von Rolf Euler
Strohhalme, die gar nicht aus Stroh, sondern aus Plastik sind, geisterten tagelang durch die Presse. Als die Hitzewelle noch im Anmarsch, die Meere aber schon länger geschädigt waren, entwickelte die EU Pläne zur Reduzierung des Plastikmülls. Es gibt zwar seit gefühlt hundert Jahren keinen echten Strohhalm aus Getreidestroh mehr, aber es scheint nur zu verständlich, dass diejenigen, die der Öffentlichkeit weismachen, sie täten der Umwelt einen Dienst, zum erstbesten Strohhalm greifen, dem Plastikhalm den Garaus zu machen. Es geht dabei um einen anscheinend extrem geringen Teil der jährlich 8 Millionen Tonnen Kunststoffprodukte, die im Meer landen.
Wer diese Pläne nur lächerlich findet, hat nicht ganz unrecht. Denn wer nicht erst in diesem Sommer an beliebigen Stränden und Flussufern der Welt spazieren geht, findet große Mengen an Plastikteilen. Plastikhalme sind so gut wie nie darunter. (Die findet man allerdings, vereint mit weggeworfenen Kaffeebechern und -deckeln an den Straßenrändern und – wenn es «normal» geht – in den Mülltonnen der Innenstädte.) Man findet Flaschen, Kanister, Fischernetzteile, Kisten, Kleinkram, Schuhe, Nylonseile. Man kennt die Bilder des sog. «Plastikstrudels» aus dem Pazifik. Man kennt die Plastikwelt der spanischen Gewächshäuser. Man schaue sich in den 1-Euro-Shops um, den Spielwarenläden, den Haushaltsabteilungen, den Baumärkten, den Autos – wer den Plastikmüll verringern will, hätte genug zu tun, nicht (nur) nach den Halmen zu greifen.
Es heißt, die Verbraucher seien gefordert, den Gebrauch von Kunststoffprodukten zu überdenken, die eine Belastung für die Umwelt darstellen. Die EU-Kommission denkt z.B. über folgendes nach: Hinweise auf Verpackungen oder Schildern sollen die Bürger informieren, ob ein Produkt Plastik enthält und wie umweltschädlich es ist.
Wenn die EU-Kommission über ein Projekt «nachdenkt» heißt das, dass die Zeit der Lobbyisten gekommen ist.
Wenn die EU-Kommission die Bürger bittet, ihre Verhaltensweise zu «überdenken» heißt das, dass sich so schnell nichts ändern wird. Das ist deswegen ein Problem, weil seit Jahren freiwillige Vereinbarungen nicht ernsthaft an der Umweltbelastung etwas geändert haben. Der «Verbraucher» ist das letzte Teil der Angebotskette, die immer das Billigste herstellt, immer mehr Absatz braucht, um Gewinne zu machen, und daher hat sie und er bei vielen Produkten kaum Alternativen – siehe den echten Strohhalm! Die Unsitte des «Coffee-to-Go» in Wegwerfbechern, die Einwegwasserflaschenorgien in den Getränkemärkten, die Unmenge anderer Erdölprodukte – das wird durch ein Plastikhalmbeschränkungsgesetz, falls es denn käme, nur unwesentlich betroffen.
Wenn nicht die Umweltschädlichkeit eines Produkts in den Preis einfließt, wird man lange an «die Verbraucher» appellieren können. Die Welle der SUVs, die Steigerung der Flugbewegungen, die Massentierhaltung – alles das hat trotz der Appelle und der tausendfachen wissenschaftlichen Beweise ihrer Klima- und Umweltschädlichkeit nicht aufgehört. Es fehlt nicht an Erkenntnissen über die Folgen der Plastikverwendung auf die Meere, die Lebewesen im Meer, bis hin zum Meersalz: Es fehlt der politische Wille, die Macht der Erdöl- und Chemiekonzerne zu beschränken – wo es natürlich zur Enteignung und demokratischen Kontrolle schon gar nicht reicht.
Anscheinend beschäftigt die EU sich und die Öffentlichkeit mit Pflasterkleben, wo grundlegende Operationen zum Schutz der Umwelt nötig wären. Der letzte Strohhalm ist dann doch immer noch – aus künstlichem Politikstoff…
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