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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2018

Deutschland schreibt schwarze Null auch auf griechische Kosten
dokumentiert*

«Griechenland kehrt in die finanzielle Unabhängigkeit zurück», kommentierten Anfang Juli deutsche Medien das Auslaufen des dritten «Rettungs»programms für Griechenland im August dieses Jahres. Nichts könnte falscher sein.

Die Vereinbarung vom 22. Juni signalisiert privaten Investmentfonds, dass sie wieder griechische Wertpapier kaufen können, weil dafür öffentliche Garantien gegeben werden. Griechenland kann sich also am Kapitalmarkt wieder refinanzieren. Von finanzieller Unabhängigkeit ist das Land jedoch weiter entfernt denn je. Auch das Ende der Hilfsprogramme ist eine Lüge, das Land steht weiter unter Kuratel und muss auch weiter  soziale Einschnitte hinnehmen.

Wie unhaltbar die ökonomische Lage ist, zeigen zwei Zahlen: Die gesamte Schuldenlast des griechischen Staates beträgt 2018 349,9 Mrd. Euro, das ist nur knapp weniger als auf dem Höchststand 2011. Auf die Bevölkerung umgerechnet macht das 30.175 Euro Schulden pro Person, während eine einzelne Person pro Jahr nur 16775 Euro erwirtschaftet – die Hälfte.

«Seit 2015 hat der griechische Staat den Gläubigern einen Betrag zurückgezahlt, der der Summe der Einkommen vor Steuern aller griechischen Unternehmen innerhalb von 18 Monaten entspricht. Bis 2030 muss der Staat den Gläubigern die doppelte Summe zahlen, und zwischen 2030 und 2060 dreimal soviel», schrieb der frühere Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, im New Statesman am 5.April dieses Jahres. Und er zählt auf, welche Einschnitte die von SYRIZA geführte Regierung seit 2015 durchgeführt hat:

– Die Renten, die vor 2015 schon um 40 Prozent gekürzt worden waren, wurden nochmals um 10–20 Prozent im Durchschnitt gekürzt und werden 2019 weiter gekürzt werden;

– der kleine Solibeitrag für die ärmsten Rentner wurde gestrichen;

– die privaten Zusatzzahlungen für die Krankenversorgung sind auf über 50 Prozent gestiegen;

– ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung ist gezwungen, Teilzeit zu arbeiten für monatlich 380 Euro;

– der Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuer für arme Familien wurde gesenkt und soll 2019 nochmal gesenkt werden;

– der Heizkostenzuschuss für die Armen wurde halbiert;

– die Einkommensteuer für Familien, die 1000 Euro im Monat verdienen, wurde angehoben;

– die Mehrwertsteuer wurde auf 24 Prozent heraufgesetzt (die dritthöchste Rate in der EU);

– Zwangsräumungen nehmen täglich zu;

– 700000 Beschäftigte mit Null-Stunden-Verträgen müssen höhere Steuern zahlen und dies sogar ein Jahr im voraus;

– der Steuersatz für Kleinunternehmen ist von 26 auf 29 Prozent gestiegen, auch sie müssen die Steuer ein Jahr im voraus bezahlen.

Infolge all dessen sind seit 2015 eine halbe Million junger Griechinnen und Griechen ausgewandert, darunter die Hälfte der Medizinstudierenden, jede Woche verlassen weitere Tausende das Land. Zehntausende kleiner und mittlerer Unternehmen sind nach Bulgarien, Zypern oder anderswohin in die EU gezogen und zahlen ihre Steuern jetzt dort. Seit 2011 haben 20.000 Menschen Selbstmord begangen.

Von nun an wird die griechische Bevölkerung schrumpfen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 40 Prozent. Nach Angaben von Eurostat sind 47 Prozent der griechischen Haushalte mit der Rückzahlung eines ihrer Kredite in Verzug, und die Ausfallquote bei Bankkrediten liegt ebenfalls bei über 46,5 Prozent.

Der Staatsbesitz wurde in Größenordnungen ausverkauft:

– 14 regionale Flughäfen gingen an ein deutsches Staatsunternehmen (Fraport), das dafür keinen einzigen Euro aus eigener Tasche bezahlte – es lieh sich dieses Geld vollständig von den gerade geretteten griechischen Banken;

– die Häfen von Piräus und Thessaloniki wurden verkauft;

– der alte Athener Flughafen, wahrscheinlich das wertvollste Grundstück im östlichen Mittelmeer, ging für 140 Euro pro Quadratmeter an Spiros Latsis, Griechenlands reichstem Oligarchen, wobei der Staat versprochen hat, mehr als die Kaufsumme für Straßen und Anschlüsse auf dem Gelände auszugeben;

– das Stromnetz wurde teilweise verkauft; die Elektrizitätswerke stehen zum Verkauf an; die Eisenbahn wurde für magere 47 Millionen Euro an eine italienische Firma verkauft, die nicht die Mittel hat, sie auf Vordermann zu bringen; der Staatsanteil am Athener Flughafen wurde verkauft.

Kein einziger der aus den Privatisierungen erzielten Euros wird in Griechenland investiert, alles Geld geht an die Gläubiger.

Gleichzeitig steht Griechenland, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, an dritter oder vierter Stelle in der Liste der Länder, die am meisten für Waffen ausgeben. Anfang 2018 traf Alexis Tsipras Donald Trump und kündigte an, für 1,6 Milliarden Euro Waffen in den Vereinigten Staaten zu kaufen.

Seit 2010 hat Deutschland mit Ankäufen griechischer Staatsanleihen und Zinsgewinnen netto 2,9 Mrd. Euro Gewinn gemacht. Dieser Gewinn wurde zuerst an die Bundesbank und von dort an den Bundesfinanzminister überwiesen. Damit haben die Griechen einen Teil des Haushaltsüberschusses der Bundesregierung bezahlt.

Von einem Schuldenschnitt ist weiterhin nicht die Rede. Lediglich die Rückzahlung der Darlehen des Europäischen Stabilitätsfonds ESM wird um bis zu 15 Jahren aufgeschoben. Die Mitglieder der Eurozone winken darüber hinaus mit der Möglichkeit, von den Gewinnen aus dem SMP-Programm (die Griechenland ohnehin zustehen, die Eurozonenstaaten sich aber regelwidrig aneignen) jährlich eine Milliarde Euro an Griechenland zu überweisen. Bedingung: Griechenland muss die Knebelpolitik fortsetzen.

Auf diese Weise bleibt das Land im Schuldturm gefangen.

 

* Quelle: www.yanisvaroufakis.eu/2018/04/07/why-we-founded-new-political-party-mera25-to-­challenge-austerity-in-greece-the-new-statesman-5-apr-2018/.

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