von Judith Gleitze
Am 4. März 2018 wurde in Italien gewählt. Anfang Juni schließlich stand nach langen Grabenkämpfen die italienische Regierung: aus rechtsgerichteter Lega und dem Movimento 5 Stelle, der 5-Sterne-Bewegung. Damit hat Italien nun eine Regierung, die sich in den europäischen rechtsgerichteten Reigen einfügt. Lega-Innenminister Matteo Salvini hat ganz offensichtlich das Zepter in der Hand. Von der Regierung hört man wenig im Land des sozialen Missstandes und der massiven Arbeitslosigkeit, Thema ist einzig die Bekämpfung der Migration. Hinter diesem Deckmantel, getragen auch vom Movimento 5 Stelle, die den für die Koordination der Ankünfte wichtigen Transportminister, Danilo Toninelli, stellen, können somit die eigentlichen Probleme des Staates sehr gut verdeckt werden.
Phase 1: Kriminalisierung und Übergabe an die so genannte Libysche Küstenwache
In den vergangenen Jahren beorderte die Seenotrettungsleitzentrale, das MRCC (Maritime Rescue Coordination Centre) in Rom, bei an sie gemeldeten Fällen von Flüchtlingsbooten in Seenot Schiffe in der Nähe zu deren Rettung. Seit 2014 sind NGO-Schiffe auf dem Mittelmeer unterwegs, um Menschen aus Seenot zu retten. Der verstärkte Kampf gegen die NGOs begann in den Jahren 2016/2017. Eine massive Medienhetze und das Bestreben des Staatsanwalts von Catania, Carmelo Zuccaro, den NGOs Verbindungen mit libyschen Schleppern nachzuweisen, führte zu einem Kodex, auf dem der damalige Innenminister der Demokratischen Partei, Minniti, bestand: der „Code of Conduct“, den alle NGO-Seenotrettungsschiffe zu unterschreiben hatten. Einige weigerten sich jedoch aufgrund der nicht tragbaren Forderungen.
Kurz darauf, am 2.8.2017, wurde die Iuventa der NGO "Jugend Rettet" auf Lampedusa festgesetzt und ist bis heute nicht wieder freigegeben worden; ein Prozess ist zu erwarten. Die Vos Hestia der Organisation Save the Children, die ebenfalls in diese Anklage einbezogen ist, hat den Dienst daraufhin eingestellt. Laut Human Rights Watch hat die italienische Küstenwache seit Mai 2017 immer wieder Rettungsmissionen an die so genannte libysche Küstenwache abgegeben. Hintergrund ist der Aufbau einer libyschen Seenotrettungsleitstelle in Tripolis mit europäischen sowie italienischen Mitteln. Koordiniert wird dieser Aufbau von einem italienischen Kriegsschiff, das im Hafen von Tripolis liegt.
Zudem erhält die so genannte libysche Küstenwache nach dem im Februar 2017 geschlossenen „Memorandum of Understanding“ zwischen Libyen und Italien (eine Fortführung des Vertrages, der 2008 und 2009 zwischen Berlusconi und Gaddafi geschlossen wurde) auch weitere Schiffe aus Italien. Das Gesetzesdekret wurde am 2. Juli im Ministerrat, am 25. Juli im Senat und am 7. August in der Abgeordnetenkammer durchgewunken. Es sieht vor, dass die sog. libysche Küstenwache mit 12 neuen Patrouillenbooten auszustatten ist und allein für das Jahr 2018 mehr als 2,5 Mio. Euro für die Instandhaltung der Ausrüstung und die Ausbildung des Personals in Tripolis bereitzustellen seien. Der Rückzug der italienischen Küstenwache aus dem zentralen Mittelmeer und die Aufrüstung der libyschen Küstenwache stehen in krassem Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen, die geretteten Migrant*innen in einen sicheren Hafen zu bringen. Auch wenn es keine Liste "sicherer Häfen" gibt, haben europäische Gerichte und EU-Gremien Libyen entschieden ausgeschlossen, da systematische Menschenrechtsverletzungen gegen Migrant*innen in libyschen Haftanstalten nachweisbar stattfinden. Außerdem bleibt den Migrant*innen jegliche Chance auf einen Asylantrag in einem europäischen Land verwehrt.
