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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2018
Nahe Konin* fand Mitte Juli das erste Klimacamp des Landes statt
dokumentiert

Polen, Tschechien, Niederlande – die Bewegung gegen den Abbau fossiler Energien, insbesondere gegen die besonders klimaschädliche Braunkohle und das Fracking, breitet sich europaweit aus. Nach dem Beispiel und den spektakulären Aktionen von Ende Gelände werden an entsprechenden Standorten Klimacamps, Blockadeaktionen und Demonstrationen organisiert.

Das erste Klimacamp in Polen fand in diesem Jahr vom 18. bis 22.Juli im Dorf Swietne nahe der Stadt Konin statt. In der Region gibt es mehrere Braunkohletagebaue und einen wachsenden Unmut der Bevölkerung. Michalina Golinczak war an der Vorbereitung dieses Camps beteiligt. Mit ihr sprach Sebastian Bähr für das Neue Deutschland, wo das Interview am 26.7. erstmals erschien. Wir danken für die Abdruckgenehmigung.

Mitte Juli organisierten AktivistInnen zum ersten Mal ein Klimacamp nahe der Stadt Konin in Polen. Warum gerade dort?
In der Region gibt es mehrere Braunkohletagebaue und Kraftwerke. Die Folgen des Abbaus und der Verbrennung dieses Brennstoffs sind hier besonders anschaulich: zerstörte Landschaften, Wasserknappheit, Luftverschmutzung, soziale Spannungen, Landwirtschaft und Tourismus in einer tiefen Krise. Zudem gibt es hier einen starken Widerstand der lokalen Bevölkerung und die Bereitschaft, ein Klimacamp zu Gast zu haben.

Warum wurde erst jetzt ein Camp durchgeführt?
Es gab schon seit Jahren die Idee, ein Klimacamp in Polen zu organisieren, das hat aber aus verschiedenen Gründen bisher nicht geklappt. Jetzt war die Situation einfach reif. Dazu hat eine Mischung aus unterschiedlichen Faktoren beigetragen: Es wird immer klarer, dass Kohle keine Zukunft hat. Der Klimawandel wirkt sich auch hier aus, und es gibt eine steigende Unzufriedenheit mit der Umweltpolitik der Regierung, wie bspw. die Proteste der vergangenen Monate gegen die Abholzung des Bialowieza-Urwalds gezeigt haben.

Wie bewerten Sie die Camp-Tage?
Wir sind sehr zufrieden. Es gab über 60 Workshops, Referate, Exkursionen und viel Raum für Wissens- und Erfahrungsaustausch, Vernetzung sowie für die Planung weiterer Aktivitäten. Außerdem haben wir eine Demonstration vor dem Kraftwerk in Konin organisiert, die viel Medienaufmerksamkeit erzeugt hat. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass das Camp die Geburt einer Graswurzelklimabewegung in Polen markiert.

Wer hat alles teilgenommen?
Uns ist es gelungen, viele verschiedene Menschen anzusprechen: von klassischen Umweltaktiven und Anarchisten über Anwohnende und Urlauber bis zu Katholiken, die sich auf die Ökologie von Papst Franziskus berufen. Es war unser Ziel, unterschiedliche Gruppen zusammenzubringen, neue Bündnisse anzustoßen und den Klimawandel in einem breiten Kontext zu diskutieren. Es gab auch eine starke internationale Beteiligung.

Wie war das Verhältnis zu den Anwohnenden?
Die Anwohnenden waren zum großen Teil an der Vorbereitung des Camps beteiligt und haben dieses auch als Gastgebende eröffnet. Die Zusammenarbeit mit der lokalen Gemeinschaft war für uns eine wichtige Grundlage. Diejenigen, die nicht von Anfang an involviert waren, besuchten uns gern und mit großer Neugier. Die Reaktionen waren überwiegend positiv. In den sozialen Medien gab es aber auch vereinzelt teilweise heftige Hasskommentare.

