von Rolf Euler
Was für ein Titelbild! Im strömenden Regen steigt ein Mann einen Berg hinauf, auf dem Rücken ein Sesseltraggestell mit einem anderen Mann darauf sitzend. Was für ein Buchthema! «Indigene Begleiter europäischer Forschungsreisender» ist der Untertitel einer spannenden, bewegenden Sammlung von Geschichten und Erkenntnissen über die Menschen, die den europäischen Welteroberern die «neue» Welt, in die sie aus Forschungs- und Eroberungsdrang kamen, überhaupt erst zugänglich machten. Sie standen bisher «im Schatten der Entdecker», aus dem sie der Autor Volker Matthies herausholt.
Viele Menschen kennen Humboldt oder Livingstone, Córtez oder Cook und andere Namen von Europäern, die in den letzten fünfhundert Jahren «die Welt entdeckten». Matthies stellt in dem Buch die afrikanischen, indianischen, asiatischen Menschen mit Namen vor und hat ihren hervorragenden Anteil an den Reisen der Europäer erforscht und zusammengetragen. Er erklärt, wie im Gegensatz zur Heroisierung der Entdecker in der europäischen Geschichtsschreibung die indigenen Begleiter der Forschungstouren ins Landesinnere diejenigen waren, die mit ihrer Orts- und Menschenkenntnis das Gelingen vieler Reisen, zum Teil das Überleben der Europäer oder ihre Rückkehr ermöglicht haben.
Zum Beispiel verdanken Heinrich Barth, Sven Hedin oder Gustav Nachtigal im 19.Jahrhundert ihr Überleben in der Wüste den Einheimischen. Expeditionen in Kanada, Grönland oder Asien wären ohne die lokalen Kenntnisse vieler indigener Beteiligter, Träger, Führer oder lokaler Herrscher nicht möglich gewesen, werden aber oft nur mit den Namen der erfolgreichen Europäer verbunden. Die Auffindung Livingstones in Afrika war ebenfalls nur mit einheimischen Führern möglich.
Und oftmals ging es auch gar nicht nur um Führung oder Begleitung, sondern um den Austausch von Wissen über Kultur und Lebensweise, den Lebensraum, den Dialog «auf Augenhöhe» zwischen Wissenschaftlern und Indigenen, die natürlich vor Ort die Überlegenen waren.
Zu Recht schreibt Volker Matthies, dass die ersten wirklichen «Entdecker» aus der Vorzeit der Menschheitsgeschichte stammen, als sie von Afrika oder Asien aus die Welt besiedelten und sich dann als ortskundige Bewohner den späten europäischen Wiederentdeckern zur Verfügung stellten. Hochstehende Kulturen brachten die ersten Weltkarten hervor, Wegbeschreibungen durch Asien, über den Pazifik. Alles das wurde erst in der Neuzeit von Europäern nachvollzogen.
Das Buch kritisiert die eurozentrische Sicht der bisherigen Geschichtsschreibung. Es deckt auf, wie sich mit den «Entdeckungen» gleichzeitig die wirtschaftliche Ausbeutung von Sklaven und Natur, die militärische Unterdrückung, Vertreibung und Ausrottung indigener Völker vollzogen. Die Abhängigkeit der Forschungsreisenden von den Aborigines, den Inuit oder Indios wurde ins Gegenteil verkehrt durch die nachfolgenden besitzergreifenden europäischen Eroberer. Hier leistet das Buch einen ganz wichtigen Perspektivwechsel.
Matthies erzählt auch die Geschichte von Frauen, deren Anteil bei vielen Expeditionen etwa in Mexiko, Grönland oder Nordamerika sehr wichtig war als Kontakt, Dolmetscherin und kulturelle Vermittlerin.
Dass diese indigenen Führer auch eine widersprüchliche Rolle hatten, da sie zum Gelingen von Eroberungen beitrugen, die ihren Völkern Nachteile und Verderben brachten, zeigt der Autor ebenfalls auf, ohne moralische Zuweisungen.
Allein die Tatsache, dass aus fünfhundert Jahren Eroberungen auf allen nichteuropäischen Kontinenten nun Namen der einheimischen Führer und Führerinnen und Begleitenden aus vielen Quellen zusammengetragen werden, ihr persönlicher Beitrag hervorgehoben wird und ihre Rolle gewürdigt wird, ist ein entscheidender Grund, dies Buch zu lesen. Für interessierte Lesende wird hier auf spannende Weise ein Weltbild zurechtgerückt, das bisher «im Schatten» stand.
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