Seenotrettung nach libyscher Art
Die meist gewalttätige Übernahme von Seenotrettungsfällen durch die sog. libysche Küstenwache hatte ihren ersten unrühmlichen Höhepunkt im November 2017. Bei einer Rettung durch Sea Watch, die auch offiziell das Kommando der Rettungsoperation inne hatte, griffen die Libyer ein und verlangten die Übergabe der Geretteten. Die darauffolgenden dramatischen Szenen der Rettung dokumentierte die Forensic Oceanography and Forensic Architecture (des?) Goldsmith, University of London minutiös.
Am 4. März 2018 übernahmen die Libyer erneut aggressiv zwei Rettungsoperationen. Zeitgleich waren sie jedoch nicht in der Lage, weitere Menschen zu retten, so eine Presseerklärung von SOS Méditerranée. „Die Seenotretter*innen von SOS MEDITERRANEE haben am Wochenende gleich zweimal beobachten müssen, wie die libysche Küstenwache auf hoher See Flüchtende abgefangen und zurück nach Libyen gebracht hat. Gleichzeitig forderte der Mangel an Rettungsschiffen erneut Menschenleben: Berichten zufolge sind mindestens 21 Menschen ertrunken, weil sie nicht rechtzeitig entdeckt und gerettet wurden.“
Am 15. März beorderte der MRCC Rom die Open Arms zur Rettung eines Bootes, kurz darauf widerrief sie den Einsatz, Libyen würde übernehmen. Eine weitere Zuweisung erfolgte kurz darauf, die Open Arms rettete 117 Personen 27 Seemeilen vor Libyen in internationalen Gewässern. Kurz darauf forderte die sog. libysche Küstenwache das spanische Schiff unter Drohungen auf, ihnen die Geretteten zu übergeben, was dieses verweigerte. Es kam zu einer weiteren Begegnung mit den Libyern: Die Ras Jedir, eines der von Italien an die Libyer übergebenen Schnellboote, versuchte die Rettung zu verhindern. Viele Migrant*innen sprangen aus Angst davor, nach Libyen zurückgebracht zu werden, ins Wasser. Erst nach einem zweistündigen Streit zogen sich die Libyer zurück. Mit insgesamt 218 Personen an Bord musste die Open Arms dann mehr als 48 Stunden auf die Zuweisung eines italienischen Hafens warten. Als sie letztendlich in Pozzallo einlief, wurde das Schiff von der Staatsanwaltschaft konfisziert – Beihilfe zur illegalen Einreise wurde ihnen vorgeworfen.
Ein kurzer erster Lichtblick…
Einen Monat lang lag die Open Arms fest, bis der zuständige Ermittlungsrichter von Ragusa am 18.April die Berufung der Staatsanwaltschaft Catania gegen die Freilassung des Schiffes zurückwies. Wichtiger Bestandteil des Urteils: Libyen sei kein "sicherer Hafen" im Sinne des Völkerrechts. Damit bestätigte das Gericht, dass die Weigerung, gerettete Migrant*innen der sog. libyschen Küstenwache zu übergeben, die sie zurück nach Libyen bringen würde, rechtens war.
…der nicht anhält
Doch während die Open Arms noch festliegt, gehen die von Italien geduldeten Übergriffe der so genannten libyschen Küstenwache weiter. Am 30. März wurde die Aquarius der Organisation SOS Méditerranée von Rom zu einem Einsatz beordert. Kaum hatte sie das Schlauchboot erreicht, wurde der Rettungsauftrag widerrufen und der sog. libyschen Küstenwache zugeteilt. Doch diese war noch nicht am Einsatzort angelangt und die Situation erforderte ein sofortiges Handeln. Als die Libyer schließlich eintrafen, forderten sie wieder die Übergabe der Geretteten, die Aquarius konnte nach Verhandlungen nur 39 Frauen, Kinder und Kranke an Bord nehmen, die anderen 90 wurden zurück nach Libyen gebracht.
Phase 2: Die Schließung der Häfen
Anfang Juni retteten die NGOs noch und bekamen Anlaufhäfen zugewiesen. Doch das Blatt wendete sich am 10. Juni: Die Aquarius rettete 629 Menschen in sechs Einsätzen, die allesamt unter der Koordination der zentralen italienischen Rettungsleitstelle in Rom ausgeführt wurden – dabei haben auch Schiffe der italienischen Marine und Küstenwache sowie Frachtschiffe, die die Überlebenden dann auf die Aquarius transferierten, bei der Rettung geholfen. Doch nun meldete sich der neue Innenminister Matteo Salvini zu Wort und drohte mit einer Hafensperre, sollte Malta die Geflüchteten nicht aufnehmen wollen. Die Aquarius erhielt daraufhin die Anweisung vom MRCC Rom, im Standby zwischen Malta und Italien zu verharren.
