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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2018
Extreme Dürre und Hitzewellen
von Klaus Meier

Die Jahre 2014–2017 waren die bisher vier heißesten seit den weltweiten Wetteraufzeichnungen. Zehn der 15 wärmsten Jahre Deutschlands liegen in diesem Jahrhundert. In diesem Sommer lag zudem die Trockenheit auf Rekord­niveau: Zwischen April und Juli war bisher noch nie ein so geringer Niederschlag registriert worden. Einige Gebiete im Osten waren so trocken wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen vor fünf Jahrzehnten. In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und in einigen Gebieten im Osten Bayerns ist der Untergrund bis auf zwei Meter Tiefe völlig ausgetrocknet.


Die Bäume sterben

Die Förster schlugen Alarm. Die Waldböden sind vielerorts so trocken, dass bei kurzen einfachen Regenfällen die Nässe nicht mehr eindringen kann. Sie haben einen Befeuchtungswiderstand entwickelt. Für die deutschen Waldregionen, die ein Drittel des Landes ausmachen, ist dies kritisch. Die Bäume sind so ausgetrocknet, dass sie teilweise bereits Anfang August ihre Blätter oder Nadeln abgeworfen haben. Besonders betroffen sind junge Bäume. Jedes Jahr werden etwa 500 Millionen neu gepflanzt. Aber viele von ihnen werden den Sommer 2018 nicht überleben, denn ihre Wurzeln reichen noch nicht bis zum Grundwasser. In der Folge drohen die Bäume, die in den letzten drei bis vier Jahren gepflanzt worden sind, zu vertrocknen.

Die Waldverbände schätzen den daraus resultierenden Schaden auf 2–3 Mrd. Euro. Ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Wald-und-Holz-Verbands erklärte: «Wir erleben einen Vorgeschmack auf den Klimawandel. Es gibt aber keine Erfahrungswerte, weil es diese Situation so noch nie gab.» Tatsächlich gibt es mittlerweile aber zahlreiche internationale Studien, die den Einfluss von Erderwärmung und Trockenheit auf die Bäume untersucht haben.

Umfangreiche Untersuchungen wurden z.B. an der Yale University in den USA durchgeführt. Craig Brodersen, Professor für Pflanzenphysiologie und Ökologie und Experte für Trockenheit und Baumschäden, erläuterte auf der Homepage der Universität im Juni 2018 die Zusammenhänge: «Trockenheit ist sicher etwas, was Pflanzen und Bäume auch in früheren Zeiten schon betraf. Wenn aber zusätzlich noch hohe Temperaturen dazu kommen, dann wird der Effekt der Trockenheit verstärkt. Dann beginnt das vaskuläre Transportsystem der Bäume zusammenzubrechen. Sie sind an derartige Umweltbedingungen nicht angepasst.»

Das kann extreme Konsequenzen haben: «Wir fanden heraus, dass ein von Trockenheit gestresster Baum als erstes seine Poren schließt, um seinen Wasserhaushalt zu sichern. Aber das erzeugt ein Dilemma. Denn wenn der Baum seine Poren schließt, kann er auch kein CO2 zur Photosynthese mehr aus der Luft aufnehmen. Er kann dann nur noch auf seine internen Speicher zurückgreifen, um durch die Trockenheit zu kommen. Sein Überleben hängt letztendlich davon ab, wieviel Kohlehydrate und Wasser er gespeichert hat. Unsere Forschungen ergaben, dass eine definierte Schwelle existiert, ab der ein Baum sich nicht mehr erholen kann. Wenn Bäume über diesen Kipppunkt geraten und nicht mehr über genug Reserven in den Wurzeln verfügen, dann reagieren sie auch empfindlich auf Schädlingsbefall, denn ihr Abwehrsystem ist stark geschädigt.»

In der weiteren Darstellung verweist Brodersen darauf, dass im letzten Jahrzehnt durch Hitze und Trockenheit allein in der Region von Texas bis Kalifornien 400 Millionen Bäume abgestorben sind: «Dabei wurde beobachtet, dass auch eine große Zahl von wirklich großen, alten Bäumen starben. Wir glauben, dass dies auf das Versagen ihres hydraulischen Systems zurückzuführen ist und damit auf die Unfähigkeit, noch Wasser in die Baumkronen zu transportieren. Das ist besorgniserregend, denn gerade die alten, großen Waldbäume sind diejenigen, die den meisten Kohlenstoff speichern. Wenn sie absterben, wird eine Menge Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt; schneller als es sonst der Fall gewesen wäre.»


