Mit diesem Dokument möchten wir als Intellektuelle, soziale Aktivist*innen und Akademiker*innen die in Nicaragua vom Staat ausgeübte politische Gewalt und die begangenen Menschenrechtsverletzungen nachdrücklich verurteilen. Diese Verstösse liegen in der Verantwortung des derzeitigen Ortega-Murillo-Regimes [Präsident und Vizepräsidentin] und haben in den letzten drei Monaten etwa 300 Todesopfer gefordert.
Die Empörung, der Schmerz, das Gefühl der historischen Frustration sind umso stärker, als eine solche politische Verirrung das Ergebnis des Handelns von Anführern und einer Regierung ist, die behaupten, links zu sein. Was ist schmerzhafter als die Ironie eines Führers, der behauptet, ein Revolutionär zu sein, wenn er die kriminellen Praktiken des Diktators [Anastasio Somoza] reproduziert, gegen den er sich in der Vergangenheit erhoben hat? Die Empörung ist aufgrund des mitschuldigen Schweigens von prominenten (selbst-)proklamierten politischen Führern und linken Intellektuellen – trotz der staatlichen Gewaltorgie – noch stärker. Das Einverständnis eines bestimmten intellektuellen Establishments – einer „offiziellen Linken „[d.h. Regierungslinke], die daran gewöhnt ist, die alleinige Repräsentantin der Linken zu sein – hat sich in der Hitze der Regierungsmacht in einen ausgesprochenen Ersatz für Zynismus verwandelt.
Diese ebenso schmerzhafte wie unannehmbare Situation anzuprangern, unsere Stimme gegen die Verletzung der elementarsten Freiheiten und Rechte durch die gegenwärtige nicaraguanische Regierung zu erheben, ist nicht nur eine Pflicht der humanitären Solidarität. Es ist auch ein Akt und ein kollektiver Appell zur Verteidigung des revolutionären Gedächtnisses; ein Versuch, das tragische Ergebnis der anhaltenden politischen Degeneration zu vermeiden.
Es gibt keinen schlimmeren Diebstahl als den der politischen Hoffnung der Menschen.
Es gibt keine schlimmere Plünderung als die, die darauf abzielt, die rebellischen Energien eines Kampfes für eine gerechtere Welt zu rauben.
Es gibt keinen schlechteren Imperialismus als einen internen Kolonialismus, der sich in gewalttätige Unterdrückung verwandelt, welche in antiimperialer Rhetorik versteckt ist.
All dies geschieht in Nicaragua. Das Land, das Ende der 1970er Jahre das fruchtbare Symbol der emanzipatorischen Hoffnung war, hat sich in ein neues Terrain des Autoritarismus verwandelt.
Die Erinnerung an eine der edelsten und hoffnungsvollsten Revolutionen von Nuestra América [Anspielung auf den berühmten Text von José Marti], wie auch die Revolution von Sandino [1895-1934], wird durch die Regierung beschmutzt; ebenso wie die Erinnerung an die antikapitalistischen Kämpfe eines unter Gewalt leidenden, aber trotzdem mutigen Volkes, das heute einmal mehr mit Füßen getreten wird, weil das diktatorische Regime dadurch versucht, die alltägliche Gewalt zu verstecken, die für solche Regimes charakteristisch ist […]. Der ehemalige Revolutionsführer, geehrt durch das Vertrauen seines Volkes, hat sich nun in einen Diktator verwandelt, der durch die Macht blind geworden ist und dessen Hände mit dem Blut der Jugend bedeckt sind. Das ist der schrecklich bittere Zustand unseres lieben Nicaragua.
Wir erheben unsere Stimme, um die Diktatur, in die die Regierung Ortega-Murillo verwandelt wurde, öffentlich zu verurteilen. Wir bekunden unsere Solidarität mit den Menschen und Jugendlichen, die sich heute einmal mehr erhoben haben und Widerstand leisten. Wir unterstützen ihre Forderungen nach Dialog und Frieden und fordern ein Ende der illegitimen und kriminellen Regierung, die sich heute die Erinnerung der Sandinist*innen aneignet. Wir tun dies in der Überzeugung, dass es nicht nur um die «Rettung der Ehre» der Vergangenheit geht, sondern vor allem um die Sicherung und Pflege der heute bedrohten emanzipatorischen Keime.
Unterschriften bitte an folgende Adressen senden: declaracionurgentepornicaragua@gmail.com
Einige Persönlichkeiten, die den Aufruf unterstützen:
Alberto Acosta (Ökonom, Equateur)
Raúl Zibechi (Schriftsteller, Uruguay)
Hugo Blanco (Aktivist, Direktor von «Lucha indígena», Peru)
Joan Martinez Alier (Herausgeber der Zeitschrift «Ecología política», Spanien)
Pierre Salama (Ökonom, Frankreich)
Edgardo Lander (Soziologe, Venezuela)
Boaventura de Sousa Santos (Anwalt, Soziologe, Portugal)
Jaime Pastor (Herausgeber der Zeitschrift «Viento Sur», Spanien)
Ricardo Napurí (sozialistischer Aktivist, Argentinien)
Nora Ciapponi (sozialistische Aktivistin, Argentinien)
Aldo Casas (Aktivist, Herausgeber der Zeitschrift «Herramienta», Argentinien)
Der Aufruf erschien am 17./18. Juli 2018 auf alencontre.org; Übersetzung durch die Redaktion.
1 Kommentar
[…] „Nicaragua: Solidarität mit den Protesten gegen die Regierung“ Ende Juli 2018 bei der SoZ Onlin… ist die Übersetzung einer Erklärung (zumeist) lateinamerikanischer Linksintellektueller (von denen in der Übersetzung nur einige genannt werden) zur Solidarität mit den Protesten in Nicaragua, worin es unter anderem heißt: „Die Empörung, der Schmerz, das Gefühl der historischen Frustration sind umso stärker, als eine solche politische Verirrung das Ergebnis des Handelns von Anführern und einer Regierung ist, die behaupten, links zu sein. Was ist schmerzhafter als die Ironie eines Führers, der behauptet, ein Revolutionär zu sein, wenn er die kriminellen Praktiken des Diktators [Anastasio Somoza] reproduziert, gegen den er sich in der Vergangenheit erhoben hat? Die Empörung ist aufgrund des mitschuldigen Schweigens von prominenten (selbst-)proklamierten politischen Führern und linken Intellektuellen – trotz der staatlichen Gewaltorgie – noch stärker. Das Einverständnis eines bestimmten intellektuellen Establishments – einer „offiziellen Linken „[d.h. Regierungslinke], die daran gewöhnt ist, die alleinige Repräsentantin der Linken zu sein – hat sich in der Hitze der Regierungsmacht in einen ausgesprochenen Ersatz für Zynismus verwandelt. Diese ebenso schmerzhafte wie unannehmbare Situation anzuprangern, unsere Stimme gegen die Verletzung der elementarsten Freiheiten und Rechte durch die gegenwärtige nicaraguanische Regierung zu erheben, ist nicht nur eine Pflicht der humanitären Solidarität. Es ist auch ein Akt und ein kollektiver Appell zur Verteidigung des revolutionären Gedächtnisses; ein Versuch, das tragische Ergebnis der anhaltenden politischen Degeneration zu vermeiden. Es gibt keinen schlimmeren Diebstahl als den der politischen Hoffnung der Menschen…“ […]
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