Nachdem Malta die Aufnahme der Geflüchteten verweigert hatte, sperrte Salvini den Zugang zu den italienischen Häfen. Unter dem Hashtag #Chiudiamoiporti (Lasst uns die Häfen schließen) startete er eine Diffamierungskampagne und verweigerte dem NGO-Schiff die Einfahrt in einen italienischen Hafen. Gleichzeitig kündigte er an, dass dieses Verbot auch für andere zivile Rettungsorganisationen wie Sea Watch gelte. Der italienischen Küstenwache hingegen wurde offenbar (noch) problemlos ein sicherer Hafen in Sizilien zugeteilt: Die Diciotti mit 937 Menschen und zwei Leichen an Bord machte sich auf den Weg nach Sizilien.
In Italien formierte sich derweil ein breiter Protest gegen die Entscheidung Salvinis. Die Bürgermeister von Neapel, Palermo, Messina, Reggio Calabria und Taranto erklärten sich bereit, die Menschen der Aquarius aufzunehmen. In mehreren Städten Italiens fanden Kundgebungen unter dem Motto #Apriteiporti (Öffnet die Häfen!) statt, allein in Palermo versammelten sich über Tausend Menschen am Hafen.
Doch Salvini blieb hart: Die Aquarius musste schließlich nach Valencia (Spanien) ausweichen, wohin sie auf einer langen, beschwerlichen Reise von zwei Schiffen der italienischen Küstenwache und der italienischen Marine, Dattilo und Orione, begleitetet wurde, die auch einen Teil der Geretteten übernommen hatten. Salvini nannte das Ganze „eine Kreuzfahrt“.
Kurz darauf rettete das US-amerikanische Kriegsschiff Trenton 41 Menschen, die es gern an die Sea Watch abgeben wollte. Doch diese lehnte ab, da kein sicherer Hafen in Malta oder Italien zugeteilt wurde.
Ein kurzer zweiter Lichtblick…
Zeitgleich mit der Einfahrt des italienischen Küstenwachschiffes Diciotti in Pozzallo am 19. Juni gab der Untersuchungsrichter in Palermo bekannt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Sea Watch und Proactiva Open Arms wegen Begünstigung illegaler Migration eingestellt worden sei, und bestätigte, dass beide NGOs im Einklang mit geltendem internationalen Recht handelten und es keine Verbindungen zu libyschen Schleppern gebe. Doch Salvini war nicht zu bremsen.
Der Social Media Minister – Politik via twitter kostet Menschenleben
Ebenso wie der amerikanische Präsident Trump, ist Salvini ein Freund der schnellen Medien. Er kündigt seine politischen Absichten meist per Twitter an. Seine neueste Idee: Die italienische Küstenwache hat sich aus der Such- und Rettungszone zurückzuziehen: „Wir werden die Küstenwache bitten, näher an der italienischen Küste zu bleiben, denn im Mittelmeerraum gibt es viele Länder, die intervenieren können: Nordafrika [sic!], Frankreich, Spanien und Portugal. Wir können es uns nicht leisten, halb Afrika nach Italien zu bringen.“ Die Umsetzung folgte auf dem Fuße, als das italienische Küstenwachschiff Diciotti Mitte Juni mehr als zwei Tage mit über 900 Menschen an Bord vor der Hafeneinfahrt von Pozzallo festlag und nicht einfahren durfte, an Bord auch die Geretteten der amerikanischen Trenton, die später an Land über das Grauen ihrer Überfahrt berichteten. Wie sich herausstellte, haben nicht „nur“ 12 Menschen, wie zuerst angenommen, dabei ihr Leben verloren, sondern mehr als 70 Menschen sind ertrunken, als das Schlauchboot plötzlich platzte – darunter auch eine schwangere Frau und eine junge Mutter mit ihrer Neugeborenen.
Am 25. Juli veröffentlichte die Wochenzeitung L’Espresso eine Recherche, aus der hervorging, dass es zu dem Beschluss der Einfahrtssperre für Geflüchtete zum 29. Juni keinerlei offizielle Verordnung gab. Die Hafenschließungspolitik Salvinis mit Unterstützung des Verkehrsministers Toninelli erfolgte also ausschließlich über soziale Medien wie Twitter!
