Frauen gewesen sein. In der letzten Zeit ist die Zahl der Schwangerschaften, die vorzeitig abgebrochen werden, von 23 auf 32 Prozent gestiegen. Die Hälfte dieser Abbrüche passiert illegal, jährlich sterben daran 70.000 Frauen.
In den Ländern, in denen Abtreibung legal ist, wie in Uruguay, ist sowohl die Zahl der Abbrüche (10 auf 1000 Frauen, in Europa sind es 12 auf 1000) als auch der dadurch verursachten Todesfälle zurückgegangen. In Kolumbien, Ecuador, Chile ist Abtreibung verboten und nur in besonders indizierten Fällen straffrei. Schlimmer ist die Situation in Bolivien und Brasilien, hier stirbt alle zwei Tage eine Frau an den Folgen einer Abtreibung. Am schlimmsten ist es in Paraguay, Peru und Venezuela, hier ist Abtreibung selbst bei Vergewaltigung verboten.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Frauenbewegung eine neue Dynamik bekommen hat – es ist eine ganz neue Generation von Aktivistinnen, die heute auf die Straße geht, um für das Recht auf Kontrolle und Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu streiten. Ihre Hauptgegner sind die extreme Rechte und die christlichen Fundamentalisten. Sie sind gefährlich, weil sie die Menschenrechte und den Grundsatz der Gleichheit aller Menschen und aller Geschlechter in Frage stellen.
Quelle: Nueva Sociedad (Buenos Aires), Juni 2018, von der Red. stark gekürzt.
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