von Paul B. Kleiser
Horst Seehofer, noch Parteivorsitzender der CSU und Bundesinnenminister, richtet seine gesamte politische Energie darauf, für die CSU die absolute Mehrheit in Bayern zu erhalten. Bei den Mitteln, die er dafür wählt, dürfte das bei der kommenden Landtagswahl am 14.Oktober gründlich daneben gehen.
Im Jahre 2007 kam es zum Aufstand von Teilen der CSU gegen den langjährigen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der Bayern seit 1993 regiert hatte. Der überehrgeizige Stoiber hatte sich 2002 gegen Angela Merkel durchgesetzt und war zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Union gekürt worden. Doch der linke Flügel der Union hielt sich im Wahlkampf sichtlich zurück. Im Grunde erholte sich Stoiber nie mehr von der deutlichen Wahlniederlage gegen Gerhard Schröder, sodass ihn Günther Beckstein und Erwin Huber als Ministerpräsidenten bzw. als Parteichef beerben konnten. Doch bei den Landtagswahlen von 2008 fiel die CSU auf magere 40,5 Prozent und verlor damit ihre gewohnte absolute Mehrheit im Freistaat. (In seiner besten Zeit hatte Stoiber über 60 Prozent eingefahren!) Damit war das Schicksal der beiden Parteiführer besiegelt, man holte Horst Seehofer aus Berlin und machte ihn zum Ministerpräsidenten einer CSU-FDP-Koalition.
Seehofer war einer der dünn gesäten Bundespolitiker der CSU, die nach Strauß ja vor allem Regionalpartei war und durch den Anschluss der DDR in ihrer Bedeutung weiter schrumpfte. Der Mann aus Ingolstadt hatte seit 1980 vor allem in Bonn und dann in Berlin unter Helmut Kohl Karriere gemacht und war von 1992 bis 1998 Bundesgesundheitsminister gewesen. Angesichts zunehmender Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung setzte er damals eine Reihe von Sparmaßnahmen durch, die die Unzufriedenheit mit der Regierung nur größer machten.
Abstieg der CSU unter Stoiber
Nach der Abwahl der Kohl-Regierung und der Aufdeckung des CDU-Spendenskandals ergriff die Generalsekretärin Angela Merkel ihre Chance, die alte Parteiführung abzuhalftern und sich gegen die Patriarchen der Partei selbst an die Spitze wählen zu lassen, obwohl sie nur über eine bescheidene Hausmacht verfügte. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend, ließ sie von Leuten wie Kirchhoff oder Merz ein neues, neoliberales Parteiprogramm entwerfen. In ihm war die Einführung einer Kopfpauschale in der Krankenversicherung vorgesehen; somit hätte ein Millionär den gleichen Beitrag gezahlt wie ein Sozialhilfeempfänger.
Der Kampf um diese «Kopfpauschale» wurde in der Union mit ähnlicher Schärfe geführt wie heute der um die Flüchtlingspolitik. Nachdem sich Stoiber für die CSU auf einen halbherzigen Kompromiss mit Merkel eingelassen hatte, trat Seehofer, der als Fraktionsvize für die Gesundheitspolitik zuständig war, von allen Ämtern zurück. Mit Merkel und anderen CDU-Größen kam es zu heftigem Streit; auf diese Zeit gehen das Misstrauen und die geradezu hasserfüllte Beziehung zwischen den beiden politischen Alphatieren zurück. Denn für Seehofer gehört der soziale Ausgleich zur politischen DNA der CSU; ohne ihn würden viele Lohnabhängige von der Partei abfallen.
Nach dem Scheitern von Rot-Grün und dem knappen Wahlsieg von Angela Merkel 2005 sollte Edmund Stoiber für die CSU als Wirtschaftsminister nach Berlin gehen, aber nach einer heftigen Auseinandersetzung über die Kompetenzen des Ministeriums und langem Hin und Her blieb er schließlich doch in München. Seehofer wurde neuer Landwirtschaftsminister in Berlin. Bis er schließlich nach drei Jahren, in der Krise 2008, als die CSU nur noch 40,5 Prozent verbuchte, den Nürnberger Protestanten Beckstein, der das Amt gerade mal ein Jahr ausgeübt hatte, als Ministerpräsident ablöste.
Was passierte 2015 wirklich?
Am 6.September 2015, war die CSU-Prominenz fast geschlossen nach Rott am Inn gepilgert, um den 100.Geburtstag des letzten bayerischen Monarchen (und Oberbazi) Franz Josef Strauß zu feiern. Kurz zuvor hatte sich die Lage in Ungarn und besonders in Budapest dramatisch zugespitzt, weil Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak zwischen Bahnhöfen und Autobahnen herumirrten. Angesichts dieses unbeschreiblichen Elends und der schockierenden Bilder telefonierte die Kanzlerin mit dem österreichischen Kanzler Werner Faymann; man kam überein, die Flüchtlinge ins Schengen-Europa weiterziehen zu lassen. Offenbar versuchte die Kanzlerin, mit Seehofer zu telefonieren; dass sie ihn nicht erreicht hat, wird ihr von ihm als Böswilligkeit ausgelegt, obwohl sie keineswegs verpflichtet war, ihn in diese Angelegenheit einzubinden. (Die Grenzsicherung ist allein Aufgabe des Bundes!)
Immer wieder wird (nicht nur von der AfD) die Behauptung aufgestellt, Merkel habe die (offene!) Grenze geöffnet, oder man hätte die Grenze schließen und die Flüchtlinge zurückweisen können oder sollen. Mal abgesehen von der Inhumanität eines solchen Vorgehens wurde auf Anweisung des damaligen Innenministers Thomas de Maizière der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, tatsächlich beauftragt, Grenzkontrollen inkl. Zurückweisungen vorzubereiten.