„Aber in einem demokratischen Staat ist ein Tweet nicht genug für eine so harte Aktion, die erste in Europa, die dazu gedacht ist, die Migranten und diejenigen, die sie aus Seenot retten, zu stoppen. Wir brauchen ein Dekret, wie der Navigationskodex besagt“, so der Espresso.
Am 29. Juni, als das Rettungsschiff Open Arms für einen technischen Wechsel und zum Auftanken in einem italienischen Hafen anlegen wollte, kündigte Toninelli in einer Erklärung an, dass er wegen der formalen Notiz, die vom Innenministerium käme, und aus Gründen der öffentlichen Ordnung das Verbot, in italienischen Häfen anzulegen, in voller Übereinstimmung mit Artikel 83 des Schifffahrtsgesetzes angeordnet habe. Die sogenannte „formale Notiz“ konnte aber bisher von niemanden eingesehen werden, und Journalist*innen werden weiter hingehalten.
Auch das Generalkommando der Hafenämter bestätigte am 23. Juli nach einer Anfrage nach Einsicht in die Akten der Open Arms, anders als behauptet seien keine Maßnahme des Ministeriums gemäß Artikel 83 des Schifffahrtsgesetzes getroffen worden. An diesem Tag starben bei einem Schiffbruch mehr als 100 Menschen, darunter auch drei Kinder. Die Open Arms konnte nicht rechtzeitig zur Rettung eilen, da sie nicht hatte auftanken dürfen. Dieser Fall zeigt deutlich, wie die willkürliche Politik der Hafenschließung zu einem Anstieg der Todesopfer im Mittelmeer führt.
Der Fall der Lifeline
Am 21. Juni rettete die Lifeline der Organisation Mission Lifeline mehr als 250 Menschen aus Seenot, doch die Zahl der Todesopfer nimmt aufgrund der wenigen Rettungsschiffe weiter zu. Laut Bericht der Tageszeitung Repubblica starben mindestens 100 Menschen, deren Schlauchboot sank, nur zwei Sudanesen konnten von libyschen Fischern gerettet werden. Die libysche Küstenwache meldete ebenfalls zwei Schiffbrüche, 15 Leichen seien geborgen worden. Salvini indes wendete sich augenblicklich gegen die Lifeline und kündigte an, dass sie die Geretteten niemals nach Italien bringen werden.
Trotz dieser Aussicht rettete die Lifeline weitere Menschen und kam zudem dem Handelsschiff Alexander Maersk bei einer Rettung zu Hilfe. 347 Menschen durften nun aufgrund eines politischen Verbots nicht an Land gebracht werden. Malta lehnte die Aufnahme ab, Italien forderte, sie nach Libyen zurückzubringen – Salvini scheint die Rechtslage nicht zu kennen, denn noch immer gilt das Nicht-Zurückweisungsgebot, das der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2012 im Fall Hirsi gegen Italien entschieden hatte.
Während die Lifeline und die Maersk weiterhin nicht anlegen dürfen, geraten Hunderte weitere Migrant*innen in Seenot, die ersten 97 wurden von der sog. libyschen Küstenwache nach Tripolis zurückgebracht. Weitere „pull-backs“ nach Libyen folgten – mindestens 820 Menschen auf sieben Booten wurden von den Libyern zurückgeholt, nachdem die Seenotrettungsleitzentrale in Rom die an sie herangetragenen Notrufe an Libyen weitergegeben hatte. Salvini indes hielt an seinen Äußerungen fest, dankt den Libyern „von Herzen, als Minister und als Vater“ [sic!] und wiederholt, sie hätten die „nicht korrekten Einsätze“ der „gierigen“ Seenotrettungs-NGOs zunichte gemacht.
Erst am 27. Juni durfte die Lifeline endlich in Malta einfahren und wurde sofort festgesetzt, eine Forderung, die neben Italien auch Deutschlands Innenminister Horst Seehofer gestellt hatte. Kapitän Claus-Peter Reisch muss sich vor einem maltesischen Gericht für die angebliche Nichtbeachtung der Befehle der italienischen Küstenwache und die angeblich nicht rechtsgültige Registrierung seines Schiffes rechtfertigen.
Malta indes hatte die Einfahrt nur genehmigt, weil sich Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Irland, Belgien und Frankreich bereit erklärt hatten, Geflüchtete der Lifeline zu übernehmen.
