Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2018
Wie weiter mit den Protesten gegen die Braunkohle?
von Hanno von Raußendorf

Das diesjährige Klimacamp im Rheinland diente vor allem der Vorbereitung der Aktionen im kommenden Jahr.

Ein fröhliches «Herzlich willkommen» schallt dem Besucher aus dem Zelt am Eingang des Klimacamps entgegen. Die Wiese, einige Kilometer südöstlich von Erkelenz, kommt bekannt vor, war das «Klimacamp im Rheinland» doch im vergangenen Jahr schon an gleicher Stelle. Schnell bekommt der Neuankömmling erklärt, wo alles ist und wie alles funktioniert. Auf der einen Seite der Wiese die Volksküche, die mit vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern für ausgezeichnetes, täglich frisch gebackenes Brot, Crêpes zu fast jeder Uhrzeit und drei vegane Mahlzeiten am Tag sorgt. Gegenüber das große Zirkuszelt für größere Versammlungen, und an den beiden andern Seiten über ein Dutzend Zelte für Workshops, Orgatreffen, kleinere Diskussionsrunden und die Logistik. Zelte zum übernachten, Latrinen und Duschen finden sich im hinteren Teil der Wiese. Für den regelmäßigen Besucher bietet dieses 9.Klimacamp im Rheinland (11.–22.August) einen vertrauten Anblick – und doch ist sehr vieles ganz anders.

Zunächst fällt auf, dass alles viel leerer ist. Waren letztes Jahr noch bis zu 4000 Menschen da, sind es in diesem 350 und das ist, so paradox es klingt, Ausdruck einer rapide wachsenden Klimagerechtigkeitsbewegung. Ein kleiner Rückblick: In den vergangenen Jahren war das Klimacamp immer Gastgeber der «Degrowth Summer School» (Wachstumskritische Sommerschule) mit einem etwa einwöchigen Bildungsprogramm gewesen, und es bot dem Bündnis «Ende Gelände» die Basis, von der aus es seine beständig wachsenden Massenaktionen gegen Tagebaue und Braunkohlekraftwerke im rheinischen Revier durchführen konnte.

Vor zwei Jahren stand das Camp unter dem Motto: «Skills for System Change» (Fähigkeiten für den Systemwandel). In diversen Workshops wurden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die beim Aufbau einer lokalen Klimagruppe benötigt werden. Die entstanden in der Folge auch zahlreich und über das Land verteilt.

Im vergangenen Jahr hat sich die Klimagerechtigkeitsbewegung unter dem Motto «Connecting Movements» (Bewegungen verbinden) dann bewusst mit Menschen aus anderen Bewegungen verbunden: Bleiberecht, Queerfeminismus, Tierrechte oder Ernährungssouveränität. Dabei stieß die Organisationsform als selbstorganisiertes, freiwilliges Mitmach-Camp an seine Grenzen. Die Bäckerei musste im Dreischichtbetrieb arbeiten und die selbstgebauten Komposttoiletten durch kommerzielle Dixiklos ergänzt werden.

Dieses Jahr war die «Degrowth Summer School» auf einem Klimacamp in Pödelwitz bei Leipzig und Ende Gelände im Juni bei den Kohleprotesten in Tschechien und Ende August in den Niederlanden auf einem Klimacamp in der Groninger Gasregion bei der Aktion «Code Rood». Ins Rheinland kommt Ende Gelände voraussichtlich erst im Oktober, wenn im Hambacher Forst wieder gerodet wird. Sein neu gegründeter Ableger in München veranstaltet im September ein eigenes Klimacamp.

Im Rheinland werden dieses Jahr neue Mitmachstrukturen erprobt, die sich dann im kommenden Jahr vielleicht wieder mit sehr viel mehr Menschen bewähren müssen.


Gewerkschaften und ­Mittelschicht

So ist das diesjährige Klimacamp im Rheinland sehr viel kleiner als noch vor einem Jahr, und auch von der leichten Anspannung, die in der Luft liegt, wenn Tausende Menschen sich auf eine große Aktion des zivilen Ungehorsams vorbereiten, ist nichts zu spüren. Gelassen geht es zu, aber das Camp ist auch dieses Jahr wieder Plattform für wichtige Debatten und Prozesse.

