von Thies Gleiss
Wenn man, wie der Rezensent, ein ausgesprochenes Faible für die Geschichte der Arbeiterbewegung, dargestellt an Biografien einzelner Akteure, hat, und wenn der Titel der Biografie zusätzlich auf eine persönliche Empfehlung an den Autor zurückgeht, dann besteht die Gefahr, befangen zu sein. Mit dieser Vorbemerkung soll hier eine dicke Empfehlung für die gerade erschienene Biografie des Mitbegründers des Spartakusbundes und der KPD, engen Weggefährten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und eines der Führer der KPD in deren wichtigster und lebendigster Phase, Ernst Meyer, ausgesprochen werden.
Der Autor Florian Wilde, vielen SoZ-Lesenden vor allem durch seine verdienstvolle Arbeit als Verantwortlicher für Gewerkschaftsarbeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und für die «Streikkonferenzen» der letzten Jahre bekannt, legt hier seine gestraffte und aktualisierte Doktorarbeit einem breiterem Publikum vor. Sie schließt eine biografische Lücke. Von allen anderen Spitzenfunktionären des Spartakusbundes und der frühen KPD liegen mittlerweile eine oder mehrere ausführliche Darstellungen von Leben und Werk vor. Allein der jüngste im Bunde, Ernst Meyer, fehlte bisher.
Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass Meyer eine der intellektuellen Führungsfiguren der SPD-Linken vor dem Ersten Weltkrieg und dann der KPD war, der sich aber häufig nicht festlegen wollte, zu spät Korrekturen an seinen Positionen vornahm und gerne die Rolle einnahm, die ihm das Etikett «Versöhnler» einbrachten. Manchmal idealisiert Wilde diese Mittel- und Mittlerrolle angesichts der wechselnden «rechten» und «linken» Flügel in der KPD ein wenig.
Nach der historischen Zäsur in der Geschichte der Arbeiterbewegung durch die Zustimmung der sozialdemokratischen Parteien zum Kriegskurs ihrer jeweiligen nationalen Bourgeoisie gehörte Meyer zu den wenigen Aufrechten, die sowohl das Prinzip einer unabhängigen revolutionären Arbeiterpartei als auch und besonders die Notwendigkeit einer Internationale verteidigten, die mehr ist als nur ein loses Büro. Er nahm an den Antikriegs- und Internationalismuskonferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915/16 teil. Mit u.?a. Luxemburg, Liebknecht, Mehring gehörte er zu den Gründern der Gruppe Internationale, die später als Spartakusbund bekannter wurde und den Kern der KPD nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bildete.
In der revolutionären Welle nach dem Krieg zwischen 1918 und 1923 gehörte Meyer meistens zum linken Flügel der KPD. Aber er war einer der ersten Anhänger der «Offensivtheorie», die merkten, dass sich die Weltlage änderte. Für die Kommunisten begann eine lange Phase des Kampfes um die Massen und der Bündnispolitik mit anderen Arbeiterparteien, allen voran der SPD. Meyer wurde zum Architekten und Anhänger der Einheitsfronttaktik. Bei der historischen Wandlung der Kommunistischen Internationale in ein bürokratisches Instrument in der Hand der stalinistischen Sowjetunion gehörte Meyer zu den Kritikern dieses Prozesses, wenn auch nicht zu den lautesten. In dem bitteren Prozess der «Stalinisierung» auch der KPD, im Strömungskampf zwischen Rechten und Linken war es Meyer, der neben der Einheitsfront unermüdlich die unbedingte Notwendigkeit einer internen, umfassend demokratischen Debatte und Streitkultur forderte.
Ernst Meyer starb 1930, am Vorabend der schrecklichen Folgen des Ausbleibens dieser Einheitsfrontpolitik der Arbeiterparteien, dem Sieg des Faschismus.
Das Buch von Florian Wilde ist ein wirkliches Buch, wunderbar editiert und eine echte Bereicherung in der unendlichen Debatte über einen Marxismus des subjektiven Faktors.
Florian Wilde: Revolution als Realpolitik. Ernst Meyer (1887–1930). Biographie eines KPD-Vorsitzenden. Konstanz: UVK, 2018. 450 S., € 29
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