Ende Juni gab schließlich auch Malta öffentlich bekannt, die Häfen für NGOs zukünftig nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Anlass dafür sei der aktuelle Fall der Lifeline. In Malta dürfen die Schiffe nun weder anlegen noch auslaufen. Dies blockiert seither auch die dort liegende Sea Watch.
Fake News
Salvini bleibt bei seiner harten Haltung – und bei seiner politischen Strategie der Unwahrheiten. Die Open Arms der spanischen NGO Proactiva Open Arms hatte Anfang Juli 59 Menschen vor Libyen gerettet. Der Kapitän schilderte den Vorgang wie folgt: „Er habe das Seerettungskoordinationszentrum mit Sitz in Rom über die Migranten informiert und sei angewiesen worden, libysche Seebehörden anzurufen. Diese hätten nicht über Telefon oder Radio reagiert. Die Behörden in Rom hätten ihm dann gesagt, er müsse entscheiden, ob die Rettung ausgeführt werde, sagte Martinez.“ Salvini hatte im nun zum dritten Mal in kurzer Zeit ausgebrochenen Streit zwischen Malta und Italien um den Anlandungshafen behauptet, Malta läge näher am Rettungsort und sei somit zuständig – eine ganz klare Fehlinformation, denn die Open Arms lag nachweislich näher an der italienischen Insel Lampedusa. Der maltesische Innenminister Michael Farrugia verbat sich via Twitter die Falschmeldungen seines italienischen Kollegen. Das zweite Schiff der spanischen NGO, die Astral, hatte die Rettung begleitet, vier europäische Abgeordnete befanden sich an Bord, unter ihnen drei Spanier und die Italienerin Eleonora Forenza. Sie bestätigte, dass die Rettung 33 Seemeilen von der libyschen Küste (und näher an Lampedusa) erfolgte. Nach dem erneuten Hin und Her um einen sicheren Hafen erfolgte schließlich die Genehmigung, die Geflüchteten nach Barcelona (Spanien) zu bringen.
Während die Seenotrettung durch die Blockade der NGOs fast komplett eingestellt wurde, kursierten im Internet geschmacklose Fake News. Absurder Zynismus von rechts, gestärkt durch den italienischen Innenminister Salvini selbst, der mit seinen rassistischen Parolen als Beispiel vorangeht. Dabei wird die Realität gerne verzerrt und ohne Skrupel kurzerhand auch mal ein (echtes) Foto schlecht bearbeitet, um die Fotografen dann der Fotomontage beschuldigen zu können. So geschehen mit einem Foto, welches drei ertrunkene Kleinkinder zeigt, die ihr Leben beim Schiffsbruch des 29. Juni lassen mussten. Eines der Fotos wurde bearbeitet, um zu „beweisen“, dass es im Studio aufgenommen worden und damit gefälscht worden sei. Doch es existierten weitere Bilder, die den tragischen Fall dokumentieren. Die rassistische Hetze schreckt vor nichts mehr zurück. Umso schockierender ist, wie viele Likes in den Social Media unter den Fake Posts erscheinen und in welcher Geschwindigkeit sie geglaubt und verbreitet werden.
Ein Post auf Facebook zeigte z.B. das Foto eines Pink Floyd Konzertes vom 15. Juli 1989 in Venedig, das mit der Überschrift „Libyscher Hafen. Sie zeigen dir nie diese Fotos. Migranten bereit aus Libyen zu starten“ versehen wurde. Glücklicherweise wurde es als Fake enttarnt und schließlich gelöscht, zuvor war es allerdings 9000 Mal geteilt worden.
Trotz all der alarmierenden Nachrichten über den todesreichsten Monat (Juni 2018) im Mittelmeer inszeniert Salvini weiterhin seinen Erfolg. So bedankte er sich bei der libyschen Marine für ihren Einsatz und fügte hinzu, die Zahlen der Ankünfte in Italien aus Sicht des Menschenhandels und auch die niedrige Zahl der Todesfälle im Vergleich zu früheren Jahren, was auch immer einige italienische Zeitungen darüber sagen würden [sic!], seien positive Daten. Unterdessen wurde hinter der Verbreitung polemischer Nachrichten in den Social Media, die die Fotos von Seenotrettungen als „Fake News“ darstellten, ein organisiertes Netzwerk ausgemacht. Dabei werden Informationen aus dem Internet recherchiert, um sie dann für die Propaganda gegen Migration und humanitäre Hilfe zu verwenden. Die Darstellung wird dabei stark verzerrt und Misstrauen gegen die Berichterstattung altbekannter Medien aufgebaut. Diese Propaganda macht sich Salvini zu eigen. Seine Sprache ähnelt stark den hetzerischen Posts, die einer rassistischen öffentlichen Meinung und seiner Abschottungspolitik Aufschwung geben.