Zunächst gibt es auch dieses Jahr wieder eine ganze Reihe interessanter Workshops und Diskussionsrunden. Anfang der Woche ist  Manfred Maresch, zuständiger Bezirksleiter der IG BCE für das Rheinische Braunkohlerevier, im Camp und versucht die Haltung seiner Gewerkschaft zu verteidigen. Eine Aktivistin, selber Gewerkschafterin, ist noch Tage später verwundert darüber, wie wenig er in der Lage war, klimapolitische Argumente zu entkräften: «Alles, was er anzubieten hatte, war immer wieder der Verweis auf die besondere Kultur und Identität der Kohlekumpel.» Während der Camptage organisiert seine Gewerkschaft  gemeinsam mit Ver.di in den Städten von Düren und Bergheim bis Aachen Infostände, an denen sich Beschäftigte aus Kraftwerken und Tagebauen von RWE Power beteiligen sollen. In einem «Revier-Appell» Ende Juni haben die beiden Gewerkschaften von der Bundesregierung ein Beteiligungskonzept gefordert.

Unter dem etwas sperrigen Titel «Resistance & Solidarity, Structures for Change» diskutieren etwa drei Dutzend Menschen aus sechs Ländern Europas über alle Probleme im Zusammenhang mit dem Aufbau neuer Gruppen. Breiten Raum nehmen die Strukturen, Entscheidungsfindung und Konsensbildung ein. Die Erstellung einer Mailingliste ist ebenso Thema wie der Umgang mit Konflikten innerhalb der Gruppe. Auf einer der vielen Maps an der Wand wird, selbstverständlich auch auf Englisch, die Frage gestellt: «Wie sieht der perfekte Aktivist aus?» Die Antworten stehen gleich daneben: Intelligent und gebildet, aktiv und mutig soll sie sein, einen ökologischen Lebensstil leben, in der Lage sein, andere zu motivieren, teamfähig, leidenschaftlich, bewusst, authentisch und offen für Diskussionen – ein hehrer Anspruch.

In der Abschlussrunde stellt eine Teilnehmerin aus Österreich dann auch die Frage, ob es auf Dauer ausreichend sei, weiß und gebildet, das gute Klimagewissen der Mittelschicht zu sein. Tatsächlich hat sich die Klimagerechtigkeitsbewegung in den vergangenen Jahren stark verbreitert, sich mit anderen Bewegungen vernetzt, neue Organisationen sind dazu gekommen wie «Zucker im Tank» und «KOHLE erSETZEN». Ein Phänomen der weißen gebildeten Mittelschicht ist sie geblieben. Die Ausbildung einer eigenen Kultur, Sprache und Habitus verfestigt das Problem.


Entscheidungen

Drei Tage sind für die «Strategiekonferenz der Klimagerechtigkeitsbewegung» reserviert. In vielen Plena und ungezählten Diskussionsrunden werden zukünftige Strukturen, Themen und Aktionsformen besprochen. Etliche, die hier engagiert mitdiskutieren, kommen aus einer der vielen neue gegründeten örtlichen Gruppen und sind selbst erst seit kurzer Zeit in der Bewegung aktiv. Die Vorschläge sind vielfältig und die Debatte lebendig: Welche übergeordnete Struktur wird sich die Bewegung geben? Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich neben dem Kohleausstieg auch mit anderen klimarelevanten Themen auseinanderzusetzen? Welche Proteste will man gemeinsam im kommenden Jahr organisieren? Entscheidungen werden auf ein Nachfolgetreffen, Anfang Januar 2019 vertagt.

Nicht vertagen lässt sich der Umgang mit der wahrscheinlich bevorstehenden Räumung im Hambacher Forst. Räumungen, gefolgt von Wiederbesetzungen hat es im Forst schon viele Male gegeben. Für dieses Jahr wird aber die komplette Räumung, verbunden mit einer Abriegelung des Forstes befürchtet. Nach Insiderinformationen könnte es damit bereits Ende August losgehen. Proteste während der Rodungssaison, die am 1.Oktober beginnt, insbesondere die Aktionstage von Ende Gelände vom 25. bis 29.Oktober, würden dann möglicherweise nicht mehr in den Wald gelangen und RWE könnte ungestört die letzten Reste des uralten Forstes abholzen.

«Aktion Unterholz» heißt deshalb das neue Bündnis, das die diesjährigen Proteste im Forst koordinieren soll. Auch darüber wird auf dem Camp diskutiert und beraten, wie man sich gemeinsam wehren kann, wenn die Polizei mit schwerem Gerät in den Wald einfällt und mit Rodungen beginnt, um über Schneisen Hebebühnen an die besetzten Bäume heranzuführen. Die Pause zwischen dem Ende des Camps und dem Beginn der nächsten Proteste könnte eine kurze werden.

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