Flüsse und Seen erwärmen sich und trocknen aus

Anfang August war der Wasserpegel vieler Flüsse stark gesunken. In der Folge war auf der Elbe und der Oder keine durchgehende Schifffahrt mehr möglich. Auf der Donau und dem Rhein konnten nur noch Schiffe mit geringerem Tiefgang verkehren. Noch dramatischer war der Wasserstand in vielen kleineren Flüssen. Die schwarze Elster in Süden Brandenburgs war stellenweise ausgetrocknet. Ein Sprecher der Stadt Senftenberg äußerte gegenüber der Berliner Morgenpost: «Es gibt Stellen, da ist nichts mehr.» Ähnliches konnte bei der Dreisam bei Freiburg oder bei zahlreichen Harzflüssen beobachtet werden.

Der sinkende Wasserstand und die große Hitze führten dazu, dass sich viele Gewässer aufwärmten. Der Rhein erreichte Anfang August in vielen Bereichen 28 Grad, der Bodensee 26 Grad, ebenso die Elbe in Hamburg oder die Havel in Berlin. Die Süddeutsche Zeitung zitierte den Münchener Hochschulprofessor Herwig Stibor: «Für die Lebewesen im Wasser kann das sehr kritisch werden.» Je höher die Temperatur steigt, desto stärker sinkt der Sauerstoffgehalt im Wasser. «Ist das Gewässer tief genug, gibt es unten noch eine Schicht kälteren Wassers, in der mehr Sauerstoff aufgelöst ist und in die sich die Fische zurückziehen können. Sind dort aber alle Reserven aufgebraucht, sterben die Tiere.»

Tatsächlich wurden vielerorts tote Fische aus den Gewässern geholt: in Hamburg 5 Tonnen Fischkadaver, im Schweizer Rheinabschnitt eine Tonne, ein Stausee bei Ellwangen meldete sogar 20 Tonnen tote Fische. In dieser Situation leiteten zahlreiche Kraftwerke am Rhein und seinen Zuflüssen immer noch überheiztes Kühlwasser in die Gewässer und verschlimmerten die Lage damit. Eigentlich dürfen die Betriebe am Rhein bei 28 Grad Wassertemperatur nur noch mit Ausnahmegenehmigung Warmwasser in den Fluss einleiten. Doch ausgerechnet das von ­einem Grünen geführte baden-württembergische Umweltministerium verteilte diese Genehmigungen besonders fleißig – etwa an die Atomkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim oder an die Kohlekraftwerke in Heilbronn und Stuttgart-Münster. Und auch an das Großkraftwerk Mannheim, einem Kohlekraftwerk mit hohen CO2-Emissionen, das zusätzlich noch große Mengen des Nervengifts Quecksilber (154 Kilogramm im Jahr 2013) und große Mengen Feinstaub (142.000 Tonnen im Jahr 2013) auf die umliegende Bevölkerung niederrieseln lässt. Die Begründung des grünen Umweltministeriums: Das Kohlekraftwerk sei «systemrelevant». Das gilt offensichtlich nicht für die Fische im Rhein.


Extremwetter in der nördlichen Hemisphäre

Fast ganz Europa war von der Hitzewelle und der extremen Trockenheit betroffen. In Schweden und Griechenland und insbesondere in Portugal kam es deshalb zu großen Waldbränden. Anfang August kletterten in Spanien und Portugal die Temperaturen auf über 45 Grad, in Portugal wurde der höchste Wert mit 46,4 Grad in ­Alvega, 120 Kilometer von Lissabon entfernt gemessen. Im Hinterland der Algarve kämpften über 700 Feuerwehrleute rund um den kleinen Ort Monchique über eine Woche gegen ein Großfeuer an, das sich in der waldigen Bergregion massiv ausgebreitet hatte.