Ein besonders unschöner Fall der Fake News ist der der Kamerunerin Josepha. Die junge Frau wurde von der Open Arms am 17. Juli aus den Wrackteilen eines Schlauchbootes geborgen. Neben ihr schwammen die Leichen einer anderen Frau und eines kleinen Kindes. Laut Aussagen der sog. libyschen Küstenwache, die die anderen Migrant*innen des Bootes nach der Rettung durch ein Handelsschiff übernommen hatte, habe man „nur“ die Leichen im Wasser gelassen. Die Open Arms hatte nach ihrer Ankunft auf Mallorca, wohin Josepha gebracht wurde, Anzeige gegen die sog. libysche Küstenwache und gegen das Handelsschiff gestellt. Doch damit war die Geschichte nicht zu Ende: Francesca Totolo, eine rechtsgerichtete Bloggerin und Twitternutzerin, lancierte, es müsse sich um eine gefälschte Geschichte handeln. In vielen Medien wurde Pro Activa Open Arms angegriffen. Grund: man sehe auf den Fotos von Josepha, dass sie Nagellack trage, das könne ja wohl nicht sein. Auch habe sie auf den Fotos an Bord ein anderes T-Shirt an als bei der Rettung, alles Beweise, dass es sich um eine gestellte Story handele. Fakt ist: Natürlich wurde ihr an Bord andere Kleidung gegeben und eine Mitarbeiterin der Open Arms hatte ihr, um sie zu beruhigen und abzulenken, auf der Fahrt nach Mallorca die Nägel lackiert.
Die Geschichte um Josepha zeigt erneut die Widerwärtigkeiten, mit denen Rechtsgerichtete ihre „Wahrheit“ erzwingen wollen.
Salvini gegen EU und italienische Küstenwache
Ein weiterer Schritt zu den komplett geschlossenen Häfen für Migrant*innen ist die Erweiterung des Verbotes auf Schiffe internationaler EU-Missionen. Durfte das irische Eunavforschiff Samuel Beckett am 7. Juli in Messina noch einlaufen, stellte Salvini sofort danach einen Antrag beim EU-Innenministertreffen, dies nun zu unterbinden. Er bekam aber direkt Widerspruch aus den Reihen der eigenen Regierung. Während er sich als Entscheidungsträger inszenierte, wies ihn die italienische Verteidigungsministerin, Elisabetta Trenta, zurecht: Schiffe, wie die Samuel Beckett, die Teil der europäischen Mission Eunavfor Med seien, könne der Innenminister nicht ohne weiteres blockieren. Diese Entscheidung müsse auf der Außen- und Verteidigungsebene der EU getroffen werden. Bleibt abzuwarten, wie die EU dazu entscheiden wird. Die fünfwöchige Frist, die Salvini gegeben hatte und in der Eunavfor Med Schiffe in italienischen Hafen anlegen durften, ist so gut wie vorüber.
Doch nicht nur Eunavfor Schiffe trifft der harte Schlag Salvinis, der sich inzwischen wie ein Allmächtiger geriert, auch Frontex (mit der Protector), der italienische Zoll (mit der Sperone) und die italienische Küstenwache (mit der Diciotti) werden „Opfer“ seines Schließungswahns. Im Fall des Küstenwachschiffes Diciotti hat das Legal Team Italy nun Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft in Rom eingelegt: Das Schiff musste mehrere Tage vor dem Hafen in Trapani warten, um seine 67 geretteten Passagiere anzulanden. Erst nach der Intervention des Präsidenten der Republik konnte sie am 12. Juli einfahren. Laut der Anwälte hatte Salvini Anordnungen und Weisungen zu Angelegenheiten erteilt, die nicht in seine Zuständigkeit fielen. Dem Innenminister könnten Amtsmissbrauch, private Gewalt, Entführung, aber auch Angriffe auf die Verfassung vorgeworfen werden. Die Anwälte argumentieren, dass Migrant*innen illegal inhaftiert und "unmenschlich und erniedrigend" behandelt wurden. Nach ihrer Ansicht könnte auch das Handeln die Führungskräfte der Küstenwache und der Hafenbehörde untersucht werden, wenn der Befehl, die Landung zu verweigern, unrechtmäßig ist oder nie formell erteilt wurde.