Auf anderen Camps der Umweltbewegung gibt es Blockaden oder andere Formen des zivilen Ungehorsams. Ihr habt euch dagegen entschieden. Warum?
Ziviler Ungehorsam ist für uns durchaus ein wichtiges und legitimes Mittel politischer Auseinandersetzungen. Er benötigt aber viel Vorbereitung und auch gesellschaftliche Akzeptanz. Daher wollten wir uns zunächst auf Bildungsarbeit konzentrieren, um mehr Verständnis sowohl für den Klimawandel als auch für unterschiedliche Aktionsformen zu schaffen.

Während des Camps habt ihr auch mit Braunkohlearbeiter und Gewerkschaften diskutiert. Was kam dabei heraus?
Es ist sehr wichtig, dass wir endlich anfangen, miteinander zu sprechen und unsere Positionen auszutauschen. Es hat sich herausgestellt, dass es relativ viele Missverständnisse gibt und ein Bedürfnis, diese aufzuklären. Zum Beispiel war den Arbeitern nicht klar, dass unser Protest sich nicht gegen sie richtet. Das Camp war natürlich zu kurz, um konkrete Ergebnisse hervorzubringen. Aber die Gewerkschaften haben uns als einen Gesprächspartner wahrgenommen und wir bereiten weitere Treffen vor.

In Deutschland sind einige Gewerkschafter skeptisch gegenüber der Klimabewegung. Wie ist das in Polen?
Die Arbeitsplätze der Braunkohlearbeiter sind seit Jahren gefährdet. Eigentlich ist allen klar, dass die Zeit der Kohle vorbei ist. Ökonomisch lohnt sich der Abbau nicht mehr, immer mehr Subventionen werden benötigt, um diesen Wirtschaftszweig aufrechtzuerhalten. Seit 1990 sank auch die Beschäftigung im Braun- und Steinkohlesektor drastisch, um etwa drei Viertel. Je schneller man nach Alternativen sucht, desto besser ist es auch für die Beschäftigten. Viele sind sich dessen bewusst.

Welche Perspektiven sehen Sie für polnische Braunkohlearbeiter, wenn die Tagebaue geschlossen werden?
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, konkrete Pläne für einen Strukturwandel zu entwickeln. Wir wollen dafür sorgen, dass das Problem schnell angegangen wird, und öffentlichen Druck für die Durchsetzung eines Kohleausstiegs erzeugen.

Welche Auswirkungen hat der Braunkohleabbau für Polen?
Polen ist nach Deutschland der zweitgrößte Produzent dieses schmutzigen Brennstoffs in der EU und das hat sehr viele Folgen, sowohl lokal als auch global. Elektrische Energie wird zu etwa 50 Prozent aus Stein- und 30 Prozent aus Braunkohle gewonnen. Die Luftqualität in den Städten gehört zu den schlechtesten in Europa. Polnische Kraftwerke verursachen jährlich europaweit knapp 6000 vorzeitige Todesfälle.

Welche Rolle spielt die polnische Regierung?
Die rechte Regierung fährt eine sehr schlechte Umwelt- und Klimapolitik, die langfristige Konsequenzen haben wird. Gerade diskutiert sie neue Rohstoffrichtlinien, die weiter auf fossile Brennstoffe setzen. So ist geplant, die Eröffnung neuer Tagebaue und Bergwerke zu vereinfachen. Dabei bemüht sich die Regierung international um ein grünes Image und will dafür auch den UN-Klimagipfel nutzen, der im Dezember in Katowice stattfindet.

Wie hat sich die polnische Klimabewegung in den vergangenen Jahren entwickelt?
Bisher gab es keine Klimabewegung in Polen. Es gibt zwar seit einigen Jahren Nichtregierungsorganisationen, die Kampagnen durchführen. Aber eine wirkliche Graswurzelbewegung entsteht erst jetzt. Für mich besteht die dringendste Aufgabe nun darin, den Klimawandel zu politisieren und endlich als eine Gerechtigkeitsfrage zu betrachten. Und wir müssen auch wagen, die Rolle Polens in einem globalen Kontext zu sehen. Das Land gehört – sowohl was die Wirtschaftsleistung als auch was den CO2-Ausstoß angeht – zu den Top 25 der Welt. Das verpflichtet dazu, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und globaler Ungleichheiten zu leisten.

* Konin liegt an der Warthe, knapp 100 Kilometer südöstlich von Posen.

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