Eine Besonderheit des Sommers 2018 bestand darin, dass das Extremwetter in der gesamten nördlichen Erdhemisphäre gleichzeitig auftrat. Darin unterscheidet es sich von früheren Klimaereignissen. Die Hitzewelle 2003 hatte ihren Schwerpunkt allein in West- und Mitteleuropa. Und im Sommer 2010 lag eine extreme Wärmeglocke vornehmlich über dem europäischen Teil Russlands. Im Sommer 2018 bewegten sich dagegen  zahlreiche Regionen auf dem Globus im Gleichtakt. So wurde das Extremwetter in Japan bereits Anfang Juli 2018 mit heftigen Sturzregenfällen eingeleitet, die mindestens 220 Todesopfer zur Folge hatten. Danach legte sich über das Land eine langanhaltende Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 41 Grad Celsius, in deren Folge 35?000 Menschen Krankenhäuser aufsuchen mussten. Auch Kalifornien war von einer erdrückenden Hitze betroffen. Sie führte zu Feuersbrünsten in vielen Waldregionen. Ein Waldbrand nördlich von San Francisco nahe dem Ort Mendocino hat sich zum größen Feuer in der Geschichte des Bundesstaates ausgeweitet, die brennende Fläche umfasst etwa die doppelte Größe des Bodensees.

Auch Kanada und die Ostküste der USA wurden von der Hitzewelle erfasst. Im kanadischen Montréal wurden bereits Mitte Juli mehr als 18 Tage gezählt, bei denen die Temperatur über 30 Grad lag. Die Folge war ein ungewöhnlicher Anstieg der Todesfälle. Die städtische Leichenhalle war überfüllt, sodass die Behörden sich gezwungen sahen, die Toten an anderen Orten zwischenzulagern.

Auch über Nordafrika lag eine Hitzeglocke. Im Ort Ouargla, in der algerischen Sahararegion, stieg die Temperatur auf 51,3 Grad Celsius. Dieser Wert kann als die höchste Temperatur angesehen werden, die je auf dem afrikanischen Kontinent gemessen wurde.


Ein Blick in die Zukunft

Das gleichzeitige Auftreten von Klimaextremen in vielen Regionen der nördlichen Hemisphäre könnte ein erster Hinweis auf zukünftige global wirkende Hitzeereignisse sein. Sie könnten Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit haben. Auf diese Möglichkeit wies im Mai 2018 eine Publikation von Wissenschaftlern hin. Michelle Tigchelaar von der University of Washington, die an der Studie mitgewirkt hatte, schrieb dazu: «Wir fanden heraus, dass bei einer Erwärmung des Planeten die Wahrscheinlichkeit steigt, dass unterschiedliche Länder gleichzeitig große Ernteverluste erleiden. Das würde im Ergebnis große Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise und die Lebensmittelsicherheit haben.»

Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung hat den heißen Sommer 2018 als negatives Ereignis erlebt. Durch die Medienberichterstattung assoziieren viele die Hitzewelle mit dem Klimawandel, der damit auch als Bedrohung empfunden wird. 2017 wurde in der Zeitschrift Lancet die Betroffenheit der Bevölkerung angesichts zunehmender Wetterextreme untersucht. Während in der Referenzphase von 1981 bis 2010 pro Jahr nur für 5 Prozent der Bevölkerung Europas Hitzeereignisse, Überflutungen und schwere Stürme erfahrbar waren, werden im Zeitraum 2071–2100 pro Jahr zwei Drittel der EU-Bevölkerung genau dies erleben. Der Sommer 2018 zeigt, dass wir uns bereits in diese Richtung bewegen.

Erfahrbare Klimaextreme sind gute Zeiten für politische Aufklärung. Als Anfang August Klimawissenschaftler des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung einen Artikel über die dramatische Gefahr einer neuen Heißzeit veröffentlichten, fand dies Widerhall in vielen Zeitungen und auch in den Hauptnachrichtensendungen des deutschen Fernsehens. Die Klimabewegung kann und muss die Stimmung nutzen, um den schnellen und umfassenden Ausstieg aus der Kohlenstoffökonomie zu fordern.

Anknüpfen könnte man am Vorschlag führender europäischer Klimawissenschaftler für ein Kohlenstoffgesetz, der letztes Jahr veröffentlicht wurde. Er propagiert eine Roadmap, bei der die Treibhausgasemissionen in Zehnjahresschritten immer wieder halbiert werden, bis sie 2050 bei Null liegen. Das Ende der Kohleverbrennung läge danach im Zeitraum 2030–2035, das letzte Öl würde zwischen 2040 und 2045 verbrannt. Es ist ein Weg, um das Klima wieder zu stabilisieren und den Übergang unseres Planeten in eine apokalyptische Heißzeit zu verhindern.

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