Der Fall der Sarost 5 – ein Cap Anamur 2.0?
Am 13. Juli wurde unweit einer Gasplattform vor Tunesien in maltesischen SAR- (Search and Rescue) Gewässern ein Boot mit 40 Geflüchteten gerettet und – irregulär – in nationale tunesische Gewässer gebracht. Ein Streit zwischen Malta (das die Rettung als erstes angeordnet hatten), Italien und Tunesien brach aus, wer diese Menschen nun aufnehmen sollte. Mehr als zwei Wochen verweigerten alle Staaten die Einfahrt der Sarost 5, Crew und Geflüchtete waren Gefangene auf See. Das erinnert sehr an den Fall der Cap Anamur im Jahr 2004, als diese ebenfalls drei Wochen auf eine Einfahrtgenehmigung warten musste, um die von ihr geretteten 37 Geflüchteten an Land zu bringen. „Die Bedingungen, unter denen die Crew und die Geretteten der Sarost 5 leiden mussten, sind eine direkte Folge der Migrationspolitik der EU, die die Grenzkontrolle abgibt und duldet, dass Italien und Malta ihre Häfen für die Schiffe der NGOs und anderer privater Rettungsorganisationen schließen. Der Fall der Sarost 5 ist nur ein weiterer Indikator, dass sich die Lage im zentralen Mittelmeer verschlechtert. Das zeigt auch die immer engere Zusammenarbeit zwischen Italien und der libyschen Küstenwache und die Weigerungen, die Rettungsschiffe anlegen zu lassen, so dass Gerettete tagelang auf See irren müssen“, so die Pressemeldung von Watch the Med Alarmphone, die den Fall der Sarost 5 begleitete und mit den Crewmitgliedern und den Geflüchteten in Kontakt stand. Weiter heißt es: „Die Migrant*innen an Bord der Sarost 5 haben in Videobotschaften erklärt, dass sie internationalen Schutz benötigen. Außerdem werden diese Menschen aufgrund der fehlenden juristischen Rahmenbedingungen in Tunesien kein ordentliches Asylverfahren erwarten können. Die Verletzungen der Grundrechte der Asylsuchenden in Tunesien sind mehrfach durch die Erfahrungen früherer Geflüchteter im ehemaligen Lager Choucha dokumentiert, die immer noch für die Anerkennung ihres Status und für ein würdiges Leben in Tunesien kämpfen.“ Leider scheint sich dies zu bewahrheiten, denn die tunesische Regierung versucht nun, die Geretteten in ihre Heimatländer abzuschieben. Das ist also der Schutz, den Geflüchtete heute erhalten.
Der Fall Asso 28
Die Rettung von 108 Migrant*innen durch das italienische Schiff Asso 28, das für die Ölplattform der italienischen Firma Eni arbeitet, sorgte für einen Aufschrei, da die Menschen statt in einen sicheren Hafen in den libyschen Hafen Tripolis gebracht wurden. Proteste kamen auch von der Open Arms, darunter von dem sich an Bord befindenden Abgeordneten Fratoianni der Linkspartei LEU („liberi e uguali“). Italien habe gegen internationales Recht verstoßen, indem ein Schiff, das unter italienischer Flagge fährt, einen unsicheren Hafen ansteuerte. Die Rechtfertigung seitens des italienischen Innenministers Salvini und des Transportministers Toninelli lautet hingegen, die libysche Küstenwache habe die gesamte Operation von Anfang an koordiniert und durchgeführt. Beide geben an, die Koordinationsstelle MRCC Rom habe keine Information erhalten und Italien nichts damit zu tun. Salvini inszeniert trotz aller Kritik weiterhin die Übergabe der Verantwortung der Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer an die sog. libysche Küstenwache als Erfolg. Die EU-Kommission will sich nicht direkt zu dem Fall äußern, doch laut ihrer Sprecherin Natasha Bertaud erkennt die Kommission Libyen nicht als „sicheren Hafen“ an. Laut des Internationalen Übereinkommens von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See hätte die „Asso 28“ aber die Pflicht gehabt, die Menschen in einen sicheren Hafen zu bringen, auch wenn der Rettungseinsatz in dem Meeresgebiet stattfindet, das unter libysche Zuständigkeit fällt. Es bleibt bisher unklar, ob Italien für die Rückschiebung nach Libyen verantwortlich gemacht werden kann. Auch vom UNHCR kommt die Nachricht über Twitter, die Operation "könnte eine Verletzung des Völkerrechts darstellen".