In der Woche nach dem 6.September wurden einige tausend Bundespolizisten nach Bayern gebracht. Zwischen de Maizière und Romann wurde dann diskutiert, was geschehen würde, sollte man die Geflüchteten tatsächlich an der Grenze zurückhalten wollen. Sie erkannten, dass dies höchstens eine Woche lang funktionieren würde: Denn erstens käme es zu langen Staus für alle Grenzgänger und zweitens würden die Bilder in den internationalen Medien dem Land nicht gerade zum Vorteil gereichen. Auch in der deutschen Bevölkerung käme es zu Empörung und Widerstand.
Nach einem Gespräch zwischen Merkel, dem Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und dem Innenminister entschied sich dieser schließlich gegen die Schließung der Grenze (SZ, 29.Juni 2018).
Der Rechtsbrecher
Seehofer hat immer nur die absolute Mehrheit der CSU in Bayern im Kopf, die er 2013 tatsächlich (mit starker Unterstützung von Merkel!) zurückeroberte. Denn ohne eine solche Mehrheit könnte die CSU in Berlin nicht immer wieder Extrawürste verlangen (wie die «Ausländermaut» oder die «Herdprämie») und durchsetzen; sie würde zu einer Partei unter anderen werden.
Gegen Merkel schimpfte Seehofer, er habe ihr bei der Eurorettung gegen eine meuternde Partei den Rücken freigehalten und nun treffe sie im Handstreich und ohne Absprache mit ihm eine Entscheidung, die zu großen Ängsten und Sorgen in der Bevölkerung führen müsse. Gegen Merkels «Wir schaffen das» faselte der Nichtjurist als getriebener Populist von der «Herrschaft des Unrechts». Doch in den ersten Wochen war eine Mehrheit der Deutschen eindeutig auf Merkels Seite; Zehntausende begrüßten die Geflüchteten herzlich; die Spendenbereitschaft war immens.
Im Spätherbst des Jahres war Merkel dann Gast auf dem Parteitag der CSU in München. In den Jahren zuvor hatte man sich im Glanze ihrer Popularität gesonnt und sie gerne eingeladen. Doch nun überfiel Seehofer sie mit der Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. «Wir sind der festen Überzeugung, dass die große historische Aufgabe, die Integration von Flüchtlingen in unserem Land, dass auch die Zustimmung der Bevölkerung nicht auf Dauer zu haben sind, wenn wir nicht zu einer Obergrenze für die Zuwanderung von Flüchtlingen kommen», posaunte er in die Halle.
Eine Viertelstunde musste sich die neben ihm stehende Kanzlerin wie eine ungehörige Schülerin anhören, wie sie von ihm abgekanzelt wurde: «Du weißt, dass wir hartnäckig für dieses Ziel arbeiten.» Die Orbanisierung der bayerischen Politik hatte endgültig begonnen.
Im Koalitionsvertrag der neuen «Großen Koalition» vom Februar 2018 ließ die CSU ihren Willen festschreiben, wonach die «Zuwanderungszahlen … die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden». Zwischen Spiegelstrichen wurde aber festgelegt, dass «das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention unangetastet» bleiben sollen.
Und auch eine zweite Forderung aus Bayern wurde akzeptiert, nämlich die Errichtung von sog. AnKER-Zentren, von denen bereits eines in Manching bei Ingolstadt steht. Die Bearbeitung von Asylverfahren «erfolgt künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs-, und Rückführungseinrichtungen, in denen BAMF, Bundesagentur für Arbeit, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere Hand in Hand arbeiten. In den AnKER-Einrichtungen sollen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung stattfinden.»
Wie brutal solche Einrichtungen sind, lässt sich in Moria auf der Insel Lesbos beobachten. Man möchte unbedingt verhindern, dass die Geflüchteten in Kontakt mit Menschen in der Umgebung kommen und durch sie Solidarität und Hilfe erfahren. Möglichst viele möglichst schnell raus ist die Logik dieser Politik. Der Rechtsstaat gerät zur Farce.
Widerspruch aus der CSU
Eine Reihe von durchaus konservativen Politikern wie Alois Glück oder Prof. Hans Maier protestieren gegen diese Unmenschlichkeit; sie betonen, dass das Kreuz etwas anderes bedeutet als ein Objekt, das man als «Kulturgut» an alle Amtsstuben nagelt. Der langjährige Arbeitsminister Norbert Blüm schrieb:
«Die derzeit geführte Asyldebatte hat viele Facetten, die sprachliche stört mich bis zum ekelhaften Überdruss. ‹Asylanten› sind keine Kartoffel- oder Mehlsäcke, über deren sachgemäße Lagerung man streitet. Es handelt sich bei den ‹Obergrenzen› nicht um die Kapazitätsgrenze eines Kühlhauses für tropische Südfrüchte. Wir reden über Flüchtlinge wie über Sachen und verstecken den Skandal der Herzlosigkeit in kalten Statistiken. Es sind aber Menschen, um die es geht, Verzweifelte, die Zuflucht suchen und nicht Sachen, die gestapelt oder zurückgeschickt werden müssen. ‹Asyltouristen› ist ein Wort des kalten Zynismus.» (SZ, 13.Juli 2018.)
Die rassistischen Ausfälle von Seehofer, Söder, Dobrindt und Co. bestärken einzig die AfD; alle Meinungsumfragen zeigen, dass die CSU von Glück reden kann, wenn sie im Oktober bei den Landtagswahlen in Bayern über 40 Prozent bekommt. Doch trotz allen Geschreis und Nachtretens neigt sich die Ära Seehofer dem Ende zu. Oder wie Seehofers Intimfeind Wolfgang Schäuble sagen würde: Isch over!
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