Die italienische Regierung hat auf jeden Fall erreicht, dass Libyen – auch ohne sicheren Hafen! – über eine SAR-Zone verfügt und das hilft ganz klar der Legitimation von „kollektiven Rückschiebeverfahren“, so der Jurist und Experte für Völker- und Migrationsrecht Fulvio Vassallo Paleologo.
Fazit
Die Situation im Zentralen Mittelmeer wird derzeit nicht nur durch die aktive Abschottung seitens der italienischen Regierung gefördert, sondern ganz Europa befindet sich auf dieser „Rückreise in die reine Nationalstaatlichkeit“. Wie Trump mit „America first“ fordert auch Salvini für Italien: „Erst die Italiener*innen“. In Italien hat die Übernahme der Regierungsmacht vom rechtsgerichteten Lega-Movimento 5 Stelle-Bündnis dazu geführt, dass die Häfen für NGO-Rettungsschiffe verschlossen bleiben. Vorbereitet wurde dies jedoch schon von langer Hand unter der Regierung der Demokratischen Partei und ihrem damaligen Innenminister Minniti. Wir sollten uns keinen falschen Vorstellungen hingeben: der „Code of Conduct“, die Untersuchungen der Staatsanwaltschaften in Trapani (mit der Konfiszierung der <I>Iuventa<I>) und Catania, das „Memorandum of Understanding“ 2017 mit Libyen – all dies ist unter einer demokratischen Regierung zugelassen oder besser: vorangetrieben worden. Salvini – denn anscheinend gibt es derzeit keine anderen Politiker*innen, die ihre Arbeit tun, zumindest vernimmt man ihre Stimmen nicht – hat sich selbst zum König dieses Landes ernannt und niemand aus der politischen Riege hält ihn auf. Doch musste er auch einfach nur auf dem aufbauen, was die so genannten Demokrat*innen geschaffen haben.
Das Nicht-Vorhandensein einer Opposition zeigt sich auch in der Zustimmung zum Gesetzesdekret für die Abgabe von Schiffen an die sog. libysche Küstenwache. Kaum jemand protestierte dagegen.
Wohin uns das noch führen wird, ist ungewiss. Gewiss ist nur, dass die Rechte – nicht nur die Menschenrechte – auf der Strecke bleiben. Seenotrettungs-NGOs erfahren wenig Unterstützung aus anderen Ländern der EU. Die IMO (International Maritime Organization) erkennt eine libysche Seenotrettungszone an, obwohl die dazugehörige Leitstelle nicht 24 Stunden am Tage besetzt ist und es auch ansonsten noch stark an Erfahrung und Material mangelt. Die EU-Kommission bestätigt, dass Libyen kein sicherer Hafen ist und dennoch wird die Zusammenarbeit mit der sog. libyschen Küstenwache nicht eingestellt, ganz im Gegenteil. Menschen werden sehenden Auges in die Lager nach Libyen zurückgeschickt, obwohl bestens bekannt ist, was sie dort erwartet. Bis zum 3. August wurden laut UNHCR (reliefweb.int) 12.152 Personen von der sog. libyschen Küstenwache auf See gestoppt und zurückgebracht.
Doch wir wollen nicht nur negativ schließen, Erwähnung finden müssen auch die Proteste gegen diese Politik. Aus der Bevölkerung und regionalen Ebenen ertönen immer wieder Proteste. Auch Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, kritisierte Salvinis Entscheidungen zur Migration scharf. "Nach dem absoluten Schweigen über die Mafia erstellt der Innenminister nun ein Dokument, dessen praktische Wirkung darin besteht, zur Unsicherheit des fehlenden Rechtsschutzes von Tausenden von Migranten zurückzukehren, die bereits in Italien auf den Ausgang ihrer Asylanträge oder des humanitären Schutzes warten.“ Ebenso äußerte sich Neapels Bürgermeister Luigi de Magistris bei einem Treffen mit der Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Calau, und dem Bürgermeister von Riace, Mimmo Lucano. Für sie ist die Rückschiebung der Geflüchteten nach Libyen ein Verbrechen, das geahndet werden muss.
Wir müssen uns gegen diese faschistoiden Züge, die sich immer mehr in Europa breit machen, wehren. Es geht um unser aller Rechte. Das haben viele leider noch nicht verstanden.
Palermo, 9. August 2018
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